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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831.

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Stützlinie für das Kreisgewölbe.
Fig.
2.
Tab.
19.

Wäre daher das Gewölbe im Schlusse schwächer als [Formel 1] , so würde dieser Druck über
die Gewölbsdicke hinausfallen, demnach an dem gegenüber stehenden Gewölbtheile kei-
ne Unterstützung finden, und der Einsturz des Gewölbes nicht gehindert werden können.
Es bleibt hiebei noch zu bemerken, dass [Formel 2] die geringste Stärke des Gewölbes
im Scheitel
ist, und dass man, wenn man auf einige Sicherheit rechnen will, den
Stützpunkt G des Gewölbes in die Mitte der Gewölbdicke (d) zu setzen hat, woraus die
Dicke des Gewölbes im Schlusse [Formel 3] folgt. Da die Entfernung E H = 2 a
ist, so folgt hieraus die von praktischen Baumeistern angenommene Regel, dass man,
um die Gewölbsdicke im Schlusse zu erhalten, die Spannweite des
Gewölbes im Lichten durch
24 dividiren müsse. Dass in diesem Falle die
Stabilität des Gewölbes nur auf der Grösse [Formel 4] beruhe, versteht sich von selbst.

Hiebei ist noch zu bemerken, dass bei der Herstellung des Gewölbes die Gewölb-
steine zu beiden Seiten vom untern Ende nach und nach gegen die Mitte auf den Lehr-
bogen gelegt werden; der mittlere Gewölbstein (Schlusstein) muss jedoch, da er frei
senkrecht herabhängt, mit grosser Kraft eingekeilt werden, um dem horizontalen Drucke,
den das Gewölbe im Scheitel äussert, den gehörigen Widerstand zu leisten. Weil aber
der Lehrbogen sehr leicht dem Drucke, der durch dieses Einkeilen entsteht, nachgeben,
folglich derselbe, und mit ihm auch das Gewölbe am Schlusse zu tief herab gedrückt wer-
den kann, so ist die Vorsicht nöthig, den Lehrbogen an diesem Orte zu unterstützen, da-
mit er nicht nachgibt. Erfahrene Baumeister pflegen aber überdiess noch den obersten
Gewölbsteinen etwas unterzulegen, damit auf solche Art das Gewölbe höher gehalten wer-
de, und wenn es sich nach dem Ausschlagen der Lehrbögen setzt, den gehörigen Stand
erhalten möge.

Nachdem auf diese Art die zwei obern Theile des Gewölbes A B und B D in das
Gleichgewicht gestellt wurden, bleibt nur noch die Stützlinie für den 3ten Theil D E des
Gewölbes zu suchen.

Wenn der 2te Theil B D des Gewölbes von dem dritten D E gehörig gestützt werden
soll, so muss sich tang b : tang g = 3 : 5 verhalten, und da tang b = 1 ist, so muss
tang [Formel 5] seyn. Diess entspricht einem Winkel von beinahe 59 Grad. Nun ist aber
im Kreise der Winkel D E C = 75°; man sieht daher, dass die Stützlinie hinter den
Punkt E gegen die Widerlagsmauer zurücktritt, folglich aus dem Gewölbbogen
austreten müsse
. Um diess zu verhüten, pflegt man in der Ausübung die Winkel,
welche die Widerlagsmauern mit dem Gewölbe beiderseits bilden, von unten bis zum Bo-
gen von 45° auszumauern. Diess Mauerwerk oder die sogenannte Hintermauerung
muss jedoch in das Gewölbe eingebunden werden, um hiemit eine Masse zu
bilden, innerhalb welcher die Stützlinie nunmehr verbleibt.

Da hiedurch die Rechnung geändert wird, so pflegt man bei dem Winkel von 45
Grad aus dem Punkte K die Tangente K J zu ziehen, und die innere Linie der Wider-
lagsmauer von E bis nach J zu verlängern. Wird nun J mit C verbunden, so sieht man, dass

Stützlinie für das Kreisgewölbe.
Fig.
2.
Tab.
19.

