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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831.

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Eigene Versuche über das Eisen.

Diese Versuche zeigen, dass die Festigkeit des Drahtes beiläufig um die Hälfte grösser,
als jene des gewöhnlichen Schmiedeeisens ist, wovon die Ursache in dem Umstande
liegt, dass bei dem Drahtziehen alle jene Stücke zerreissen, die fehlerhaft sind. Wei-
ters hat man gefunden, dass die absolute Festigkeit des ausgeglühten Drahtes nur et-
was mehr als die Hälfte der Festigkeit des unausgeglühten Drahtes betrug.

§. 257.

Im Jahre 1824 wurde mein Vater als Landeswasserbaudirektor aufgefordert, ein
Gutachten über die Anwendbarkeit des in Böhmen erzeugten Eisens zum Baue einer
in Prag über den Moldaufluss zu errichtenden Kettenbrücke abzugeben. Diess veran-
lasste denselben, vorläufig über die Festigkeit, Ausdehnung und Elastici-
tät des Eisens
mehrere Versuche anzustellen, um über die Verhältnisse dieser drei
Potenzen eine nähere Aufklärung und hiedurch einen Leitfaden zur Prüfung der, von
den vorzüglichsten böhmischen Eisenwerken eingeschickten Probeketten zu erhalten.
Der Zweck dieser Versuche ging hauptsächlich dahin, für jede gegebene Belastung der
Brücke nicht nur die nöthige Stärke und das erforderliche Gewicht der Ketten
mit vollkommener Sicherheit zu bestimmen, sondern auch der weitern Ausdehnung
dieser Ketten
auf eine solche Art vorzubeugen, damit hiedurch sowohl die Mög-
lichkeit eines Bruches, als auch das Schlappwerden der Ketten und das bedenkliche
Einsinken der Mitte der Brücken verhütet werde. Dieser doppelte Zweck konnte nur
durch genaue Versuche über die mit jeder Belastung verbundene Ausdehnung des Ei-
sens und über die Grade des Zurückgehens zur vorigen Länge nach aufgehobener Belas-
tung, oder über den Elasticitätszustand des ausgedehnten Eisens erreicht werden.

Die Vermuthung, dass die von mehreren Physikern, vorzüglich in der Nähe des
Bruches beobachteten Irregularitäten in den Mischungsverhältnissen der verschiedenen
fremdartigen Theile des Eisens ihren Grund haben dürften, gab den Anlass, diese
Versuche zuerst mit einem möglichst gleichartigen Eisen vorzunehmen, um aus den Re-
sultaten derselben bestimmte Gesetze abzuleiten, und diese sodann jenen Versuchen
entgegen zu halten, welche mit dem gewöhnlichen Eisen anzustellen wären.

Man glaubte die Eigenschaft einer vollkommenen Gleichförmigkeit des
Eisens in einem vorzüglichen Grade bei jenen Drahtsorten zu finden, welche zu
musikalischen Instrumenten, Clavier, Fortepiano u. dgl. angewendet werden,
indem für die gleiche Beschaffenheit und Festigkeit dieser Drähte die bekannte Erfah-
rung spricht, dass die ungleichartigen Stellen bei dem Drahtziehen zerreissen, dem-
nach nur das gleichförmigste Eisen im Drahte übrig bleibt. Uiberdiess kann auch aus
der Reinheit des Tones auf die gleichförmige Beschaffenheit des Metalles aus physi-
kalischen Gründen geschlossen werden; endlich ist auch bekannt, dass bei dem Stim-
men solcher Instrumente diejenigen Saiten, welche einen Misston verrathen, oder den
Ton nicht halten wollen, und ihrer Spannung unverhältnissmässig nachgeben, bei ihrer Er-
höhung abspringen. In dieser Hinsicht hat man diejenigen Versuche, wobei die Drahtsai-
ten ein plötzliches Nachgeben, oder eine andere Irregularität an Tag legten, weggelas-
sen, und bloss jene aufgenommen, wobei die Beschaffenheit des Drahtes sich bis zum
Zerreissen als vollkommen gleichförmig dargestellt hatte.

