drei Fällen wird nämlich die Querschnittsfläche der Ketten F einen gleichen Werth erhalten, wenn in der Gleichung p =
[Formel 1]
die Belastung p, die Länge L und die zu- lässige Ausdehnung oder der Spielraum der Brücke e gleich bleiben sollen. Da nun unter diesen 3 Materialien das Stabeisen um einen geringern Preis als Draht und Stahl zu haben ist, so sieht man, dass Kettenbrücken von Stabeisen sowohl den Draht- als Stahlbrücken vorzuziehen seyn werden.
III. Ist hier noch zu bemerken, dass, wenn man die Ausdehnung einer Kette zur Bestimmung des Einsinkens in der Mitte des Kettenbogens berücksichtiget, man hiebei nicht bloss die Länge des Bogens, an welchem die Brückenbahn hängt, sondern jederzeit die ganze Länge der Kette von einem Uferbefestigungspunkte bis zum andern annehmen müsse, weil die horizontale Spannung der Kette durchaus gleich gross ist. Man muss daher auch in die Proportion §. 271, wodurch das Einsinken in der Mitte oder die Oscilla- tionen der Brücke bestimmt werden, diese ganze Länge setzen. Da nun gewöhnlich die Länge der Ketten von ihrer Verankerung bis zum Pfeiler beinahe eben so viel, als von dem Pfeiler bis zur Mitte der Brückenbahn beträgt, wie diess bei der Menai- und Hammersmithbrücke in England der Fall ist, so ergibt sich, dass die Spie- lungen der erstern nicht 18 Zoll (nach §. 271), sondern 2mal 18 = 36 Zoll = 3 Fuss betragen werden.
IV. Das Eisen erleidet auch noch von der Wärme und Kälte eine Ausdehnung und Verkürzung. Die Ausdehnung des Eisens beträgt vom Gefrierpunkte bis zum Sie- depunkte oder von 0 bis 80 Grad Reaumur
[Formel 2]
Theile seiner Länge. In unserem Kli- ma beträgt die jährliche Aenderung der Wärme beiläufig 50° Reaumur; also beträgt die gröss- te Aenderung durch die Wärme 5/8 tel der obern oder
[Formel 3]
beinahe. Diess macht beiläufig eben so viel aus, als die Ausdehnung durch die grösste Belastung der Brücke; es wird daher das Einsinken der Kettenbrücke (der sogenannte Pfeil) um eben so viel grösser. Man sieht übrigens, dass, wenn auch eine Kettenbrücke bei der mittlern Tem- peratur aufgestellt wird, dennoch der Unterschied vom Winter zum Sommer sich in ihrer Senkung zeigen werde.
V. Das Eisen nimmt in der Sonne an heissen Tagen 16 bis 20 Grad mehr Wärme an, als die atmosphärische Luft und die übrigen Körper, wodurch also eine weitere Aus- dehnung von
[Formel 4]
erfolgt. Um diese letztere zu verhindern, wurden die neuern Kettenbrücken in England, wie z. B. jene bei Hammersmith nicht schwarz, son- dern mit weisser Oehlfarbe sorgfältig angestrichen, und dieser Anstrich von Zeit zu Zeit erneuert. Die Zweckmässigkeit dieser Maassregel leuchtet von selbst ein.
§. 275.
Da die angeführten Versuche über die absolute Festigkeit des Eisens so verschiede- ne Resultate geben, dass es unmöglich wird, ein allgemeines Maass hierüber festzuset- zen, so wollen wir wenigstens ein beiläufiges Maass bestimmen. Nach Musschen-
Gesetze für die Festigkeit des Eisens.
drei Fällen wird nämlich die Querschnittsfläche der Ketten F einen gleichen Werth erhalten, wenn in der Gleichung p =
[Formel 1]
die Belastung p, die Länge L und die zu- lässige Ausdehnung oder der Spielraum der Brücke e gleich bleiben sollen. Da nun unter diesen 3 Materialien das Stabeisen um einen geringern Preis als Draht und Stahl zu haben ist, so sieht man, dass Kettenbrücken von Stabeisen sowohl den Draht- als Stahlbrücken vorzuziehen seyn werden.
III. Ist hier noch zu bemerken, dass, wenn man die Ausdehnung einer Kette zur Bestimmung des Einsinkens in der Mitte des Kettenbogens berücksichtiget, man hiebei nicht bloss die Länge des Bogens, an welchem die Brückenbahn hängt, sondern jederzeit die ganze Länge der Kette von einem Uferbefestigungspunkte bis zum andern annehmen müsse, weil die horizontale Spannung der Kette durchaus gleich gross ist. Man muss daher auch in die Proportion §. 271, wodurch das Einsinken in der Mitte oder die Oscilla- tionen der Brücke bestimmt werden, diese ganze Länge setzen. Da nun gewöhnlich die Länge der Ketten von ihrer Verankerung bis zum Pfeiler beinahe eben so viel, als von dem Pfeiler bis zur Mitte der Brückenbahn beträgt, wie diess bei der Menai- und Hammersmithbrücke in England der Fall ist, so ergibt sich, dass die Spie- lungen der erstern nicht 18 Zoll (nach §. 271), sondern 2mal 18 = 36 Zoll = 3 Fuss betragen werden.
