einem wirklich zweifelhaften Falle einen sichern Grundsatz zu haben, so siehet ein jeder wohl von selbst ein, daß durch dieses Temperament nichts entschieden werde. Ich füge hier noch folgende Bemerkungen hinzu.
I) Auch ungemessene Dienste sind nicht dem bloßen Willkür der Herrschaft überlassen. Der Bauer muß so viel Zeit übrig behalten, daß er seine eigne Wirthschaft besorgen, und nicht nur seinen Lebensunterhalt sich erwer- ben, sondern auch die herrschaftlichen Abgaben entrichten kann 61).
II) Beschweren sich die Bauern, daß die Herrschaft ihr Recht, ungemessene Dienste zu fordern, mißbrauche, so ist nichts nöthiger und billiger, als daß der Richter dergleichen ungemessene Dienste dergestalt mäßige, daß die Bauern dabey nicht zu Grunde gehen, die Herrschaft aber auch in ihren Gerechtsamen dadurch nicht allzusehr eingeschränkt werde. Die Billigkeit einer solchen richter- lichen Ermäßigung ist von allen Rechtslehrern anerkannt worden 62). Es kommt nur darauf an, was bey dieser Ermäßigung für Grundsätze anzunehmen sind 63). Hier hat nun der Richter auf zweyerley Rücksicht zu nehmen; einmal auf die in der herumliegenden Gegend eingeführ- te Gewohnheit, und zweytens auf die Möglichkeit, die
62)leyser in Meditat. ad Pand. Vol. VI. Spec. 418. hoeck- ner Diss. de operarum indeterminatarum determinatione. Lips. 1720. stryck de absu iuris quaesiti Cap. I. n. 35.
63) Vorzüglich empfehle ich hier wiederum des Hrn. v. Bene- kendorfsOeconom. Forens. a. a. O. 8. Hauptst. 9. Ab- schnitt §. 578. folgg.
1. Buch. 5. Tit. §. 124.
einem wirklich zweifelhaften Falle einen ſichern Grundſatz zu haben, ſo ſiehet ein jeder wohl von ſelbſt ein, daß durch dieſes Temperament nichts entſchieden werde. Ich fuͤge hier noch folgende Bemerkungen hinzu.
I) Auch ungemeſſene Dienſte ſind nicht dem bloßen Willkuͤr der Herrſchaft uͤberlaſſen. Der Bauer muß ſo viel Zeit uͤbrig behalten, daß er ſeine eigne Wirthſchaft beſorgen, und nicht nur ſeinen Lebensunterhalt ſich erwer- ben, ſondern auch die herrſchaftlichen Abgaben entrichten kann 61).
II) Beſchweren ſich die Bauern, daß die Herrſchaft ihr Recht, ungemeſſene Dienſte zu fordern, mißbrauche, ſo iſt nichts noͤthiger und billiger, als daß der Richter dergleichen ungemeſſene Dienſte dergeſtalt maͤßige, daß die Bauern dabey nicht zu Grunde gehen, die Herrſchaft aber auch in ihren Gerechtſamen dadurch nicht allzuſehr eingeſchraͤnkt werde. Die Billigkeit einer ſolchen richter- lichen Ermaͤßigung iſt von allen Rechtslehrern anerkannt worden 62). Es kommt nur darauf an, was bey dieſer Ermaͤßigung fuͤr Grundſaͤtze anzunehmen ſind 63). Hier hat nun der Richter auf zweyerley Ruͤckſicht zu nehmen; einmal auf die in der herumliegenden Gegend eingefuͤhr- te Gewohnheit, und zweytens auf die Moͤglichkeit, die
62)leyser in Meditat. ad Pand. Vol. VI. Spec. 418. hoeck- ner Diſſ. de operarum indeterminatarum determinatione. Lipſ. 1720. stryck de abſu iuris quaeſiti Cap. I. n. 35.
63) Vorzuͤglich empfehle ich hier wiederum des Hrn. v. Bene- kendorfsOeconom. Forens. a. a. O. 8. Hauptſt. 9. Ab- ſchnitt §. 578. folgg.
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1. Buch. 5. Tit. §. 124.
einem wirklich zweifelhaften Falle einen ſichern Grundſatz
zu haben, ſo ſiehet ein jeder wohl von ſelbſt ein, daß
durch dieſes Temperament nichts entſchieden werde. Ich
fuͤge hier noch folgende Bemerkungen hinzu.
I) Auch ungemeſſene Dienſte ſind nicht dem bloßen
Willkuͤr der Herrſchaft uͤberlaſſen. Der Bauer muß ſo
viel Zeit uͤbrig behalten, daß er ſeine eigne Wirthſchaft
beſorgen, und nicht nur ſeinen Lebensunterhalt ſich erwer-
ben, ſondern auch die herrſchaftlichen Abgaben entrichten
kann 61).
II) Beſchweren ſich die Bauern, daß die Herrſchaft
ihr Recht, ungemeſſene Dienſte zu fordern, mißbrauche,
ſo iſt nichts noͤthiger und billiger, als daß der Richter
dergleichen ungemeſſene Dienſte dergeſtalt maͤßige, daß
die Bauern dabey nicht zu Grunde gehen, die Herrſchaft
aber auch in ihren Gerechtſamen dadurch nicht allzuſehr
eingeſchraͤnkt werde. Die Billigkeit einer ſolchen richter-
lichen Ermaͤßigung iſt von allen Rechtslehrern anerkannt
worden 62). Es kommt nur darauf an, was bey dieſer
Ermaͤßigung fuͤr Grundſaͤtze anzunehmen ſind 63). Hier
hat nun der Richter auf zweyerley Ruͤckſicht zu nehmen;
einmal auf die in der herumliegenden Gegend eingefuͤhr-
te Gewohnheit, und zweytens auf die Moͤglichkeit, die
von
61) Weſtphal teutſches Privatrecht 1. Th. 32. Abhandlung
§. 4.
62) leyser in Meditat. ad Pand. Vol. VI. Spec. 418. hoeck-
ner Diſſ. de operarum indeterminatarum determinatione. Lipſ.
1720. stryck de abſu iuris quaeſiti Cap. I. n. 35.
63) Vorzuͤglich empfehle ich hier wiederum des Hrn. v. Bene-
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ſchnitt §. 578. folgg.
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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791/174>, abgerufen am 04.07.2024.
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