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Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768.

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erster Aufzug.
Anselmo. Er der Erretter des Gherardesca? Wie wirds
des Uebermüthigen Herz aufschwellen, wenn unsere Mutter mit
dem Finger hinzeigt, sprechend: "Seht, dies ist mein Erstge-
bohrner, der seinen Vater, und seine beyden Brüder befreyte!"
Von uns aber sagt man kein Wörtchen!
Gaddo. Wenn unsere Mutter das spricht, so wird mirs so
lieb seyn, als spräche sie es von mir: warum? es gebührt ihm
so!
Anselmo. Allerdings. Aber hätt ich nicht machen können,
daß es mir auch so gebührte?
Gaddo. Schäme dich, Anselmo. Du liebst Francesco
nicht, wenn du ihn nicht loben hören magst.
Anselmo. O Gaddo, ich lieb' ihn gewiß mehr, als du:
denn ich möcht ihm gleich seyn.

(Ugolino und Francesco kommen zurück.)
Ugolino. (schnell auf- und abgehend) Wenn diese Oeffnung so
tief unten wäre, als sie hoch oben ist! --
Francesco. Glaube nicht, mein Vater, daß sie zu hoch
oben ist. Du wirst die Zinnen draussen an der Mauer bemerkt
haben.
Ugolino. Gram und Alter haben mich schwerfällig gemacht.
O Ruggieri! Verworfner! nur einmal dich so unter meiner Hand
zu wissen! so dein Schlangenhaar zu ergreifen! so dein Leben an
die Spitze meines Fußes zu heften! so dir die höllische Seele aus
dem Leibe zu treten!
Francesco. Königlicher Anblick! was wollt ich drum
geben!
Anselmo. Der Zorn schwellt ihm die Lippen!
Ugolino. Gieb mir Geduld! Gott im Himmel! Gieb mir
Geduld! Wartet hier, meine Kinder. Jch komme gleich zu euch.

(geht ab)
Fran-
B 3
erſter Aufzug.
Anſelmo. Er der Erretter des Gherardeſca? Wie wirds
des Uebermuͤthigen Herz aufſchwellen, wenn unſere Mutter mit
dem Finger hinzeigt, ſprechend: „Seht, dies iſt mein Erſtge-
bohrner, der ſeinen Vater, und ſeine beyden Bruͤder befreyte!„
Von uns aber ſagt man kein Woͤrtchen!
Gaddo. Wenn unſere Mutter das ſpricht, ſo wird mirs ſo
lieb ſeyn, als ſpraͤche ſie es von mir: warum? es gebuͤhrt ihm
ſo!
Anſelmo. Allerdings. Aber haͤtt ich nicht machen koͤnnen,
daß es mir auch ſo gebuͤhrte?
Gaddo. Schaͤme dich, Anſelmo. Du liebſt Franceſco
nicht, wenn du ihn nicht loben hoͤren magſt.
Anſelmo. O Gaddo, ich lieb’ ihn gewiß mehr, als du:
denn ich moͤcht ihm gleich ſeyn.

(Ugolino und Franceſco kommen zuruͤck.)
Ugolino. (ſchnell auf- und abgehend) Wenn dieſe Oeffnung ſo
tief unten waͤre, als ſie hoch oben iſt! —
Franceſco. Glaube nicht, mein Vater, daß ſie zu hoch
oben iſt. Du wirſt die Zinnen drauſſen an der Mauer bemerkt
haben.
Ugolino. Gram und Alter haben mich ſchwerfaͤllig gemacht.
O Ruggieri! Verworfner! nur einmal dich ſo unter meiner Hand
zu wiſſen! ſo dein Schlangenhaar zu ergreifen! ſo dein Leben an
die Spitze meines Fußes zu heften! ſo dir die hoͤlliſche Seele aus
dem Leibe zu treten!
Franceſco. Koͤniglicher Anblick! was wollt ich drum
geben!
Anſelmo. Der Zorn ſchwellt ihm die Lippen!
Ugolino. Gieb mir Geduld! Gott im Himmel! Gieb mir
Geduld! Wartet hier, meine Kinder. Jch komme gleich zu euch.

(geht ab)
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B 3
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[13/0019] erſter Aufzug. Anſelmo. Er der Erretter des Gherardeſca? Wie wirds des Uebermuͤthigen Herz aufſchwellen, wenn unſere Mutter mit dem Finger hinzeigt, ſprechend: „Seht, dies iſt mein Erſtge- bohrner, der ſeinen Vater, und ſeine beyden Bruͤder befreyte!„ Von uns aber ſagt man kein Woͤrtchen! Gaddo. Wenn unſere Mutter das ſpricht, ſo wird mirs ſo lieb ſeyn, als ſpraͤche ſie es von mir: warum? es gebuͤhrt ihm ſo! Anſelmo. Allerdings. Aber haͤtt ich nicht machen koͤnnen, daß es mir auch ſo gebuͤhrte? Gaddo. Schaͤme dich, Anſelmo. Du liebſt Franceſco nicht, wenn du ihn nicht loben hoͤren magſt. Anſelmo. O Gaddo, ich lieb’ ihn gewiß mehr, als du: denn ich moͤcht ihm gleich ſeyn. (Ugolino und Franceſco kommen zuruͤck.) Ugolino. (ſchnell auf- und abgehend) Wenn dieſe Oeffnung ſo tief unten waͤre, als ſie hoch oben iſt! — Franceſco. Glaube nicht, mein Vater, daß ſie zu hoch oben iſt. Du wirſt die Zinnen drauſſen an der Mauer bemerkt haben. Ugolino. Gram und Alter haben mich ſchwerfaͤllig gemacht. O Ruggieri! Verworfner! nur einmal dich ſo unter meiner Hand zu wiſſen! ſo dein Schlangenhaar zu ergreifen! ſo dein Leben an die Spitze meines Fußes zu heften! ſo dir die hoͤlliſche Seele aus dem Leibe zu treten! Franceſco. Koͤniglicher Anblick! was wollt ich drum geben! Anſelmo. Der Zorn ſchwellt ihm die Lippen! Ugolino. Gieb mir Geduld! Gott im Himmel! Gieb mir Geduld! Wartet hier, meine Kinder. Jch komme gleich zu euch. (geht ab) Fran- B 3

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Zitationshilfe: Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstenberg_ugolino_1768/19>, abgerufen am 28.03.2024.