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Eigene Versuche über das Eisen.

Diese Versuche zeigen, dass die Festigkeit des Drahtes beiläufig um die Hälfte grösser,
als jene des gewöhnlichen Schmiedeeisens ist, wovon die Ursache in dem Umstande
liegt, dass bei dem Drahtziehen alle jene Stücke zerreissen, die fehlerhaft sind. Wei-
ters hat man gefunden, dass die absolute Festigkeit des ausgeglühten Drahtes nur et-
was mehr als die Hälfte der Festigkeit des unausgeglühten Drahtes betrug.

§. 257.

Im Jahre 1824 wurde mein Vater als Landeswasserbaudirektor aufgefordert, ein
Gutachten über die Anwendbarkeit des in Böhmen erzeugten Eisens zum Baue einer
in Prag über den Moldaufluss zu errichtenden Kettenbrücke abzugeben. Diess veran-
lasste denselben, vorläufig über die Festigkeit, Ausdehnung und Elastici-
tät des Eisens
mehrere Versuche anzustellen, um über die Verhältnisse dieser drei
Potenzen eine nähere Aufklärung und hiedurch einen Leitfaden zur Prüfung der, von
den vorzüglichsten böhmischen Eisenwerken eingeschickten Probeketten zu erhalten.
Der Zweck dieser Versuche ging hauptsächlich dahin, für jede gegebene Belastung der
Brücke nicht nur die nöthige Stärke und das erforderliche Gewicht der Ketten
mit vollkommener Sicherheit zu bestimmen, sondern auch der weitern Ausdehnung
dieser Ketten
auf eine solche Art vorzubeugen, damit hiedurch sowohl die Mög-
lichkeit eines Bruches, als auch das Schlappwerden der Ketten und das bedenkliche
Einsinken der Mitte der Brücken verhütet werde. Dieser doppelte Zweck konnte nur
durch genaue Versuche über die mit jeder Belastung verbundene Ausdehnung des Ei-
sens und über die Grade des Zurückgehens zur vorigen Länge nach aufgehobener Belas-
tung, oder über den Elasticitätszustand des ausgedehnten Eisens erreicht werden.

Die Vermuthung, dass die von mehreren Physikern, vorzüglich in der Nähe des
Bruches beobachteten Irregularitäten in den Mischungsverhältnissen der verschiedenen
fremdartigen Theile des Eisens ihren Grund haben dürften, gab den Anlass, diese
Versuche zuerst mit einem möglichst gleichartigen Eisen vorzunehmen, um aus den Re-
sultaten derselben bestimmte Gesetze abzuleiten, und diese sodann jenen Versuchen
entgegen zu halten, welche mit dem gewöhnlichen Eisen anzustellen wären.

Man glaubte die Eigenschaft einer vollkommenen Gleichförmigkeit des
Eisens in einem vorzüglichen Grade bei jenen Drahtsorten zu finden, welche zu
musikalischen Instrumenten, Clavier, Fortepiano u. dgl. angewendet werden,
indem für die gleiche Beschaffenheit und Festigkeit dieser Drähte die bekannte Erfah-
rung spricht, dass die ungleichartigen Stellen bei dem Drahtziehen zerreissen, dem-
nach nur das gleichförmigste Eisen im Drahte übrig bleibt. Uiberdiess kann auch aus
der Reinheit des Tones auf die gleichförmige Beschaffenheit des Metalles aus physi-
kalischen Gründen geschlossen werden; endlich ist auch bekannt, dass bei dem Stim-
men solcher Instrumente diejenigen Saiten, welche einen Misston verrathen, oder den
Ton nicht halten wollen, und ihrer Spannung unverhältnissmässig nachgeben, bei ihrer Er-
höhung abspringen. In dieser Hinsicht hat man diejenigen Versuche, wobei die Drahtsai-
ten ein plötzliches Nachgeben, oder eine andere Irregularität an Tag legten, weggelas-
sen, und bloss jene aufgenommen, wobei die Beschaffenheit des Drahtes sich bis zum
Zerreissen als vollkommen gleichförmig dargestellt hatte.

