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Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].

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303
Nummer 59
Vom 27 Januar bis den 1 Februar

Den 27ten hujus haben die hiesigen publiquen carnavals-Thorheiten
ihren Anfang genommen, welche darinn bestehen, daß bis zur
angehenden Fasten alle Tage, den Sonntag und Freytag ausgenommen,
die masquen theils zu Fuß, theils zu Wagen in der langen
Straße, wo der sonst gewöhnliche ordentliche Cours ist, Nachmittags
von 2 bis 5 Uhr auf und ab promeniren, und eben daselbst ie-
desmal zum Beschluß etliche Pferde in die Wette rennen.
Zu Erhaltung des bürgerlichen Friedens stehet an schicklichen
Orten, außer denen [unleserliches Material]rren, die Päbstliche militz zu Pferde
und zu Fuß auf rangiret, und am Ende der Straße praesenti-
ret sich der Gubernator von Rom Mhg Ricci mit denen Conser-
vatoren auf einem balcon, um zu urtheilen, welches Pferd
den Preiß erhalten. Dieser Preiß bestehet in etlichen Ellen
Sammet oder reichem Stoff, und wird iedweden Tag dem Eigen-
thums Herrn desjenigen Pferdes gegeben, welches sich am besten
gehalten: Die hiesige Juden-Gemeine aber muß diese Preise
aus ihren Mitteln herbey schaffen. Wie sie denn auch bey dieser
Gelegenheit von denen masquen leiden müßen, daß ihnen
durch gewiße hötzerne Wind-Büchsen Mehl ins Gesichte geschoßen
wird. Ist man sonst von denen Qualitaeten derer Römischen
Printzen und andrer hiesigen Standes-Personen nicht unterrichtet,
so legitimiren sie sich doch wenigstens bey dieser Mummerey
als gute Kutscher, indem sie selbst allerhand verlarfte Ge-
sichter beyderley Geschlechts auf offenen, und zum Theil wie
große Schiffe gemachten Wägen herum führen, und von
ihren Bedienten in Harlequins-Kleidung begleitet werden.
Die fahrenden Masquen grüßen ihre Bekanten en passant
durch Zuwerffung einer Hand voll runder Kügelgen von
Zucker oder Kraft-Mehl, die sie in einem versilbert- oder
verguldetem Körbgen vor sich haben. Doch genug und übrig
genug von diesen Thorheiten, auf welche das hiesige Volck
so gewaltig erpicht ist, daß man an demselben die Spectacul-
passion seiner Heydnischen Vorfahren recht deutlich wahrnehmen
kan.

Währender dieser Unruhe hält der Cardinal Tencin, weil es
sein Vorfahr der Cardinal Polignac so eingeführet, in der
Academie de France täglich große assemblee, wozu der vor-
nehmste Adel beyderley Geschlechts, welcher etwan zu Mitmachung

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Nummer 59
Vom 27 Januar bis den 1 Februar

Den 27ten hujus haben die hiesigen publiquen carnavals-Thorheiten
ihren Anfang genommen, welche darinn bestehen, daß bis zur
angehenden Fasten alle Tage, den Sonntag und Freytag ausgenommen,
die masquen theils zu Fuß, theils zu Wagen in der langen
Straße, wo der sonst gewöhnliche ordentliche Cours ist, Nachmittags
von 2 bis 5 Uhr auf und ab promeniren, und eben daselbst ie-
desmal zum Beschluß etliche Pferde in die Wette rennen.
Zu Erhaltung des bürgerlichen Friedens stehet an schicklichen
Orten, außer denen [unleserliches Material]rren, die Päbstliche militz zu Pferde
und zu Fuß auf rangiret, und am Ende der Straße praesenti-
ret sich der Gubernator von Rom Mhg Ricci mit denen Conser-
vatoren auf einem balcon, um zu urtheilen, welches Pferd
den Preiß erhalten. Dieser Preiß bestehet in etlichen Ellen
Sammet oder reichem Stoff, und wird iedweden Tag dem Eigen-
thums Herrn desjenigen Pferdes gegeben, welches sich am besten
gehalten: Die hiesige Juden-Gemeine aber muß diese Preise
aus ihren Mitteln herbey schaffen. Wie sie denn auch bey dieser
Gelegenheit von denen masquen leiden müßen, daß ihnen
durch gewiße hötzerne Wind-Büchsen Mehl ins Gesichte geschoßen
wird. Ist man sonst von denen Qualitaeten derer Römischen
Printzen und andrer hiesigen Standes-Personen nicht unterrichtet,
so legitimiren sie sich doch wenigstens bey dieser Mummerey
als gute Kutscher, indem sie selbst allerhand verlarfte Ge-
sichter beyderley Geschlechts auf offenen, und zum Theil wie
große Schiffe gemachten Wägen herum führen, und von
ihren Bedienten in Harlequins-Kleidung begleitet werden.
Die fahrenden Masquen grüßen ihre Bekanten en passant
durch Zuwerffung einer Hand voll runder Kügelgen von
Zucker oder Kraft-Mehl, die sie in einem versilbert- oder
verguldetem Körbgen vor sich haben. Doch genug und übrig
genug von diesen Thorheiten, auf welche das hiesige Volck
so gewaltig erpicht ist, daß man an demselben die Spectacul-
passion seiner Heydnischen Vorfahren recht deutlich wahrnehmen
kan.