Wäre daher das Gewölbe im Schlusse schwächer als [Formel 1] , so würde dieser Druck über
die Gewölbsdicke hinausfallen, demnach an dem gegenüber stehenden Gewölbtheile kei-
ne Unterstützung finden, und der Einsturz des Gewölbes nicht gehindert werden können.
Es bleibt hiebei noch zu bemerken, dass [Formel 2] die geringste Stärke des Gewölbes
im Scheitel
ist, und dass man, wenn man auf einige Sicherheit rechnen will, den
Stützpunkt G des Gewölbes in die Mitte der Gewölbdicke (δ) zu setzen hat, woraus die
Dicke des Gewölbes im Schlusse [Formel 3] folgt. Da die Entfernung E H = 2 a
ist, so folgt hieraus die von praktischen Baumeistern angenommene Regel, dass man,
um die Gewölbsdicke im Schlusse zu erhalten, die Spannweite des
Gewölbes im Lichten durch
24 dividiren müsse. Dass in diesem Falle die
Stabilität des Gewölbes nur auf der Grösse [Formel 4] beruhe, versteht sich von selbst.

Hiebei ist noch zu bemerken, dass bei der Herstellung des Gewölbes die Gewölb-
steine zu beiden Seiten vom untern Ende nach und nach gegen die Mitte auf den Lehr-
bogen gelegt werden; der mittlere Gewölbstein (Schlusstein) muss jedoch, da er frei
senkrecht herabhängt, mit grosser Kraft eingekeilt werden, um dem horizontalen Drucke,
den das Gewölbe im Scheitel äussert, den gehörigen Widerstand zu leisten. Weil aber
der Lehrbogen sehr leicht dem Drucke, der durch dieses Einkeilen entsteht, nachgeben,
folglich derselbe, und mit ihm auch das Gewölbe am Schlusse zu tief herab gedrückt wer-
den kann, so ist die Vorsicht nöthig, den Lehrbogen an diesem Orte zu unterstützen, da-
mit er nicht nachgibt. Erfahrene Baumeister pflegen aber überdiess noch den obersten
Gewölbsteinen etwas unterzulegen, damit auf solche Art das Gewölbe höher gehalten wer-
de, und wenn es sich nach dem Ausschlagen der Lehrbögen setzt, den gehörigen Stand
erhalten möge.

Nachdem auf diese Art die zwei obern Theile des Gewölbes A B und B D in das
Gleichgewicht gestellt wurden, bleibt nur noch die Stützlinie für den 3ten Theil D E des
Gewölbes zu suchen.

Wenn der 2te Theil B D des Gewölbes von dem dritten D E gehörig gestützt werden
soll, so muss sich tang β : tang γ = 3 : 5 verhalten, und da tang β = 1 ist, so muss
tang [Formel 5] seyn. Diess entspricht einem Winkel von beinahe 59 Grad. Nun ist aber
im Kreise der Winkel D E C = 75°; man sieht daher, dass die Stützlinie hinter den
Punkt E gegen die Widerlagsmauer zurücktritt, folglich aus dem Gewölbbogen
austreten müsse
. Um diess zu verhüten, pflegt man in der Ausübung die Winkel,
welche die Widerlagsmauern mit dem Gewölbe beiderseits bilden, von unten bis zum Bo-
gen von 45° auszumauern. Diess Mauerwerk oder die sogenannte Hintermauerung
muss jedoch in das Gewölbe eingebunden werden, um hiemit eine Masse zu
bilden, innerhalb welcher die Stützlinie nunmehr verbleibt.

