Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768.

Bild:
<< vorherige Seite
dritter Aufzug.
Francesco. Rede du zu unserm Vater, Anselmo. Rede
zu ihm.
Ugolino. Was hier? Mein Bild an ihrem Herzen? Ach!
sie war lauter Liebe und erhabne Gütigkeit! Sie vergab mir mit
dem letzten stillen Seufzer ihres Busens. Es ist feucht, dies
Bild; feucht von ihrem Sterbekuß. (er küßt das Bild) Und küßte
meine Gianetta ihren Ugolino in der richterlichen Stunde? Wie
freundlich war das! wie ganz Gianetta! Jhr Tod muß sanft ge-
wesen seyn, mein lieber Francesco.
Francesco. Jhr Tod war ein sanfter Tod.
Ugolino. Gott sey gelobt! Jhr Tod war ein sanfter Tod.
Jch danke dir, Francesco. Sie küßte ihren Ugolino in der
Stunde ihres sanften Todes. Aber sieh her, Francesco. Dies
Bild gleicht deinem Vater nicht recht. Das Auge ist zu hell,
die Backe zu roth und voll. Jhr seyd die Abdrücke dieses Bil-
des; aber keine Wange unter diesen Wangen ist roth und voll.
Jhr seyd blaß und hohl, wie die Geister der Mitternachtstunde.
Jhr gleicht diesem Ugolino, nicht dem. Ah! ich muß hieher
sehen.
Francesco. Wir sind vergnügt, mein Vater, wenn du zu
uns redest.
Ugolino. Daß sie mein Bild an ihrem Herzen trug; daß
sie sich ihres Ugolino nicht schämte, mein Sohn, als sie vor ihre
Schwester Engel hintrat; daß sie mit ihrem Sterbekusse meine
Flecken abwusch: ach liebes Kind! wie erheitert mich das! wie
gütig, wie herablassend war es! Aber sie hat mich immer geliebt.
Kein pisanisches Mädchen hat zärter geliebt. Sie war die lieb-
reichste ihres Geschlechts.
Francesco. Und hier diese diamantne Haarnadel, mein
Vater, mit der sie nur an dem Jahresfeste ihrer Vermählung ihr
duftendes Haar zu schmücken pflegte --

Ugo-
E
dritter Aufzug.
Franceſco. Rede du zu unſerm Vater, Anſelmo. Rede
zu ihm.
Ugolino. Was hier? Mein Bild an ihrem Herzen? Ach!
ſie war lauter Liebe und erhabne Guͤtigkeit! Sie vergab mir mit
dem letzten ſtillen Seufzer ihres Buſens. Es iſt feucht, dies
Bild; feucht von ihrem Sterbekuß. (er kuͤßt das Bild) Und kuͤßte
meine Gianetta ihren Ugolino in der richterlichen Stunde? Wie
freundlich war das! wie ganz Gianetta! Jhr Tod muß ſanft ge-
weſen ſeyn, mein lieber Franceſco.
Franceſco. Jhr Tod war ein ſanfter Tod.
Ugolino. Gott ſey gelobt! Jhr Tod war ein ſanfter Tod.
Jch danke dir, Franceſco. Sie kuͤßte ihren Ugolino in der
Stunde ihres ſanften Todes. Aber ſieh her, Franceſco. Dies
Bild gleicht deinem Vater nicht recht. Das Auge iſt zu hell,
die Backe zu roth und voll. Jhr ſeyd die Abdruͤcke dieſes Bil-
des; aber keine Wange unter dieſen Wangen iſt roth und voll.
Jhr ſeyd blaß und hohl, wie die Geiſter der Mitternachtſtunde.
Jhr gleicht dieſem Ugolino, nicht dem. Ah! ich muß hieher
ſehen.
Franceſco. Wir ſind vergnuͤgt, mein Vater, wenn du zu
uns redeſt.
Ugolino. Daß ſie mein Bild an ihrem Herzen trug; daß
ſie ſich ihres Ugolino nicht ſchaͤmte, mein Sohn, als ſie vor ihre
Schweſter Engel hintrat; daß ſie mit ihrem Sterbekuſſe meine
Flecken abwuſch: ach liebes Kind! wie erheitert mich das! wie
guͤtig, wie herablaſſend war es! Aber ſie hat mich immer geliebt.
Kein piſaniſches Maͤdchen hat zaͤrter geliebt. Sie war die lieb-
reichſte ihres Geſchlechts.
Franceſco. Und hier dieſe diamantne Haarnadel, mein
Vater, mit der ſie nur an dem Jahresfeſte ihrer Vermaͤhlung ihr
duftendes Haar zu ſchmuͤcken pflegte —

