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[Gessner, Christian Friedrich]: Der so nöthig als nützlichen Buchdruckerkunst und Schriftgießerey. Bd. 2. Leipzig, 1740.

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ber Josephus in seinen Alterthümern erzählet, die
Kinder Seths hätten zwey Säulen, eine von Thon,
und die andere von Stein aufgerichtet, und darauf
ihre Kunst geschrieben, (eggegsamena), damit sie so
wohl vor dem Untergang des Wassers, als Feuers
sicher seyn möchte. Dem ersten Ansehen nach läßt
sich diese Erzehlung gantz wohl hören. Wenn ich aber
bedencke, daß Josephus erst um das Jahr Christi
48. gelebet habe, so fange ich schon an zu zweifeln, ob
Josephus die Wahrheit hat wissen können? Betrachte
ich hernach die Erzehlung selbst, so zweifle ich nicht
mehr, sondern ich bin überzeugt, daß selbige keinen
Beyfall würdig sey. Erstlich überlege man, ob es
wohl wahrscheinlich, daß die Sethiter, als Pro-
pheten, nicht gewust haben sollen, daß die gantze Erde
durch die Sündfluth verderbet werden sollte? Haben
sie es gewußt, warum haben sie sich vor das Feuer
gefürchtet, und also zugleich zwey Säulen verferti-
get, eine wider den Untergang des Feuers, und eine
wider den Untergang des Wassers. Man schreibt
diesen Sethitern ferner eine überaus grosse Wissen-
schaft in der Naturlehre zu; Sollten sie also nicht so
klug gewesen seyn und eingesehen haben, daß ihre
Säulen wider das Feuer und Wasser nicht hinläng-
lich wären. Eines hebt das andere auf. Es mag
aber dieses oder jenes wahr seyn, so folgt unwidersprech-
lich daraus, daß Josephi Erzehlung mit der Wahr-
heit nicht überein komme. Folglich gilt dieser Be-
weiß nichts. Es stehet auch beym Josepho nicht, daß
die Sethiter die Kuust zu schreiben zu erst erfunden
hätten, sondern nur so viel, sie hätten ihre erfundene
Kunst auf ihre Säulen geschrieben. Und warum ist
denn Niemand von diesen Sethitern genau bestimmt,

da

der Buchſtaben.
ber Joſephus in ſeinen Alterthuͤmern erzaͤhlet, die
Kinder Seths haͤtten zwey Saͤulen, eine von Thon,
und die andere von Stein aufgerichtet, und darauf
ihre Kunſt geſchrieben, (ἐγγεγςαμένα), damit ſie ſo
wohl vor dem Untergang des Waſſers, als Feuers
ſicher ſeyn moͤchte. Dem erſten Anſehen nach laͤßt
ſich dieſe Erzehlung gantz wohl hoͤren. Wenn ich aber
bedencke, daß Joſephus erſt um das Jahr Chriſti
48. gelebet habe, ſo fange ich ſchon an zu zweifeln, ob
Joſephus die Wahrheit hat wiſſen koͤnnen? Betrachte
ich hernach die Erzehlung ſelbſt, ſo zweifle ich nicht
mehr, ſondern ich bin uͤberzeugt, daß ſelbige keinen
Beyfall wuͤrdig ſey. Erſtlich uͤberlege man, ob es
wohl wahrſcheinlich, daß die Sethiter, als Pro-
pheten, nicht gewuſt haben ſollen, daß die gantze Erde
durch die Suͤndfluth verderbet werden ſollte? Haben
ſie es gewußt, warum haben ſie ſich vor das Feuer
gefuͤrchtet, und alſo zugleich zwey Saͤulen verferti-
get, eine wider den Untergang des Feuers, und eine
wider den Untergang des Waſſers. Man ſchreibt
dieſen Sethitern ferner eine uͤberaus groſſe Wiſſen-
ſchaft in der Naturlehre zu; Sollten ſie alſo nicht ſo
klug geweſen ſeyn und eingeſehen haben, daß ihre
Saͤulen wider das Feuer und Waſſer nicht hinlaͤng-
lich waͤren. Eines hebt das andere auf. Es mag
aber dieſes oder jenes wahr ſeyn, ſo folgt unwiderſprech-
lich daraus, daß Joſephi Erzehlung mit der Wahr-
heit nicht uͤberein komme. Folglich gilt dieſer Be-
weiß nichts. Es ſtehet auch beym Joſepho nicht, daß
die Sethiter die Kuuſt zu ſchreiben zu erſt erfunden
haͤtten, ſondern nur ſo viel, ſie haͤtten ihre erfundene
Kunſt auf ihre Saͤulen geſchrieben. Und warum iſt
denn Niemand von dieſen Sethitern genau beſtimmt,

da
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[155/0231] der Buchſtaben. ber Joſephus in ſeinen Alterthuͤmern erzaͤhlet, die Kinder Seths haͤtten zwey Saͤulen, eine von Thon, und die andere von Stein aufgerichtet, und darauf ihre Kunſt geſchrieben, (ἐγγεγςαμένα), damit ſie ſo wohl vor dem Untergang des Waſſers, als Feuers ſicher ſeyn moͤchte. Dem erſten Anſehen nach laͤßt ſich dieſe Erzehlung gantz wohl hoͤren. Wenn ich aber bedencke, daß Joſephus erſt um das Jahr Chriſti 48. gelebet habe, ſo fange ich ſchon an zu zweifeln, ob Joſephus die Wahrheit hat wiſſen koͤnnen? Betrachte ich hernach die Erzehlung ſelbſt, ſo zweifle ich nicht mehr, ſondern ich bin uͤberzeugt, daß ſelbige keinen Beyfall wuͤrdig ſey. Erſtlich uͤberlege man, ob es wohl wahrſcheinlich, daß die Sethiter, als Pro- pheten, nicht gewuſt haben ſollen, daß die gantze Erde durch die Suͤndfluth verderbet werden ſollte? Haben ſie es gewußt, warum haben ſie ſich vor das Feuer gefuͤrchtet, und alſo zugleich zwey Saͤulen verferti- get, eine wider den Untergang des Feuers, und eine wider den Untergang des Waſſers. Man ſchreibt dieſen Sethitern ferner eine uͤberaus groſſe Wiſſen- ſchaft in der Naturlehre zu; Sollten ſie alſo nicht ſo klug geweſen ſeyn und eingeſehen haben, daß ihre Saͤulen wider das Feuer und Waſſer nicht hinlaͤng- lich waͤren. Eines hebt das andere auf. Es mag aber dieſes oder jenes wahr ſeyn, ſo folgt unwiderſprech- lich daraus, daß Joſephi Erzehlung mit der Wahr- heit nicht uͤberein komme. Folglich gilt dieſer Be- weiß nichts. Es ſtehet auch beym Joſepho nicht, daß die Sethiter die Kuuſt zu ſchreiben zu erſt erfunden haͤtten, ſondern nur ſo viel, ſie haͤtten ihre erfundene Kunſt auf ihre Saͤulen geſchrieben. Und warum iſt denn Niemand von dieſen Sethitern genau beſtimmt, da

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Zitationshilfe: [Gessner, Christian Friedrich]: Der so nöthig als nützlichen Buchdruckerkunst und Schriftgießerey. Bd. 2. Leipzig, 1740, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_buchdruckerkunst02_1740/231>, abgerufen am 19.05.2024.