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Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768.

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Ugolino,
mich keine Fehlbitte thun; gib mir deine Hand darauf. Jtzt
sterb ich vergnügt. Ohne heilige Fürbitten zwar der Knechte
Gottes! Keine Thräne fließt um mich in seinen Tempeln. Kein
Edler im unedlen Pisa trägt meinen wandernden Geist auf den
Flügeln seiner Andacht zum Himmel. Aber wo Jhr seyd, will
Jch seyn. Auf dieser Grabinsel soll mein Geist verweilen, auf
dieser schwanken Spitze hingeheftet ruhn, mit dem Winde Freu-
digkeit des Todes auf euch niederlispeln, bis Jhr verklärt seyd,
wie Jch.
Anselmo. (Entschlossen) Da hast du meine Hand, Kind der
himmlischen Grazie, Erstgebohrner des großen Gherardesca!
Nimm sie, nimm sie zum Zweytenmale. Er soll kriechen! er soll
winseln! Jch bin eingedenk meines Schwurs, des Erstlinggelüb-
des; und ich wills halten.
Francesco. Ah! deine Geister sind im Aufruhr! Sammle
sie, geliebter theurer Anselmo!
Anselmo. Rache! Rache!
Francesco. Es giebt nur Eine. Verzeih ihm.
Anselmo. Wenn das Schwert meiner männlichen Hand
ihn nicht erreichen kann, so treff ihn das Gebet meiner Seele
in der Todesstunde! --
Francesco. Das Gebet ihrer Großmuth und herablassen-
den Huld. So rächen die Beleidigten im Himmel.
Anselmo. O du! -- ich kann deine Glorie nicht ertragen.
Aber es sey, wie du gebiethest.
Francesco. Jch fühls, ich muß eilen. Nimm mein Bru-
der, nimm meinen Abschiedskuß. Jch sollte Gaddo umarmen --
Seltsam! meine Füße wollen mich nicht hintragen. (Lehnt sich auf
Anselmo)
Anselmo. Siehst du? ich bin stark, Francesco.
Francesco. Er schlummert.
An-
Ugolino,
mich keine Fehlbitte thun; gib mir deine Hand darauf. Jtzt
ſterb ich vergnuͤgt. Ohne heilige Fuͤrbitten zwar der Knechte
Gottes! Keine Thraͤne fließt um mich in ſeinen Tempeln. Kein
Edler im unedlen Piſa traͤgt meinen wandernden Geiſt auf den
Fluͤgeln ſeiner Andacht zum Himmel. Aber wo Jhr ſeyd, will
Jch ſeyn. Auf dieſer Grabinſel ſoll mein Geiſt verweilen, auf
dieſer ſchwanken Spitze hingeheftet ruhn, mit dem Winde Freu-
digkeit des Todes auf euch niederliſpeln, bis Jhr verklaͤrt ſeyd,
wie Jch.
Anſelmo. (Entſchloſſen) Da haſt du meine Hand, Kind der
himmliſchen Grazie, Erſtgebohrner des großen Gherardeſca!
Nimm ſie, nimm ſie zum Zweytenmale. Er ſoll kriechen! er ſoll
winſeln! Jch bin eingedenk meines Schwurs, des Erſtlinggeluͤb-
des; und ich wills halten.
Franceſco. Ah! deine Geiſter ſind im Aufruhr! Sammle
ſie, geliebter theurer Anſelmo!
Anſelmo. Rache! Rache!
Franceſco. Es giebt nur Eine. Verzeih ihm.
Anſelmo. Wenn das Schwert meiner maͤnnlichen Hand
ihn nicht erreichen kann, ſo treff ihn das Gebet meiner Seele
in der Todesſtunde! —
Franceſco. Das Gebet ihrer Großmuth und herablaſſen-
den Huld. So raͤchen die Beleidigten im Himmel.
Anſelmo. O du! — ich kann deine Glorie nicht ertragen.
Aber es ſey, wie du gebietheſt.
Franceſco. Jch fuͤhls, ich muß eilen. Nimm mein Bru-
der, nimm meinen Abſchiedskuß. Jch ſollte Gaddo umarmen —
Seltſam! meine Fuͤße wollen mich nicht hintragen. (Lehnt ſich auf
Anſelmo)
Anſelmo. Siehſt du? ich bin ſtark, Franceſco.
Franceſco. Er ſchlummert.
An-
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[56/0062] Ugolino, mich keine Fehlbitte thun; gib mir deine Hand darauf. Jtzt ſterb ich vergnuͤgt. Ohne heilige Fuͤrbitten zwar der Knechte Gottes! Keine Thraͤne fließt um mich in ſeinen Tempeln. Kein Edler im unedlen Piſa traͤgt meinen wandernden Geiſt auf den Fluͤgeln ſeiner Andacht zum Himmel. Aber wo Jhr ſeyd, will Jch ſeyn. Auf dieſer Grabinſel ſoll mein Geiſt verweilen, auf dieſer ſchwanken Spitze hingeheftet ruhn, mit dem Winde Freu- digkeit des Todes auf euch niederliſpeln, bis Jhr verklaͤrt ſeyd, wie Jch. Anſelmo. (Entſchloſſen) Da haſt du meine Hand, Kind der himmliſchen Grazie, Erſtgebohrner des großen Gherardeſca! Nimm ſie, nimm ſie zum Zweytenmale. Er ſoll kriechen! er ſoll winſeln! Jch bin eingedenk meines Schwurs, des Erſtlinggeluͤb- des; und ich wills halten. Franceſco. Ah! deine Geiſter ſind im Aufruhr! Sammle ſie, geliebter theurer Anſelmo! Anſelmo. Rache! Rache! Franceſco. Es giebt nur Eine. Verzeih ihm. Anſelmo. Wenn das Schwert meiner maͤnnlichen Hand ihn nicht erreichen kann, ſo treff ihn das Gebet meiner Seele in der Todesſtunde! — Franceſco. Das Gebet ihrer Großmuth und herablaſſen- den Huld. So raͤchen die Beleidigten im Himmel. Anſelmo. O du! — ich kann deine Glorie nicht ertragen. Aber es ſey, wie du gebietheſt. Franceſco. Jch fuͤhls, ich muß eilen. Nimm mein Bru- der, nimm meinen Abſchiedskuß. Jch ſollte Gaddo umarmen — Seltſam! meine Fuͤße wollen mich nicht hintragen. (Lehnt ſich auf Anſelmo) Anſelmo. Siehſt du? ich bin ſtark, Franceſco. Franceſco. Er ſchlummert. An-

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Zitationshilfe: Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstenberg_ugolino_1768/62>, abgerufen am 24.11.2024.