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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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1. Buch. 1. Tit.
§. 45. und 46.
Begrif und Eintheilungen der Gerechtigkeit.

Wir schreiten jezt zu dem zweyten Haupttheil die-
ses Titels, welcher von der Gerechtigkeit (lusti-
tia
)
handelt. Die Handhabung derselben ist der Zweck
unserer Rechtsgelehrsamkeit, daher auch die Rechtsge-
lehrten Priester der Gerechtigkeit genennt wer-
den 22). Was ist nun aber die Gerechtigkeit?
Ulpian sezt sie nach den Lehrsätzen der Stoiker in eine
feste und beständige Bereitwilligkeit, jedem das Seinige
zu geben und zu lassen (constans et perpetua voluntas
ius suum cuique tribuendi
23). Die Stoiker betrach-
teten die Gerechtigkeit als eine Tugend, und dachten
sich darunter eine constantem et perpetuam vitae ra-
tionem
24). Nach dieser strengen Tugendlehre sahen
sie daher bey Ausübung der Gerechtigkeit zugleich auf
die innern Neigungen. Die äusserliche Erfüllung der
Pflichten genügte ihnen noch nicht; nein, nur denjeni-
gen hielten sie für gerecht, der auch den Willen, und
zwar den festen und unveränderlichen Willen hätte,
gerecht zu handeln 25). Allein es mag immerhin der

ange-
22) L. 1. §. 1. D. de l. et l. Io. lac. bosius de Iuris.
consultis sacerdotibus iustitiae
. Lipsiae
1739.
23) L. 10. pr. D. eodem. Hiermit stimmt auch cicero de
Finibus
Lib. V. c.
23. überein, wo er sagt: iustitia
est animi affectio, suum cuique tribuens, et hanc societatem
coniunctionis humanae mirifice et aeque tuens.
24) S. cicero de Legib. Lib. I. c. 17. und lib. IV. Acade-
micor.
aristoteles ad Nicomach. v. 1. gellius Noct.
Atticar.
Lib. XVII. c. 5. in fine.
Mehrere Stellen noch
hat walch ad eckhardi Hermenevt. iuris. L. I.
c. IV.
§. 133. S. 221.
25) S. Ger. noodt Probabil. iuris civ. Lib. III.
c. 1. et 2. Christfr. waechtler ad Noodtium in

Opu-
1. Buch. 1. Tit.
§. 45. und 46.
Begrif und Eintheilungen der Gerechtigkeit.

Wir ſchreiten jezt zu dem zweyten Haupttheil die-
ſes Titels, welcher von der Gerechtigkeit (luſti-
tia
)
handelt. Die Handhabung derſelben iſt der Zweck
unſerer Rechtsgelehrſamkeit, daher auch die Rechtsge-
lehrten Prieſter der Gerechtigkeit genennt wer-
den 22). Was iſt nun aber die Gerechtigkeit?
Ulpian ſezt ſie nach den Lehrſaͤtzen der Stoiker in eine
feſte und beſtaͤndige Bereitwilligkeit, jedem das Seinige
zu geben und zu laſſen (conſtans et perpetua voluntas
ius ſuum cuique tribuendi
23). Die Stoiker betrach-
teten die Gerechtigkeit als eine Tugend, und dachten
ſich darunter eine conſtantem et perpetuam vitae ra-
tionem
24). Nach dieſer ſtrengen Tugendlehre ſahen
ſie daher bey Ausuͤbung der Gerechtigkeit zugleich auf
die innern Neigungen. Die aͤuſſerliche Erfuͤllung der
Pflichten genuͤgte ihnen noch nicht; nein, nur denjeni-
gen hielten ſie fuͤr gerecht, der auch den Willen, und
zwar den feſten und unveraͤnderlichen Willen haͤtte,
gerecht zu handeln 25). Allein es mag immerhin der

ange-
22) L. 1. §. 1. D. de l. et l. Io. lac. bosius de Iuris.
conſultis ſacerdotibus iuſtitiae
. Lipſiae
1739.
23) L. 10. pr. D. eodem. Hiermit ſtimmt auch cicero de
Finibus
Lib. V. c.
23. uͤberein, wo er ſagt: iustitia
eſt animi affectio, ſuum cuique tribuens, et hanc ſocietatem
coniunctionis humanae mirifice et aeque tuens.
24) S. cicero de Legib. Lib. I. c. 17. und lib. IV. Acade-
micor.
aristoteles ad Nicomach. v. 1. gellius Noct.
Atticar.
Lib. XVII. c. 5. in fine.
Mehrere Stellen noch
hat walch ad eckhardi Hermenevt. iuris. L. I.
c. IV.
§. 133. S. 221.
25) S. Ger. noodt Probabil. iuris civ. Lib. III.
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[288/0308] 1. Buch. 1. Tit. §. 45. und 46. Begrif und Eintheilungen der Gerechtigkeit. Wir ſchreiten jezt zu dem zweyten Haupttheil die- ſes Titels, welcher von der Gerechtigkeit (luſti- tia) handelt. Die Handhabung derſelben iſt der Zweck unſerer Rechtsgelehrſamkeit, daher auch die Rechtsge- lehrten Prieſter der Gerechtigkeit genennt wer- den 22). Was iſt nun aber die Gerechtigkeit? Ulpian ſezt ſie nach den Lehrſaͤtzen der Stoiker in eine feſte und beſtaͤndige Bereitwilligkeit, jedem das Seinige zu geben und zu laſſen (conſtans et perpetua voluntas ius ſuum cuique tribuendi 23). Die Stoiker betrach- teten die Gerechtigkeit als eine Tugend, und dachten ſich darunter eine conſtantem et perpetuam vitae ra- tionem 24). Nach dieſer ſtrengen Tugendlehre ſahen ſie daher bey Ausuͤbung der Gerechtigkeit zugleich auf die innern Neigungen. Die aͤuſſerliche Erfuͤllung der Pflichten genuͤgte ihnen noch nicht; nein, nur denjeni- gen hielten ſie fuͤr gerecht, der auch den Willen, und zwar den feſten und unveraͤnderlichen Willen haͤtte, gerecht zu handeln 25). Allein es mag immerhin der ange- 22) L. 1. §. 1. D. de l. et l. Io. lac. bosius de Iuris. conſultis ſacerdotibus iuſtitiae. Lipſiae 1739. 23) L. 10. pr. D. eodem. Hiermit ſtimmt auch cicero de Finibus Lib. V. c. 23. uͤberein, wo er ſagt: iustitia eſt animi affectio, ſuum cuique tribuens, et hanc ſocietatem coniunctionis humanae mirifice et aeque tuens. 24) S. cicero de Legib. Lib. I. c. 17. und lib. IV. Acade- micor. aristoteles ad Nicomach. v. 1. gellius Noct. Atticar. Lib. XVII. c. 5. in fine. Mehrere Stellen noch hat walch ad eckhardi Hermenevt. iuris. L. I. c. IV. §. 133. S. 221. 25) S. Ger. noodt Probabil. iuris civ. Lib. III. c. 1. et 2. Chriſtfr. waechtler ad Noodtium in Opu-

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/308>, abgerufen am 22.11.2024.