Währender dieser Unruhe hält der Cardinal Tencin, weil es
sein Vorfahr der Cardinal Polignac so eingeführet, in der
Academie de France täglich große assemblée, wozu der vor-
nehmste Adel beyderley Geschlechts, welcher etwan zu Mitmachung

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[0620] 303 No 59 Vom 27 Jan: bis den 1 Febr: Den 27ten hujus haben die hiesigen publiquen carnavals-Thorheiten ihren Anfang genommen, welche darinn bestehen, daß bis zur angehenden Fasten alle Tage, den Sonntag und Freytag ausgenommen, die masquen theils zu Fuß, theils zu Wagen in der langen Straße, wo der sonst gewöhnliche ordentliche Cours ist, Nachmittags von 2 bis 5 Uhr auf und ab promeniren, und eben daselbst ie- desmal zum Beschluß etliche Pferde in die Wette rennen. Zu Erhaltung des bürgerlichen Friedens stehet an schicklichen Orten, außer denen _ rren, die Päbstl militz zu Pferde und zu Fuß auf rangiret, und am Ende der Straße praesenti- ret sich der Gubernator von Rom Ricci mit denen Conser- vatoren auf einem balcon, um zu urtheilen, welches Pferd den Preiß erhalten. Dieser Preiß bestehet in etlichen Ellen Sammet oder reichem Stoff, und wird iedweden Tag dem Eigen- thums Herrn desjenigen Pferdes gegeben, welches sich am besten gehalten: Die hiesige Juden-Gemeine aber muß diese Preise aus ihren Mitteln herbey schaffen. Wie sie denn auch bey dieser Gelegenheit von denen masquen leiden müßen, daß ihnen durch gewiße hötzerne Wind-Büchsen Mehl ins Gesichte geschoßen wird. Ist man sonst von denen Qualitaeten derer Römischen Printzen und andrer hiesigen Standes-Personen nicht unterrichtet, so legitimiren sie sich doch wenigstens bey dieser Mummerey als gute Kutscher, indem sie selbst allerhand verlarfte Ge- sichter beyderley Geschlechts auf offenen, und zum Theil wie große Schiffe gemachten Wägen herum führen, und von ihren Bedienten in Harlequins-Kleidung begleitet werden. Die fahrenden Masquen grüßen ihre Bekanten en passant durch Zuwerffung einer Hand voll runder Kügelgen von Zucker oder Kraft-Mehl, die sie in einem versilbert- oder verguldetem Körbgen vor sich haben. Doch genug und übrig genug von diesen Thorheiten, auf welche das hiesige Volck so gewaltig erpicht ist, daß man an demselben die Spectacul- passion seiner Heydnischen Vorfahren recht deutlich wahrnehmen kan. Währender dieser Unruhe hält der Cardinal Tencin, weil es sein Vorfahr der Cardinal Polignac so eingeführet, in der Academie de France täglich große assemblée, wozu der vor- nehmste Adel beyderley Geschlechts, welcher etwan zu Mitmachung

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Herausgeber:innen
Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Bearbeiter:innen
Martin Prell: Datentransformation
Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate

Weitere Informationen:

Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten

Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/geusau_reisetagebuchHeinrichxiReuss_1740/620>, abgerufen am 23.11.2024.