IV. Das Eisen erleidet auch noch von der Wärme und Kälte eine Ausdehnung und Verkürzung. Die Ausdehnung des Eisens beträgt vom Gefrierpunkte bis zum Sie- depunkte oder von 0 bis 80 Grad Reaumur
[Formel 2]
Theile seiner Länge. In unserem Kli- ma beträgt die jährliche Aenderung der Wärme beiläufig 50° Reaumur; also beträgt die gröss- te Aenderung durch die Wärme ⅝tel der obern oder
[Formel 3]
beinahe. Diess macht beiläufig eben so viel aus, als die Ausdehnung durch die grösste Belastung der Brücke; es wird daher das Einsinken der Kettenbrücke (der sogenannte Pfeil) um eben so viel grösser. Man sieht übrigens, dass, wenn auch eine Kettenbrücke bei der mittlern Tem- peratur aufgestellt wird, dennoch der Unterschied vom Winter zum Sommer sich in ihrer Senkung zeigen werde.
V. Das Eisen nimmt in der Sonne an heissen Tagen 16 bis 20 Grad mehr Wärme an, als die atmosphärische Luft und die übrigen Körper, wodurch also eine weitere Aus- dehnung von
[Formel 4]
erfolgt. Um diese letztere zu verhindern, wurden die neuern Kettenbrücken in England, wie z. B. jene bei Hammersmith nicht schwarz, son- dern mit weisser Oehlfarbe sorgfältig angestrichen, und dieser Anstrich von Zeit zu Zeit erneuert. Die Zweckmässigkeit dieser Maassregel leuchtet von selbst ein.
§. 275.
Da die angeführten Versuche über die absolute Festigkeit des Eisens so verschiede- ne Resultate geben, dass es unmöglich wird, ein allgemeines Maass hierüber festzuset- zen, so wollen wir wenigstens ein beiläufiges Maass bestimmen. Nach Musschen-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0312"n="282"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#i">Gesetze für die Festigkeit des Eisens.</hi></fw><lb/>
drei Fällen wird nämlich die Querschnittsfläche der Ketten F einen gleichen Werth<lb/>
erhalten, wenn in der Gleichung p = <formula/> die Belastung p, die Länge L und die zu-<lb/>
lässige Ausdehnung oder der Spielraum der Brücke e gleich bleiben sollen. Da nun unter<lb/>
diesen 3 Materialien das Stabeisen um einen geringern Preis als Draht und Stahl zu haben<lb/>
ist, so sieht man, <hirendition="#g">dass Kettenbrücken von Stabeisen sowohl den Draht-<lb/>
als Stahlbrücken vorzuziehen seyn werden</hi>.</p><lb/><p>III. Ist hier noch zu bemerken, dass, wenn man die Ausdehnung einer Kette zur<lb/>
Bestimmung des Einsinkens in der Mitte des Kettenbogens berücksichtiget, man hiebei nicht<lb/>
bloss die Länge des Bogens, an welchem die Brückenbahn hängt, sondern jederzeit die<lb/>
ganze Länge der Kette von einem Uferbefestigungspunkte bis zum andern annehmen<lb/>
müsse, weil die horizontale Spannung der Kette durchaus gleich gross ist. Man muss<lb/>
daher auch in die Proportion §. 271, wodurch das Einsinken in der Mitte oder die Oscilla-<lb/>
tionen der Brücke bestimmt werden, diese ganze Länge setzen. Da nun gewöhnlich die<lb/>
Länge der Ketten von ihrer Verankerung bis zum Pfeiler <hirendition="#g">beinahe</hi> eben so viel, als von<lb/>
dem Pfeiler bis zur Mitte der Brückenbahn beträgt, wie diess bei der <hirendition="#g">Menai-</hi> und<lb/><hirendition="#g">Hammersmithbrücke</hi> in England der Fall ist, so ergibt sich, dass die Spie-<lb/>
lungen der erstern nicht 18 Zoll (nach §. 271), sondern 2mal 18 = 36 Zoll = 3 Fuss<lb/>
betragen werden.</p><lb/><p>IV. Das Eisen erleidet auch noch von der Wärme und Kälte eine Ausdehnung<lb/>
und Verkürzung. Die Ausdehnung des Eisens beträgt vom Gefrierpunkte bis zum Sie-<lb/>
depunkte oder von 0 bis 80 Grad Reaumur <formula/> Theile seiner Länge. In unserem Kli-<lb/>
ma beträgt die jährliche Aenderung der Wärme beiläufig 50° Reaumur; also beträgt die gröss-<lb/>
te Aenderung durch die Wärme ⅝tel der obern oder <formula/> beinahe. Diess macht<lb/>
beiläufig eben so viel aus, als die Ausdehnung durch die grösste Belastung der Brücke; es<lb/>
wird daher das Einsinken der Kettenbrücke (der sogenannte <hirendition="#g">Pfeil</hi>) um eben so viel<lb/>
grösser. Man sieht übrigens, dass, wenn auch eine Kettenbrücke bei der mittlern Tem-<lb/>
peratur aufgestellt wird, dennoch der Unterschied vom Winter zum Sommer sich in<lb/>
ihrer Senkung zeigen werde.</p><lb/><p>V. Das Eisen nimmt in der Sonne an heissen Tagen 16 bis 20 Grad mehr Wärme<lb/>
an, als die atmosphärische Luft und die übrigen Körper, wodurch also eine weitere Aus-<lb/>
dehnung von <formula/> erfolgt. Um diese letztere zu verhindern, wurden die<lb/>
neuern Kettenbrücken in England, wie z. B. jene bei <hirendition="#g">Hammersmith</hi> nicht schwarz, son-<lb/>
dern mit <hirendition="#g">weisser</hi> Oehlfarbe sorgfältig angestrichen, und dieser Anstrich von Zeit zu Zeit<lb/>
erneuert. Die Zweckmässigkeit dieser Maassregel leuchtet von selbst ein.</p></div><lb/><divn="4"><head>§. 275.</head><lb/><p>Da die angeführten Versuche über die absolute Festigkeit des Eisens so verschiede-<lb/>
ne Resultate geben, dass es unmöglich wird, ein allgemeines Maass hierüber festzuset-<lb/>
zen, so wollen wir wenigstens ein beiläufiges Maass bestimmen. Nach <hirendition="#i">Musschen-</hi></p><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[282/0312]
Gesetze für die Festigkeit des Eisens.
