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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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1. Buch. 1. Tit.
der entferntern nicht verwechselt werden. Daher erge-
ben sich schon vorläufig folgende Auslegungsregeln:

1) Der Rechtsgelehrte darf seine Auslegung des Gese-
tzes nur auf Voraussetzung derjenigen Absicht grün-
den, die der Gesezgeber unmittelbar durch die Wor-
te des Gesetzes erklären wolte.
2) Diese Absicht selbst muß aus dem Zusammenhange
der Worte, oder des Gesetzes mit allen übrigen, die
über einerley Gegenstand vorhanden sind 49), oder
den historischen Umständen der Gesetzesgebung, und
andern Quellen mehr beurtheilet werden, von welchen
ich in der Folge beym §. 36. umständlicher handeln
werde.
§. 30.
Erklärung setzt Mangel der Deutlichkeit, und Unvolständig-
keit des Gesetzes, voraus. Auslegung der Gesetze nach
der Billigkeit; und Grenzen derselben.

"Es ist ein Uebel, sagt einer unserer teutschen
Rechtsgelehrten 50), wenn die Gesetze einer Erklärung
bedürfen. Die Gesetze sollten keiner Rechtsklügeley aus-
gesetzet seyn." Dies kann wohl freylich nicht geleug-
werden; allein da die meisten unserer Gesetze für ganz
andere Zeiten, Sitten und Umstände gegeben sind, so
müssen wir sie, sollen sie zur Richtschnur dienen, durch
eine vernünftige Auslegung, auch noch für unsere Zei-

ten
49) D. Gottl. hufeland Diss. de Legum in Pande-
ctis interpretandarum subsidio ex earum
nexu et consecutione petendo
. lenae
1785.
und H. Prof Westphal in der unten Note 54. angeführ-
ten Schrift §. 4. u. 5.
50) von Tevenar Versuch über die Rechtsgelahr-
heit
S. 537. Dritt. Abschn.

1. Buch. 1. Tit.
der entferntern nicht verwechſelt werden. Daher erge-
ben ſich ſchon vorlaͤufig folgende Auslegungsregeln:

1) Der Rechtsgelehrte darf ſeine Auslegung des Geſe-
tzes nur auf Vorausſetzung derjenigen Abſicht gruͤn-
den, die der Geſezgeber unmittelbar durch die Wor-
te des Geſetzes erklaͤren wolte.
2) Dieſe Abſicht ſelbſt muß aus dem Zuſammenhange
der Worte, oder des Geſetzes mit allen uͤbrigen, die
uͤber einerley Gegenſtand vorhanden ſind 49), oder
den hiſtoriſchen Umſtaͤnden der Geſetzesgebung, und
andern Quellen mehr beurtheilet werden, von welchen
ich in der Folge beym §. 36. umſtaͤndlicher handeln
werde.
§. 30.
Erklaͤrung ſetzt Mangel der Deutlichkeit, und Unvolſtaͤndig-
keit des Geſetzes, voraus. Auslegung der Geſetze nach
der Billigkeit; und Grenzen derſelben.

„Es iſt ein Uebel, ſagt einer unſerer teutſchen
Rechtsgelehrten 50), wenn die Geſetze einer Erklaͤrung
beduͤrfen. Die Geſetze ſollten keiner Rechtskluͤgeley aus-
geſetzet ſeyn.“ Dies kann wohl freylich nicht geleug-
werden; allein da die meiſten unſerer Geſetze fuͤr ganz
andere Zeiten, Sitten und Umſtaͤnde gegeben ſind, ſo
muͤſſen wir ſie, ſollen ſie zur Richtſchnur dienen, durch
eine vernuͤnftige Auslegung, auch noch fuͤr unſere Zei-

ten
49) D. Gottl. hufeland Diſſ. de Legum in Pande-
ctis interpretandarum ſubſidio ex earum
nexu et conſecutione petendo
. lenae
1785.
und H. Prof Weſtphal in der unten Note 54. angefuͤhr-
ten Schrift §. 4. u. 5.
50) von Tevenar Verſuch uͤber die Rechtsgelahr-
heit
S. 537. Dritt. Abſchn.
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[206/0226] 1. Buch. 1. Tit. der entferntern nicht verwechſelt werden. Daher erge- ben ſich ſchon vorlaͤufig folgende Auslegungsregeln: 1) Der Rechtsgelehrte darf ſeine Auslegung des Geſe- tzes nur auf Vorausſetzung derjenigen Abſicht gruͤn- den, die der Geſezgeber unmittelbar durch die Wor- te des Geſetzes erklaͤren wolte. 2) Dieſe Abſicht ſelbſt muß aus dem Zuſammenhange der Worte, oder des Geſetzes mit allen uͤbrigen, die uͤber einerley Gegenſtand vorhanden ſind 49), oder den hiſtoriſchen Umſtaͤnden der Geſetzesgebung, und andern Quellen mehr beurtheilet werden, von welchen ich in der Folge beym §. 36. umſtaͤndlicher handeln werde. §. 30. Erklaͤrung ſetzt Mangel der Deutlichkeit, und Unvolſtaͤndig- keit des Geſetzes, voraus. Auslegung der Geſetze nach der Billigkeit; und Grenzen derſelben. „Es iſt ein Uebel, ſagt einer unſerer teutſchen Rechtsgelehrten 50), wenn die Geſetze einer Erklaͤrung beduͤrfen. Die Geſetze ſollten keiner Rechtskluͤgeley aus- geſetzet ſeyn.“ Dies kann wohl freylich nicht geleug- werden; allein da die meiſten unſerer Geſetze fuͤr ganz andere Zeiten, Sitten und Umſtaͤnde gegeben ſind, ſo muͤſſen wir ſie, ſollen ſie zur Richtſchnur dienen, durch eine vernuͤnftige Auslegung, auch noch fuͤr unſere Zei- ten 49) D. Gottl. hufeland Diſſ. de Legum in Pande- ctis interpretandarum ſubſidio ex earum nexu et conſecutione petendo. lenae 1785. und H. Prof Weſtphal in der unten Note 54. angefuͤhr- ten Schrift §. 4. u. 5. 50) von Tevenar Verſuch uͤber die Rechtsgelahr- heit S. 537. Dritt. Abſchn.

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/226>, abgerufen am 28.11.2024.