Ugo-
E
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0039" n="33"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">dritter Aufzug</hi>.</hi> </fw><lb/>
          <sp who="#FRA">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">France&#x017F;co</hi></hi>.</speaker>
            <p>Rede du zu un&#x017F;erm Vater, An&#x017F;elmo. Rede<lb/>
zu ihm.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#UGO">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Ugolino</hi></hi>.</speaker>
            <p>Was hier? Mein Bild an ihrem Herzen? Ach!<lb/>
&#x017F;ie war lauter Liebe und erhabne Gu&#x0364;tigkeit! Sie vergab mir mit<lb/>
dem letzten &#x017F;tillen Seufzer ihres Bu&#x017F;ens. Es i&#x017F;t feucht, dies<lb/>
Bild; feucht von ihrem Sterbekuß. <stage>(er ku&#x0364;ßt das Bild)</stage> Und ku&#x0364;ßte<lb/>
meine Gianetta ihren Ugolino in der richterlichen Stunde? Wie<lb/>
freundlich war das! wie ganz Gianetta! Jhr Tod muß &#x017F;anft ge-<lb/>
we&#x017F;en &#x017F;eyn, mein lieber France&#x017F;co.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#FRA">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">France&#x017F;co</hi></hi>.</speaker>
            <p>Jhr Tod war ein &#x017F;anfter Tod.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#UGO">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Ugolino</hi></hi>.</speaker>
            <p>Gott &#x017F;ey gelobt! Jhr Tod war ein &#x017F;anfter Tod.<lb/>
Jch danke dir, France&#x017F;co. Sie ku&#x0364;ßte ihren Ugolino in der<lb/>
Stunde ihres &#x017F;anften Todes. Aber &#x017F;ieh her, France&#x017F;co. Dies<lb/>
Bild gleicht deinem Vater nicht recht. Das Auge i&#x017F;t zu hell,<lb/>
die Backe zu roth und voll. Jhr &#x017F;eyd die Abdru&#x0364;cke die&#x017F;es Bil-<lb/>
des; aber keine Wange unter die&#x017F;en Wangen i&#x017F;t roth und voll.<lb/>
Jhr &#x017F;eyd blaß und hohl, wie die Gei&#x017F;ter der Mitternacht&#x017F;tunde.<lb/>
Jhr gleicht die&#x017F;em Ugolino, nicht dem. Ah! ich muß <hi rendition="#fr">hieher</hi><lb/>
&#x017F;ehen.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#FRA">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">France&#x017F;co</hi></hi>.</speaker>
            <p>Wir &#x017F;ind vergnu&#x0364;gt, mein Vater, wenn du zu<lb/>
uns rede&#x017F;t.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#UGO">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Ugolino</hi></hi>.</speaker>
            <p>Daß &#x017F;ie mein Bild an ihrem Herzen trug; daß<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich ihres Ugolino nicht &#x017F;cha&#x0364;mte, mein Sohn, als &#x017F;ie vor ihre<lb/>
Schwe&#x017F;ter Engel hintrat; daß &#x017F;ie mit ihrem Sterbeku&#x017F;&#x017F;e meine<lb/>
Flecken abwu&#x017F;ch: ach liebes Kind! wie erheitert mich das! wie<lb/>
gu&#x0364;tig, wie herabla&#x017F;&#x017F;end war es! Aber &#x017F;ie hat mich immer geliebt.<lb/>
Kein pi&#x017F;ani&#x017F;ches Ma&#x0364;dchen hat za&#x0364;rter geliebt. Sie war die lieb-<lb/>
reich&#x017F;te ihres Ge&#x017F;chlechts.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#FRA">
            <speaker><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">France&#x017F;co</hi></hi>.</speaker>
            <p>Und hier die&#x017F;e diamantne Haarnadel, mein<lb/>
Vater, mit der &#x017F;ie nur an dem Jahresfe&#x017F;te ihrer Verma&#x0364;hlung ihr<lb/>
duftendes Haar zu &#x017F;chmu&#x0364;cken pflegte &#x2014;</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">E</fw>
            <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Ugo-</hi> </hi> </fw>
          </sp><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[33/0039] dritter Aufzug. Franceſco. Rede du zu unſerm Vater, Anſelmo. Rede zu ihm. Ugolino. Was hier? Mein Bild an ihrem Herzen? Ach! ſie war lauter Liebe und erhabne Guͤtigkeit! Sie vergab mir mit dem letzten ſtillen Seufzer ihres Buſens. Es iſt feucht, dies Bild; feucht von ihrem Sterbekuß. (er kuͤßt das Bild) Und kuͤßte meine Gianetta ihren Ugolino in der richterlichen Stunde? Wie freundlich war das! wie ganz Gianetta! Jhr Tod muß ſanft ge- weſen ſeyn, mein lieber Franceſco. Franceſco. Jhr Tod war ein ſanfter Tod. Ugolino. Gott ſey gelobt! Jhr Tod war ein ſanfter Tod. Jch danke dir, Franceſco. Sie kuͤßte ihren Ugolino in der Stunde ihres ſanften Todes. Aber ſieh her, Franceſco. Dies Bild gleicht deinem Vater nicht recht. Das Auge iſt zu hell, die Backe zu roth und voll. Jhr ſeyd die Abdruͤcke dieſes Bil- des; aber keine Wange unter dieſen Wangen iſt roth und voll. Jhr ſeyd blaß und hohl, wie die Geiſter der Mitternachtſtunde. Jhr gleicht dieſem Ugolino, nicht dem. Ah! ich muß hieher ſehen. Franceſco. Wir ſind vergnuͤgt, mein Vater, wenn du zu uns redeſt. Ugolino. Daß ſie mein Bild an ihrem Herzen trug; daß ſie ſich ihres Ugolino nicht ſchaͤmte, mein Sohn, als ſie vor ihre Schweſter Engel hintrat; daß ſie mit ihrem Sterbekuſſe meine Flecken abwuſch: ach liebes Kind! wie erheitert mich das! wie guͤtig, wie herablaſſend war es! Aber ſie hat mich immer geliebt. Kein piſaniſches Maͤdchen hat zaͤrter geliebt. Sie war die lieb- reichſte ihres Geſchlechts. Franceſco. Und hier dieſe diamantne Haarnadel, mein Vater, mit der ſie nur an dem Jahresfeſte ihrer Vermaͤhlung ihr duftendes Haar zu ſchmuͤcken pflegte — Ugo- E

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gerstenberg_ugolino_1768
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gerstenberg_ugolino_1768/39
Zitationshilfe: Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstenberg_ugolino_1768/39>, abgerufen am 18.12.2024.