Da hiedurch die Rechnung geändert wird, so pflegt man bei dem Winkel von 45
Grad aus dem Punkte K die Tangente K J zu ziehen, und die innere Linie der Wider-
lagsmauer von E bis nach J zu verlängern. Wird nun J mit C verbunden, so sieht man, dass

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[420/0450] Stützlinie für das Kreisgewölbe. Wäre daher das Gewölbe im Schlusse schwächer als [FORMEL], so würde dieser Druck über die Gewölbsdicke hinausfallen, demnach an dem gegenüber stehenden Gewölbtheile kei- ne Unterstützung finden, und der Einsturz des Gewölbes nicht gehindert werden können. Es bleibt hiebei noch zu bemerken, dass [FORMEL] die geringste Stärke des Gewölbes im Scheitel ist, und dass man, wenn man auf einige Sicherheit rechnen will, den Stützpunkt G des Gewölbes in die Mitte der Gewölbdicke (δ) zu setzen hat, woraus die Dicke des Gewölbes im Schlusse [FORMEL] folgt. Da die Entfernung E H = 2 a ist, so folgt hieraus die von praktischen Baumeistern angenommene Regel, dass man, um die Gewölbsdicke im Schlusse zu erhalten, die Spannweite des Gewölbes im Lichten durch 24 dividiren müsse. Dass in diesem Falle die Stabilität des Gewölbes nur auf der Grösse [FORMEL] beruhe, versteht sich von selbst. Hiebei ist noch zu bemerken, dass bei der Herstellung des Gewölbes die Gewölb- steine zu beiden Seiten vom untern Ende nach und nach gegen die Mitte auf den Lehr- bogen gelegt werden; der mittlere Gewölbstein (Schlusstein) muss jedoch, da er frei senkrecht herabhängt, mit grosser Kraft eingekeilt werden, um dem horizontalen Drucke, den das Gewölbe im Scheitel äussert, den gehörigen Widerstand zu leisten. Weil aber der Lehrbogen sehr leicht dem Drucke, der durch dieses Einkeilen entsteht, nachgeben, folglich derselbe, und mit ihm auch das Gewölbe am Schlusse zu tief herab gedrückt wer- den kann, so ist die Vorsicht nöthig, den Lehrbogen an diesem Orte zu unterstützen, da- mit er nicht nachgibt. Erfahrene Baumeister pflegen aber überdiess noch den obersten Gewölbsteinen etwas unterzulegen, damit auf solche Art das Gewölbe höher gehalten wer- de, und wenn es sich nach dem Ausschlagen der Lehrbögen setzt, den gehörigen Stand erhalten möge. Nachdem auf diese Art die zwei obern Theile des Gewölbes A B und B D in das Gleichgewicht gestellt wurden, bleibt nur noch die Stützlinie für den 3ten Theil D E des Gewölbes zu suchen. Wenn der 2te Theil B D des Gewölbes von dem dritten D E gehörig gestützt werden soll, so muss sich tang β : tang γ = 3 : 5 verhalten, und da tang β = 1 ist, so muss tang [FORMEL] seyn. Diess entspricht einem Winkel von beinahe 59 Grad. Nun ist aber im Kreise der Winkel D E C = 75°; man sieht daher, dass die Stützlinie hinter den Punkt E gegen die Widerlagsmauer zurücktritt, folglich aus dem Gewölbbogen austreten müsse. Um diess zu verhüten, pflegt man in der Ausübung die Winkel, welche die Widerlagsmauern mit dem Gewölbe beiderseits bilden, von unten bis zum Bo- gen von 45° auszumauern. Diess Mauerwerk oder die sogenannte Hintermauerung muss jedoch in das Gewölbe eingebunden werden, um hiemit eine Masse zu bilden, innerhalb welcher die Stützlinie nunmehr verbleibt. Da hiedurch die Rechnung geändert wird, so pflegt man bei dem Winkel von 45 Grad aus dem Punkte K die Tangente K J zu ziehen, und die innere Linie der Wider- lagsmauer von E bis nach J zu verlängern. Wird nun J mit C verbunden, so sieht man, dass

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Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik01_1831/450>, abgerufen am 20.04.2024.