Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768.Ugolino, Francesco. Du wirst fallen, wie der Stamm einer Eiche, alle deine Aeste um dich her gebreitet. Ugolino. Jst es über dich und deine Brüder gesprochen? Francesco. Gesprochen über alle! Vollzogen an mir! Ugolino. Wie meynst du das? Francesco. Jch bin zu glücklich. Jch habe meinen Kelch geleert. Ugolino. Man hat dir einen Giftbecher gereicht? Francesco. Jch habe ihn geleert. Ugolino. (mit starken Schritten auf- und abgehend) Es giebt mancherley Todesarten, mein Sohn. Kein Geschöpf ist sinnrei- cher, Todesarten zu erfinden, als der Mensch. Jch will dir nur eine nennen. Der Erzfeind hätte seine Freude daran finden können, mir ein Glied nach dem andern absägen zu lassen, erst die Gelenke an den Zehen, dann die Füße, dann die Beine, dann die Schenkel; so stünde ich Torso da: und nun setzte man mir das zackigte Eisen an die Finger, die Hände, die Arme, eins nach dem andern, mit Ruhezeiten, daß der Zeitvertreib nicht zu kurz dauerte; ganz zuletzt zerstieße man mir, nicht aus Mitleid! das wunde Herz, bis ich in meinem Blute erläge, das mit viel Schweiß herabränne, aber nicht mit Thränen! Wie könnt ich weinen? Man sollte denken, dieser Tod sey schon unter- haltend genug: allein der Erzfeind hats besser überlegt. Hier würde ich an meinem eignen Fleische leiden: eine Kleinigkeit! Jch soll in meinen Kindern langsam sterben, eine volle Weide an eurer Marter nehmen, und dann fallen! Mein Weib mußte erst fallen, durch die Worte meiner Liebe fallen, in diesem Sarge hergeschickt werden, du ihr Vorläufer, dem Tode geopfert, aber später zum Grabe reif! O es ist der Hölle so würdig! Doch ich will nicht murren! Aber warum mußten diese Unschuldigen lei- den? Warum du? warum mein Weib? warum durch den großen Verführer? womit hatt ich ihn beleidigt? Pisa konnte mich strafen,
Ugolino, Franceſco. Du wirſt fallen, wie der Stamm einer Eiche, alle deine Aeſte um dich her gebreitet. Ugolino. Jſt es uͤber dich und deine Bruͤder geſprochen? Franceſco. Geſprochen uͤber alle! Vollzogen an mir! Ugolino. Wie meynſt du das? Franceſco. Jch bin zu gluͤcklich. Jch habe meinen Kelch geleert. Ugolino. Man hat dir einen Giftbecher gereicht? Franceſco. Jch habe ihn geleert. Ugolino. (mit ſtarken Schritten auf- und abgehend) Es giebt mancherley Todesarten, mein Sohn. Kein Geſchoͤpf iſt ſinnrei- cher, Todesarten zu erfinden, als der Menſch. Jch will dir nur eine nennen. Der Erzfeind haͤtte ſeine Freude daran finden koͤnnen, mir ein Glied nach dem andern abſaͤgen zu laſſen, erſt die Gelenke an den Zehen, dann die Fuͤße, dann die Beine, dann die Schenkel; ſo ſtuͤnde ich Torſo da: und nun ſetzte man mir das zackigte Eiſen an die Finger, die Haͤnde, die Arme, eins nach dem andern, mit Ruhezeiten, daß der Zeitvertreib nicht zu kurz dauerte; ganz zuletzt zerſtieße man mir, nicht aus Mitleid! das wunde Herz, bis ich in meinem Blute erlaͤge, das mit viel Schweiß herabraͤnne, aber nicht mit Thraͤnen! Wie koͤnnt ich weinen? Man ſollte denken, dieſer Tod ſey ſchon unter- haltend genug: allein der Erzfeind hats beſſer uͤberlegt. Hier wuͤrde ich an meinem eignen Fleiſche leiden: eine Kleinigkeit! Jch ſoll in meinen Kindern langſam ſterben, eine volle Weide an eurer Marter nehmen, und dann fallen! Mein Weib mußte erſt fallen, durch die Worte meiner Liebe fallen, in dieſem Sarge hergeſchickt werden, du ihr Vorlaͤufer, dem Tode geopfert, aber ſpaͤter zum Grabe reif! O es iſt der Hoͤlle ſo wuͤrdig! Doch ich will nicht murren! Aber warum mußten dieſe Unſchuldigen lei- den? Warum du? warum mein Weib? warum durch den großen Verfuͤhrer? womit hatt ich ihn beleidigt? Piſa konnte mich ſtrafen,
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Ugolino,
Franceſco. Du wirſt fallen, wie der Stamm einer Eiche,
alle deine Aeſte um dich her gebreitet.
Ugolino. Jſt es uͤber dich und deine Bruͤder geſprochen?
Franceſco. Geſprochen uͤber alle! Vollzogen an mir!
Ugolino. Wie meynſt du das?
Franceſco. Jch bin zu gluͤcklich. Jch habe meinen Kelch
geleert.
Ugolino. Man hat dir einen Giftbecher gereicht?
Franceſco. Jch habe ihn geleert.
Ugolino. (mit ſtarken Schritten auf- und abgehend) Es giebt
mancherley Todesarten, mein Sohn. Kein Geſchoͤpf iſt ſinnrei-
cher, Todesarten zu erfinden, als der Menſch. Jch will dir
nur eine nennen. Der Erzfeind haͤtte ſeine Freude daran finden
koͤnnen, mir ein Glied nach dem andern abſaͤgen zu laſſen, erſt
die Gelenke an den Zehen, dann die Fuͤße, dann die Beine,
dann die Schenkel; ſo ſtuͤnde ich Torſo da: und nun ſetzte man
mir das zackigte Eiſen an die Finger, die Haͤnde, die Arme,
eins nach dem andern, mit Ruhezeiten, daß der Zeitvertreib
nicht zu kurz dauerte; ganz zuletzt zerſtieße man mir, nicht aus
Mitleid! das wunde Herz, bis ich in meinem Blute erlaͤge, das
mit viel Schweiß herabraͤnne, aber nicht mit Thraͤnen! Wie
koͤnnt ich weinen? Man ſollte denken, dieſer Tod ſey ſchon unter-
haltend genug: allein der Erzfeind hats beſſer uͤberlegt. Hier
wuͤrde ich an meinem eignen Fleiſche leiden: eine Kleinigkeit!
Jch ſoll in meinen Kindern langſam ſterben, eine volle Weide an
eurer Marter nehmen, und dann fallen! Mein Weib mußte erſt
fallen, durch die Worte meiner Liebe fallen, in dieſem Sarge
hergeſchickt werden, du ihr Vorlaͤufer, dem Tode geopfert, aber
ſpaͤter zum Grabe reif! O es iſt der Hoͤlle ſo wuͤrdig! Doch ich
will nicht murren! Aber warum mußten dieſe Unſchuldigen lei-
den? Warum du? warum mein Weib? warum durch den großen
Verfuͤhrer? womit hatt ich ihn beleidigt? Piſa konnte mich
ſtrafen,
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