Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn aber trübe Tage mit frostigem Regen,
oder der herbe Winter, oder die schwüle Hize
des Sommers den Spaziergang mir verböten, dann
würd ich ins einsame Zimmer mich schliessen;
mich unterhielte da die edelste Gesellschaft, der
Stolz und die Ehr' eines jeden Jahrhunderts, die
grossen Geister, die ihre Weisheit in lehrende
Bücher ausgegossen haben; edle Gesellschaft, die
unsre Seele zu ihrer Würd' erhebt! Der lehrte
mich die Sitten ferner Nationen, und die Wunder
der Natur in fernen Welt-Theilen: Der dekt
mir die Geheimnisse der Natur auf, und führt mich
in ihre geheime Werkstatt, der würde mich die
Oeconomie ganzer Nationen lehren und ihre Ge-
schichte, die Schand und die Ehre des Menschen-
Geschlechts. Der lehrt mich die Grösse und die
Bestimmung unsrer Seele, und die Reiz-volle Tu-
gend; um mich her stünden die Weisen und die
Sänger des Alterthums; ihr Pfad ist der Pfad zum
wahren Schönen, aber nur wenige wagen sich

I

Wenn aber trübe Tage mit froſtigem Regen,
oder der herbe Winter, oder die ſchwüle Hize
des Sommers den Spaziergang mir verböten, dann
würd ich ins einſame Zimmer mich ſchlieſſen;
mich unterhielte da die edelſte Geſellſchaft, der
Stolz und die Ehr’ eines jeden Jahrhunderts, die
groſſen Geiſter, die ihre Weisheit in lehrende
Bücher ausgegoſſen haben; edle Geſellſchaft, die
unſre Seele zu ihrer Würd’ erhebt! Der lehrte
mich die Sitten ferner Nationen, und die Wunder
der Natur in fernen Welt-Theilen: Der dekt
mir die Geheimniſſe der Natur auf, und führt mich
in ihre geheime Werkſtatt, der würde mich die
Oeconomie ganzer Nationen lehren und ihre Ge-
ſchichte, die Schand und die Ehre des Menſchen-
Geſchlechts. Der lehrt mich die Gröſſe und die
Beſtimmung unſrer Seele, und die Reiz-volle Tu-
gend; um mich her ſtünden die Weiſen und die
Sänger des Alterthums; ihr Pfad iſt der Pfad zum
wahren Schönen, aber nur wenige wagen ſich

I
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0134" n="129"/>
        <p>Wenn aber trübe Tage mit fro&#x017F;tigem Regen,<lb/>
oder der herbe Winter, oder die &#x017F;chwüle Hize<lb/>
des Sommers den Spaziergang mir verböten, dann<lb/>
würd ich ins ein&#x017F;ame Zimmer mich &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en;<lb/>
mich unterhielte da die edel&#x017F;te Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, der<lb/>
Stolz und die Ehr&#x2019; eines jeden Jahrhunderts, die<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;en Gei&#x017F;ter, die ihre Weisheit in lehrende<lb/>
Bücher ausgego&#x017F;&#x017F;en haben; edle Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, die<lb/>
un&#x017F;re Seele zu ihrer Würd&#x2019; erhebt! Der lehrte<lb/>
mich die Sitten ferner Nationen, und die Wunder<lb/>
der Natur in fernen Welt-Theilen: Der dekt<lb/>
mir die Geheimni&#x017F;&#x017F;e der Natur auf, und führt mich<lb/>
in ihre geheime Werk&#x017F;tatt, der würde mich die<lb/>
Oeconomie ganzer Nationen lehren und ihre Ge-<lb/>
&#x017F;chichte, die Schand und die Ehre des Men&#x017F;chen-<lb/>
Ge&#x017F;chlechts. Der lehrt mich die Grö&#x017F;&#x017F;e und die<lb/>
Be&#x017F;timmung un&#x017F;rer Seele, und die Reiz-volle Tu-<lb/>
gend; um mich her &#x017F;tünden die Wei&#x017F;en und die<lb/>
Sänger des Alterthums; ihr Pfad i&#x017F;t der Pfad zum<lb/>
wahren Schönen, aber nur wenige wagen &#x017F;ich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">I</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0134] Wenn aber trübe Tage mit froſtigem Regen, oder der herbe Winter, oder die ſchwüle Hize des Sommers den Spaziergang mir verböten, dann würd ich ins einſame Zimmer mich ſchlieſſen; mich unterhielte da die edelſte Geſellſchaft, der Stolz und die Ehr’ eines jeden Jahrhunderts, die groſſen Geiſter, die ihre Weisheit in lehrende Bücher ausgegoſſen haben; edle Geſellſchaft, die unſre Seele zu ihrer Würd’ erhebt! Der lehrte mich die Sitten ferner Nationen, und die Wunder der Natur in fernen Welt-Theilen: Der dekt mir die Geheimniſſe der Natur auf, und führt mich in ihre geheime Werkſtatt, der würde mich die Oeconomie ganzer Nationen lehren und ihre Ge- ſchichte, die Schand und die Ehre des Menſchen- Geſchlechts. Der lehrt mich die Gröſſe und die Beſtimmung unſrer Seele, und die Reiz-volle Tu- gend; um mich her ſtünden die Weiſen und die Sänger des Alterthums; ihr Pfad iſt der Pfad zum wahren Schönen, aber nur wenige wagen ſich I

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756/134
Zitationshilfe: [Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756/134>, abgerufen am 10.05.2024.