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[259/0289] Eigene Versuche über das Eisen. Diese Versuche zeigen, dass die Festigkeit des Drahtes beiläufig um die Hälfte grösser, als jene des gewöhnlichen Schmiedeeisens ist, wovon die Ursache in dem Umstande liegt, dass bei dem Drahtziehen alle jene Stücke zerreissen, die fehlerhaft sind. Wei- ters hat man gefunden, dass die absolute Festigkeit des ausgeglühten Drahtes nur et- was mehr als die Hälfte der Festigkeit des unausgeglühten Drahtes betrug. §. 257. Im Jahre 1824 wurde mein Vater als Landeswasserbaudirektor aufgefordert, ein Gutachten über die Anwendbarkeit des in Böhmen erzeugten Eisens zum Baue einer in Prag über den Moldaufluss zu errichtenden Kettenbrücke abzugeben. Diess veran- lasste denselben, vorläufig über die Festigkeit, Ausdehnung und Elastici- tät des Eisens mehrere Versuche anzustellen, um über die Verhältnisse dieser drei Potenzen eine nähere Aufklärung und hiedurch einen Leitfaden zur Prüfung der, von den vorzüglichsten böhmischen Eisenwerken eingeschickten Probeketten zu erhalten. Der Zweck dieser Versuche ging hauptsächlich dahin, für jede gegebene Belastung der Brücke nicht nur die nöthige Stärke und das erforderliche Gewicht der Ketten mit vollkommener Sicherheit zu bestimmen, sondern auch der weitern Ausdehnung dieser Ketten auf eine solche Art vorzubeugen, damit hiedurch sowohl die Mög- lichkeit eines Bruches, als auch das Schlappwerden der Ketten und das bedenkliche Einsinken der Mitte der Brücken verhütet werde. Dieser doppelte Zweck konnte nur durch genaue Versuche über die mit jeder Belastung verbundene Ausdehnung des Ei- sens und über die Grade des Zurückgehens zur vorigen Länge nach aufgehobener Belas- tung, oder über den Elasticitätszustand des ausgedehnten Eisens erreicht werden. Die Vermuthung, dass die von mehreren Physikern, vorzüglich in der Nähe des Bruches beobachteten Irregularitäten in den Mischungsverhältnissen der verschiedenen fremdartigen Theile des Eisens ihren Grund haben dürften, gab den Anlass, diese Versuche zuerst mit einem möglichst gleichartigen Eisen vorzunehmen, um aus den Re- sultaten derselben bestimmte Gesetze abzuleiten, und diese sodann jenen Versuchen entgegen zu halten, welche mit dem gewöhnlichen Eisen anzustellen wären. Man glaubte die Eigenschaft einer vollkommenen Gleichförmigkeit des Eisens in einem vorzüglichen Grade bei jenen Drahtsorten zu finden, welche zu musikalischen Instrumenten, Clavier, Fortepiano u. dgl. angewendet werden, indem für die gleiche Beschaffenheit und Festigkeit dieser Drähte die bekannte Erfah- rung spricht, dass die ungleichartigen Stellen bei dem Drahtziehen zerreissen, dem- nach nur das gleichförmigste Eisen im Drahte übrig bleibt. Uiberdiess kann auch aus der Reinheit des Tones auf die gleichförmige Beschaffenheit des Metalles aus physi- kalischen Gründen geschlossen werden; endlich ist auch bekannt, dass bei dem Stim- men solcher Instrumente diejenigen Saiten, welche einen Misston verrathen, oder den Ton nicht halten wollen, und ihrer Spannung unverhältnissmässig nachgeben, bei ihrer Er- höhung abspringen. In dieser Hinsicht hat man diejenigen Versuche, wobei die Drahtsai- ten ein plötzliches Nachgeben, oder eine andere Irregularität an Tag legten, weggelas- sen, und bloss jene aufgenommen, wobei die Beschaffenheit des Drahtes sich bis zum Zerreissen als vollkommen gleichförmig dargestellt hatte. 33 *

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Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik01_1831/289>, abgerufen am 29.03.2024.