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[Gessner, Christian Friedrich]: Der so nöthig als nützlichen Buchdruckerkunst und Schriftgießerey. Bd. 2. Leipzig, 1740.

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der Buchstaben.
nahe auf den ersten Einfall, indem sie GOtt vor den
ersten Erfinder der Buchstaben ausgeben. Er hätte
nemlich das Gesetz mit feuerigen Buchstaben noch vor
Erschaffung der Welt bey sich gehabt. Wer hat
doch diese Buchstaben vor Erschaffung der Welt ge-
sehen, und es hernach denen Juden gesagt? Man
bringe tüchtige Zeugen, ausserdem sind es überflüßige
Gedancken, die man kaum träumenden Menschen zu
gute halten wird. Ey sprechen einige, die Juden ha-
ben dieses nicht alleine geglaubt, der vernünftige Pli-
nius
hat es ja auch gesagt, daß der Gebrauch der
Buchstaben ewig sey.
Vsus litterarum aeternus
fuit, Hist. Nat. Lib. VII. c.
56. Alleine, ich finde in
diesen Worten keine Ewigkeit der Buchstaben. Das
Wort aeternus, heißt ja nicht allemal ewig, sondern
es bedeutet öfters so viel: als von undencklichen Jah-
ren,
oder einer sehr langen Zeit. Und dieses ist
wahr, die Buchstaben sind von undencklichen, oder
langen Zeiten her, erfunden worden. Alleine ewig sind
sie nicht. Man müste den sagen wollen, sie sind von
Ewigkeit her möglich gewesen. So will man sich
insgemein helfen, wenn man nicht weiter fortkommen
kan. Nach meinen Begriffen ist zwischen möglich,
und würcklich seyn ein gar grosser Unterschied. Je-
doch was halte ich mich mit diesen Fabeln auf? Das
blosse erzehlen, heißt selbige schon wiederlegen.

Jch glaube demnach, daß weder GOtt, noch die
Engel die ersten Erfinder der Buchstaben gewesen sind.
Man lege mir aber diesen Satz nicht übel aus, als
wenn ich GOttes Macht, Weißheit und Willen zu
nahe treten wollte. Denn hier ist die Frage: wen
würcklich zu allererst durch geschriebene Buchstaben
andern Menschen seine Gedancken zu verstehen gege-

ben
K 5

der Buchſtaben.
nahe auf den erſten Einfall, indem ſie GOtt vor den
erſten Erfinder der Buchſtaben ausgeben. Er haͤtte
nemlich das Geſetz mit feuerigen Buchſtaben noch vor
Erſchaffung der Welt bey ſich gehabt. Wer hat
doch dieſe Buchſtaben vor Erſchaffung der Welt ge-
ſehen, und es hernach denen Juden geſagt? Man
bringe tuͤchtige Zeugen, auſſerdem ſind es uͤberfluͤßige
Gedancken, die man kaum traͤumenden Menſchen zu
gute halten wird. Ey ſprechen einige, die Juden ha-
ben dieſes nicht alleine geglaubt, der vernuͤnftige Pli-
nius
hat es ja auch geſagt, daß der Gebrauch der
Buchſtaben ewig ſey.
Vſus litterarum æternus
fuit, Hiſt. Nat. Lib. VII. c.
56. Alleine, ich finde in
dieſen Worten keine Ewigkeit der Buchſtaben. Das
Wort aeternus, heißt ja nicht allemal ewig, ſondern
es bedeutet oͤfters ſo viel: als von undencklichen Jah-
ren,
oder einer ſehr langen Zeit. Und dieſes iſt
wahr, die Buchſtaben ſind von undencklichen, oder
langen Zeiten her, erfunden worden. Alleine ewig ſind
ſie nicht. Man muͤſte den ſagen wollen, ſie ſind von
Ewigkeit her moͤglich geweſen. So will man ſich
insgemein helfen, wenn man nicht weiter fortkommen
kan. Nach meinen Begriffen iſt zwiſchen moͤglich,
und wuͤrcklich ſeyn ein gar groſſer Unterſchied. Je-
doch was halte ich mich mit dieſen Fabeln auf? Das
bloſſe erzehlen, heißt ſelbige ſchon wiederlegen.

Jch glaube demnach, daß weder GOtt, noch die
Engel die erſten Erfinder der Buchſtaben geweſen ſind.
Man lege mir aber dieſen Satz nicht uͤbel aus, als
wenn ich GOttes Macht, Weißheit und Willen zu
nahe treten wollte. Denn hier iſt die Frage: wen
wuͤrcklich zu allererſt durch geſchriebene Buchſtaben
andern Menſchen ſeine Gedancken zu verſtehen gege-

ben
K 5
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[153/0227] der Buchſtaben. nahe auf den erſten Einfall, indem ſie GOtt vor den erſten Erfinder der Buchſtaben ausgeben. Er haͤtte nemlich das Geſetz mit feuerigen Buchſtaben noch vor Erſchaffung der Welt bey ſich gehabt. Wer hat doch dieſe Buchſtaben vor Erſchaffung der Welt ge- ſehen, und es hernach denen Juden geſagt? Man bringe tuͤchtige Zeugen, auſſerdem ſind es uͤberfluͤßige Gedancken, die man kaum traͤumenden Menſchen zu gute halten wird. Ey ſprechen einige, die Juden ha- ben dieſes nicht alleine geglaubt, der vernuͤnftige Pli- nius hat es ja auch geſagt, daß der Gebrauch der Buchſtaben ewig ſey. Vſus litterarum æternus fuit, Hiſt. Nat. Lib. VII. c. 56. Alleine, ich finde in dieſen Worten keine Ewigkeit der Buchſtaben. Das Wort aeternus, heißt ja nicht allemal ewig, ſondern es bedeutet oͤfters ſo viel: als von undencklichen Jah- ren, oder einer ſehr langen Zeit. Und dieſes iſt wahr, die Buchſtaben ſind von undencklichen, oder langen Zeiten her, erfunden worden. Alleine ewig ſind ſie nicht. Man muͤſte den ſagen wollen, ſie ſind von Ewigkeit her moͤglich geweſen. So will man ſich insgemein helfen, wenn man nicht weiter fortkommen kan. Nach meinen Begriffen iſt zwiſchen moͤglich, und wuͤrcklich ſeyn ein gar groſſer Unterſchied. Je- doch was halte ich mich mit dieſen Fabeln auf? Das bloſſe erzehlen, heißt ſelbige ſchon wiederlegen. Jch glaube demnach, daß weder GOtt, noch die Engel die erſten Erfinder der Buchſtaben geweſen ſind. Man lege mir aber dieſen Satz nicht uͤbel aus, als wenn ich GOttes Macht, Weißheit und Willen zu nahe treten wollte. Denn hier iſt die Frage: wen wuͤrcklich zu allererſt durch geſchriebene Buchſtaben andern Menſchen ſeine Gedancken zu verſtehen gege- ben K 5

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Zitationshilfe: [Gessner, Christian Friedrich]: Der so nöthig als nützlichen Buchdruckerkunst und Schriftgießerey. Bd. 2. Leipzig, 1740, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_buchdruckerkunst02_1740/227>, abgerufen am 19.05.2024.