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[Gessner, Christian Friedrich]: Der so nöthig als nützlichen Buchdruckerkunst und Schriftgießerey. Bd. 2. Leipzig, 1740.

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Cap. 2. Von Erfindung
ben hat? Folglich ist die Frage nicht, ob GOtt ge-
konnt oder gewolt hat? Oder ob die Erfindung der
Buchstaben, als etwas gutes, GOtt zuzuschreiben sey,
indem er den Menschen den Verstand gegeben hat,
darauf zu verfallen.

Jch wende mich also zu den Menschen, und suche
bey denselben den ersten Erfinder der Buchstaben.
Wenn ich leichtgläubig wäre, so müste ich Adam da-
vor ausgeben. Es haben sich Leute gefunden, die
dieses mit Gewalt haben erweisen wollen. Sie wis-
sen Bücher anzuführen, welche Adam mit eigener
Hand geschrieben haben soll; Und zu Rom in der Bi-
bliotheca Vaticana
weißt man noch unterschiedliche
Säulen, worauf Adams erfundene Buchstaben seyn
sollen. Alleine alle Zeugnisse, die man beybringt, sind
in Ansehung der Zeit, da Adam gelebt, und in An-
sehung der Zeit, da diese Zeugen gelebt haben, sehr neu,
daß man sie als untüchtige Zeugen allerdings verwerf-
fen muß, die die Wahrheit nicht haben sagen können.
Die Bücher sind erdichtet, und die Buchstaben, so
auf den Säulen zu Rom zusehen, hat Adam niemals
geschrieben. Wer indessen die Figuren betrachten
will, der sehe unsere Tab. XXI.

Andere verfallen auf einen andern Jrrweg. Sie
sprechen zwar Adam diese Ehre ab, sie theilen sie aber
wieder einem unrechten Mann zu. Sie halten nem-
lich Seth vor den Erfinder der Buchstaben. Da-
mit diese Fabel recht ehrwürdig klingen möchte, so
hat man vorgegeben: Seth wäre von einem Engel
in Himmel geführet worden, woselbst er nicht nur die
Kunst-Buchstaben zu schreiben, sondern auch die Stern-
seherkunst gelernet habe. Und dieses will man daher
wissen und beweisen, weil der Jüdische Geschichtschrei-

ber

Cap. 2. Von Erfindung
ben hat? Folglich iſt die Frage nicht, ob GOtt ge-
konnt oder gewolt hat? Oder ob die Erfindung der
Buchſtaben, als etwas gutes, GOtt zuzuſchreiben ſey,
indem er den Menſchen den Verſtand gegeben hat,
darauf zu verfallen.

Jch wende mich alſo zu den Menſchen, und ſuche
bey denſelben den erſten Erfinder der Buchſtaben.
Wenn ich leichtglaͤubig waͤre, ſo muͤſte ich Adam da-
vor ausgeben. Es haben ſich Leute gefunden, die
dieſes mit Gewalt haben erweiſen wollen. Sie wiſ-
ſen Buͤcher anzufuͤhren, welche Adam mit eigener
Hand geſchrieben haben ſoll; Und zu Rom in der Bi-
bliotheca Vaticana
weißt man noch unterſchiedliche
Saͤulen, worauf Adams erfundene Buchſtaben ſeyn
ſollen. Alleine alle Zeugniſſe, die man beybringt, ſind
in Anſehung der Zeit, da Adam gelebt, und in An-
ſehung der Zeit, da dieſe Zeugen gelebt haben, ſehr neu,
daß man ſie als untuͤchtige Zeugen allerdings verwerf-
fen muß, die die Wahrheit nicht haben ſagen koͤnnen.
Die Buͤcher ſind erdichtet, und die Buchſtaben, ſo
auf den Saͤulen zu Rom zuſehen, hat Adam niemals
geſchrieben. Wer indeſſen die Figuren betrachten
will, der ſehe unſere Tab. XXI.

Andere verfallen auf einen andern Jrrweg. Sie
ſprechen zwar Adam dieſe Ehre ab, ſie theilen ſie aber
wieder einem unrechten Mann zu. Sie halten nem-
lich Seth vor den Erfinder der Buchſtaben. Da-
mit dieſe Fabel recht ehrwuͤrdig klingen moͤchte, ſo
hat man vorgegeben: Seth waͤre von einem Engel
in Himmel gefuͤhret worden, woſelbſt er nicht nur die
Kunſt-Buchſtaben zu ſchreiben, ſondern auch die Stern-
ſeherkunſt gelernet habe. Und dieſes will man daher
wiſſen und beweiſen, weil der Juͤdiſche Geſchichtſchrei-

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[154/0228] Cap. 2. Von Erfindung ben hat? Folglich iſt die Frage nicht, ob GOtt ge- konnt oder gewolt hat? Oder ob die Erfindung der Buchſtaben, als etwas gutes, GOtt zuzuſchreiben ſey, indem er den Menſchen den Verſtand gegeben hat, darauf zu verfallen. Jch wende mich alſo zu den Menſchen, und ſuche bey denſelben den erſten Erfinder der Buchſtaben. Wenn ich leichtglaͤubig waͤre, ſo muͤſte ich Adam da- vor ausgeben. Es haben ſich Leute gefunden, die dieſes mit Gewalt haben erweiſen wollen. Sie wiſ- ſen Buͤcher anzufuͤhren, welche Adam mit eigener Hand geſchrieben haben ſoll; Und zu Rom in der Bi- bliotheca Vaticana weißt man noch unterſchiedliche Saͤulen, worauf Adams erfundene Buchſtaben ſeyn ſollen. Alleine alle Zeugniſſe, die man beybringt, ſind in Anſehung der Zeit, da Adam gelebt, und in An- ſehung der Zeit, da dieſe Zeugen gelebt haben, ſehr neu, daß man ſie als untuͤchtige Zeugen allerdings verwerf- fen muß, die die Wahrheit nicht haben ſagen koͤnnen. Die Buͤcher ſind erdichtet, und die Buchſtaben, ſo auf den Saͤulen zu Rom zuſehen, hat Adam niemals geſchrieben. Wer indeſſen die Figuren betrachten will, der ſehe unſere Tab. XXI. Andere verfallen auf einen andern Jrrweg. Sie ſprechen zwar Adam dieſe Ehre ab, ſie theilen ſie aber wieder einem unrechten Mann zu. Sie halten nem- lich Seth vor den Erfinder der Buchſtaben. Da- mit dieſe Fabel recht ehrwuͤrdig klingen moͤchte, ſo hat man vorgegeben: Seth waͤre von einem Engel in Himmel gefuͤhret worden, woſelbſt er nicht nur die Kunſt-Buchſtaben zu ſchreiben, ſondern auch die Stern- ſeherkunſt gelernet habe. Und dieſes will man daher wiſſen und beweiſen, weil der Juͤdiſche Geſchichtſchrei- ber

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Zitationshilfe: [Gessner, Christian Friedrich]: Der so nöthig als nützlichen Buchdruckerkunst und Schriftgießerey. Bd. 2. Leipzig, 1740, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_buchdruckerkunst02_1740/228>, abgerufen am 22.11.2024.