drei Fällen wird nämlich die Querschnittsfläche der Ketten F einen gleichen Werth
erhalten, wenn in der Gleichung p = [FORMEL] die Belastung p, die Länge L und die zu-
lässige Ausdehnung oder der Spielraum der Brücke e gleich bleiben sollen. Da nun unter
diesen 3 Materialien das Stabeisen um einen geringern Preis als Draht und Stahl zu haben
ist, so sieht man, dass Kettenbrücken von Stabeisen sowohl den Draht-
als Stahlbrücken vorzuziehen seyn werden.
III. Ist hier noch zu bemerken, dass, wenn man die Ausdehnung einer Kette zur
Bestimmung des Einsinkens in der Mitte des Kettenbogens berücksichtiget, man hiebei nicht
bloss die Länge des Bogens, an welchem die Brückenbahn hängt, sondern jederzeit die
ganze Länge der Kette von einem Uferbefestigungspunkte bis zum andern annehmen
müsse, weil die horizontale Spannung der Kette durchaus gleich gross ist. Man muss
daher auch in die Proportion §. 271, wodurch das Einsinken in der Mitte oder die Oscilla-
tionen der Brücke bestimmt werden, diese ganze Länge setzen. Da nun gewöhnlich die
Länge der Ketten von ihrer Verankerung bis zum Pfeiler beinahe eben so viel, als von
dem Pfeiler bis zur Mitte der Brückenbahn beträgt, wie diess bei der Menai- und
Hammersmithbrücke in England der Fall ist, so ergibt sich, dass die Spie-
lungen der erstern nicht 18 Zoll (nach §. 271), sondern 2mal 18 = 36 Zoll = 3 Fuss
betragen werden.
IV. Das Eisen erleidet auch noch von der Wärme und Kälte eine Ausdehnung
und Verkürzung. Die Ausdehnung des Eisens beträgt vom Gefrierpunkte bis zum Sie-
depunkte oder von 0 bis 80 Grad Reaumur [FORMEL] Theile seiner Länge. In unserem Kli-
ma beträgt die jährliche Aenderung der Wärme beiläufig 50° Reaumur; also beträgt die gröss-
te Aenderung durch die Wärme ⅝tel der obern oder [FORMEL] beinahe. Diess macht
beiläufig eben so viel aus, als die Ausdehnung durch die grösste Belastung der Brücke; es
wird daher das Einsinken der Kettenbrücke (der sogenannte Pfeil) um eben so viel
grösser. Man sieht übrigens, dass, wenn auch eine Kettenbrücke bei der mittlern Tem-
peratur aufgestellt wird, dennoch der Unterschied vom Winter zum Sommer sich in
ihrer Senkung zeigen werde.
V. Das Eisen nimmt in der Sonne an heissen Tagen 16 bis 20 Grad mehr Wärme
an, als die atmosphärische Luft und die übrigen Körper, wodurch also eine weitere Aus-
dehnung von [FORMEL] erfolgt. Um diese letztere zu verhindern, wurden die
neuern Kettenbrücken in England, wie z. B. jene bei Hammersmith nicht schwarz, son-
dern mit weisser Oehlfarbe sorgfältig angestrichen, und dieser Anstrich von Zeit zu Zeit
erneuert. Die Zweckmässigkeit dieser Maassregel leuchtet von selbst ein.
§. 275.
Da die angeführten Versuche über die absolute Festigkeit des Eisens so verschiede-
ne Resultate geben, dass es unmöglich wird, ein allgemeines Maass hierüber festzuset-
zen, so wollen wir wenigstens ein beiläufiges Maass bestimmen. Nach Musschen-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik01_1831/312>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.