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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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de Iustitia et Iure.
also nicht jede allgemeine Pflicht, z. E. keinem andern
etwas von dem Seinigen zu entziehen, und überhaupt
keine strafbare Handlung zu begehen, darunter verstan-
den seyn, sondern sie sezt vielmehr jederzeit eine Per-
son voraus, welche einer andern zu einem bestimmten
Thun oder Geben verbindlich gemacht worden ist 33).

Daß also der legale Begrif des Röm. Rechts
von der Obligation wenigstens nicht als allgemeiner Be-
grif der Verbindlichkeit gelten könne, weil er den Ge-
genstand nach seinem ganzen Umfang nicht in sich faßt,
ist gewiß. Was ist also Verbindlichkeit überhaupt?
Ich muß, ehe ich den richtigern Begrif davon über-
haupt festsetze, vor allen Dingen bemerken, daß man
insgemein die Verbindlichkeit aus einem zwiefachen Ge-
sichtspunct zu betrachten pflegt, je nachdem nehmlich
dieselbe entweder Jemanden auferlegt wird, oder dem-
ienigen wirklich obliegt, welcher vermöge derselben ver-
pflichtet wird. Jenes nennt man die active, dieses
die passive Verbindlichkeit, und so wie man die erstere
durch connexionem motivi cum actione definirt, so ver-
stehe[t] man im Gegentheil unter der letztern qualitatem
moralem passivam, qua quis praestare aut pati quid
tenetur.
Man findet diese Begriffe beym Wolf,
Puffendorf
und andern. Allein wenn sich gleichwohl
die Obligation in die active und passive eintheilen
lässet, wie in der Folge sich ergeben wird, auch diese
Eintheilung in dem System des bürgerlichen Rechts
nicht unbekannt ist; denn wem sollte wohl die bekannte

Ein-
men; L. 1. §. 2. D. de reb. eor. qui sub tut. Siehe D. Car.
Christph.
hofacker Princip. iur. civ. Rom.
Germ.
T.I. (Tübingae
1788.) §. 670.
33) S. Hugo Institutionen des heutigen Röm.
Rechts
(Göttingen 1789.) §. 31.
B 4

de Iuſtitia et Iure.
alſo nicht jede allgemeine Pflicht, z. E. keinem andern
etwas von dem Seinigen zu entziehen, und uͤberhaupt
keine ſtrafbare Handlung zu begehen, darunter verſtan-
den ſeyn, ſondern ſie ſezt vielmehr jederzeit eine Per-
ſon voraus, welche einer andern zu einem beſtimmten
Thun oder Geben verbindlich gemacht worden iſt 33).

Daß alſo der legale Begrif des Roͤm. Rechts
von der Obligation wenigſtens nicht als allgemeiner Be-
grif der Verbindlichkeit gelten koͤnne, weil er den Ge-
genſtand nach ſeinem ganzen Umfang nicht in ſich faßt,
iſt gewiß. Was iſt alſo Verbindlichkeit uͤberhaupt?
Ich muß, ehe ich den richtigern Begrif davon uͤber-
haupt feſtſetze, vor allen Dingen bemerken, daß man
insgemein die Verbindlichkeit aus einem zwiefachen Ge-
ſichtspunct zu betrachten pflegt, je nachdem nehmlich
dieſelbe entweder Jemanden auferlegt wird, oder dem-
ienigen wirklich obliegt, welcher vermoͤge derſelben ver-
pflichtet wird. Jenes nennt man die active, dieſes
die paſſive Verbindlichkeit, und ſo wie man die erſtere
durch connexionem motivi cum actione definirt, ſo ver-
ſtehe[t] man im Gegentheil unter der letztern qualitatem
moralem paſſivam, qua quis praeſtare aut pati quid
tenetur.
Man findet dieſe Begriffe beym Wolf,
Puffendorf
und andern. Allein wenn ſich gleichwohl
die Obligation in die active und paſſive eintheilen
laͤſſet, wie in der Folge ſich ergeben wird, auch dieſe
Eintheilung in dem Syſtem des buͤrgerlichen Rechts
nicht unbekannt iſt; denn wem ſollte wohl die bekannte

Ein-
men; L. 1. §. 2. D. de reb. eor. qui ſub tut. Siehe D. Car.
Chriſtph.
hofacker Princip. iur. civ. Rom.
Germ.
T.I. (Tübingae
1788.) §. 670.
33) S. Hugo Inſtitutionen des heutigen Roͤm.
Rechts
(Goͤttingen 1789.) §. 31.
B 4
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[23/0043] de Iuſtitia et Iure. alſo nicht jede allgemeine Pflicht, z. E. keinem andern etwas von dem Seinigen zu entziehen, und uͤberhaupt keine ſtrafbare Handlung zu begehen, darunter verſtan- den ſeyn, ſondern ſie ſezt vielmehr jederzeit eine Per- ſon voraus, welche einer andern zu einem beſtimmten Thun oder Geben verbindlich gemacht worden iſt 33). Daß alſo der legale Begrif des Roͤm. Rechts von der Obligation wenigſtens nicht als allgemeiner Be- grif der Verbindlichkeit gelten koͤnne, weil er den Ge- genſtand nach ſeinem ganzen Umfang nicht in ſich faßt, iſt gewiß. Was iſt alſo Verbindlichkeit uͤberhaupt? Ich muß, ehe ich den richtigern Begrif davon uͤber- haupt feſtſetze, vor allen Dingen bemerken, daß man insgemein die Verbindlichkeit aus einem zwiefachen Ge- ſichtspunct zu betrachten pflegt, je nachdem nehmlich dieſelbe entweder Jemanden auferlegt wird, oder dem- ienigen wirklich obliegt, welcher vermoͤge derſelben ver- pflichtet wird. Jenes nennt man die active, dieſes die paſſive Verbindlichkeit, und ſo wie man die erſtere durch connexionem motivi cum actione definirt, ſo ver- ſtehet man im Gegentheil unter der letztern qualitatem moralem paſſivam, qua quis praeſtare aut pati quid tenetur. Man findet dieſe Begriffe beym Wolf, Puffendorf und andern. Allein wenn ſich gleichwohl die Obligation in die active und paſſive eintheilen laͤſſet, wie in der Folge ſich ergeben wird, auch dieſe Eintheilung in dem Syſtem des buͤrgerlichen Rechts nicht unbekannt iſt; denn wem ſollte wohl die bekannte Ein- 32) 33) S. Hugo Inſtitutionen des heutigen Roͤm. Rechts (Goͤttingen 1789.) §. 31. 32) men; L. 1. §. 2. D. de reb. eor. qui ſub tut. Siehe D. Car. Chriſtph. hofacker Princip. iur. civ. Rom. Germ. T.I. (Tübingae 1788.) §. 670. B 4

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/43>, abgerufen am 02.05.2024.