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Gleim, Johann Wilhelm Ludwig: Versuch in Scherzhaften Liedern. Bd. 2. Berlin, 1745.

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den einem scherzhaften Dichter Stoff liefern
könten. Ich verwies es daher meinem Gelieb-
ten, daß er vor seiner Abreise, an seinen un-
vergleichlichen Freund, den Herrn von Kleist,
schrieb:

Und wenn du tapfer schlägst, so will ich scherzhaft
dichten.

Wer kan Feinde sehen, und doch scherzen? Ich
besorgte damals, mein verwegner Freund würde
zeitig genung gestehen müssen:

Vorm Anblikk ihrer furchtbarn Heere
Floh Scherz und Muse schüchtern hin;

Allein der Krieg hat seiner herzhaften Muse kei-
nen Zug ihrer lächelnden Minen verrükket, und
er hat mir mit iedem Briefe neue Scherze über-
schikkt. Er verbot mir zugleich sie bekant zu
machen. Er nennte sie, mit dem Herrn von
Canitz, Ständchen, die er mir ins geheim
brächte. Sie gefielen mir nicht weniger als
die, welche gedrukkt und von keinem Kenner
verachtet sind. Mein Geliebter hat mir oft
selbst gesagt, daß mein Geschmakk richtig sei.
Können also diese Gedichte von Leserinnen und
Kunstrichtern verworfen werden, und hatte ich
Ursach seinem Verbote zu gehorchen? Dein Ur-

teil,
)( 4

den einem ſcherzhaften Dichter Stoff liefern
könten. Ich verwies es daher meinem Gelieb-
ten, daß er vor ſeiner Abreiſe, an ſeinen un-
vergleichlichen Freund, den Herrn von Kleiſt,
ſchrieb:

Und wenn du tapfer ſchlägſt, ſo will ich ſcherzhaft
dichten.

Wer kan Feinde ſehen, und doch ſcherzen? Ich
beſorgte damals, mein verwegner Freund würde
zeitig genung geſtehen müſſen:

Vorm Anblikk ihrer furchtbarn Heere
Floh Scherz und Muſe ſchüchtern hin;

Allein der Krieg hat ſeiner herzhaften Muſe kei-
nen Zug ihrer lächelnden Minen verrükket, und
er hat mir mit iedem Briefe neue Scherze über-
ſchikkt. Er verbot mir zugleich ſie bekant zu
machen. Er nennte ſie, mit dem Herrn von
Canitz, Ständchen, die er mir ins geheim
brächte. Sie gefielen mir nicht weniger als
die, welche gedrukkt und von keinem Kenner
verachtet ſind. Mein Geliebter hat mir oft
ſelbſt geſagt, daß mein Geſchmakk richtig ſei.
Können alſo dieſe Gedichte von Leſerinnen und
Kunſtrichtern verworfen werden, und hatte ich
Urſach ſeinem Verbote zu gehorchen? Dein Ur-

teil,
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[VII/0009] den einem ſcherzhaften Dichter Stoff liefern könten. Ich verwies es daher meinem Gelieb- ten, daß er vor ſeiner Abreiſe, an ſeinen un- vergleichlichen Freund, den Herrn von Kleiſt, ſchrieb: Und wenn du tapfer ſchlägſt, ſo will ich ſcherzhaft dichten. Wer kan Feinde ſehen, und doch ſcherzen? Ich beſorgte damals, mein verwegner Freund würde zeitig genung geſtehen müſſen: Vorm Anblikk ihrer furchtbarn Heere Floh Scherz und Muſe ſchüchtern hin; Allein der Krieg hat ſeiner herzhaften Muſe kei- nen Zug ihrer lächelnden Minen verrükket, und er hat mir mit iedem Briefe neue Scherze über- ſchikkt. Er verbot mir zugleich ſie bekant zu machen. Er nennte ſie, mit dem Herrn von Canitz, Ständchen, die er mir ins geheim brächte. Sie gefielen mir nicht weniger als die, welche gedrukkt und von keinem Kenner verachtet ſind. Mein Geliebter hat mir oft ſelbſt geſagt, daß mein Geſchmakk richtig ſei. Können alſo dieſe Gedichte von Leſerinnen und Kunſtrichtern verworfen werden, und hatte ich Urſach ſeinem Verbote zu gehorchen? Dein Ur- teil, )( 4

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Zitationshilfe: Gleim, Johann Wilhelm Ludwig: Versuch in Scherzhaften Liedern. Bd. 2. Berlin, 1745, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gleim_versuch02_1745/9>, abgerufen am 16.04.2024.