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[Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756.

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Grad der Wahrscheinlichkeit, weil sie für
unsre Zeiten nicht passen, wo der Landmann
mit saurer Arbeit unterthänig seinem Fürsten
und den Städten den Ueberfluss liefern muss,
und Unterdrükung und Armuth ihn ungesit-
tet und schlau und niederträchtig gemacht
haben. Ich will darmit nicht läugnen, dass
ein Dichter, der sich ans Hirten-Gedicht
wagt, nicht sonderbare Schönheiten aus-
spüren kann, wenn er die Denkungsart und
die Sitten des Landmanns bemerket, aber
er muss diese Züge mit feinem Geschmak
wählen, und ihnen ihr Rauhes zu benehmen
wissen, ohne den ihnen eigenen Schnitt zu
verderben.

Ich habe den Theokrit immer für das
beste Muster in dieser Art Gedichte gehal-
ten. Bey ihm findet man die Einfalt der Sit-

Grad der Wahrſcheinlichkeit, weil ſie für
unſre Zeiten nicht paſſen, wo der Landmann
mit ſaurer Arbeit unterthänig ſeinem Fürſten
und den Städten den Ueberfluſs liefern muſs,
und Unterdrükung und Armuth ihn ungeſit-
tet und ſchlau und niederträchtig gemacht
haben. Ich will darmit nicht läugnen, daſs
ein Dichter, der ſich ans Hirten-Gedicht
wagt, nicht ſonderbare Schönheiten aus-
ſpüren kann, wenn er die Denkungsart und
die Sitten des Landmanns bemerket, aber
er muſs dieſe Züge mit feinem Geſchmak
wählen, und ihnen ihr Rauhes zu benehmen
wiſſen, ohne den ihnen eigenen Schnitt zu
verderben.

Ich habe den Theokrit immer für das
beſte Muſter in dieſer Art Gedichte gehal-
ten. Bey ihm findet man die Einfalt der Sit-

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[8/0013] Grad der Wahrſcheinlichkeit, weil ſie für unſre Zeiten nicht paſſen, wo der Landmann mit ſaurer Arbeit unterthänig ſeinem Fürſten und den Städten den Ueberfluſs liefern muſs, und Unterdrükung und Armuth ihn ungeſit- tet und ſchlau und niederträchtig gemacht haben. Ich will darmit nicht läugnen, daſs ein Dichter, der ſich ans Hirten-Gedicht wagt, nicht ſonderbare Schönheiten aus- ſpüren kann, wenn er die Denkungsart und die Sitten des Landmanns bemerket, aber er muſs dieſe Züge mit feinem Geſchmak wählen, und ihnen ihr Rauhes zu benehmen wiſſen, ohne den ihnen eigenen Schnitt zu verderben. Ich habe den Theokrit immer für das beſte Muſter in dieſer Art Gedichte gehal- ten. Bey ihm findet man die Einfalt der Sit-

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Zitationshilfe: [Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756/13>, abgerufen am 27.04.2024.