Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gerstäcker, Friedrich: Germelshausen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 21–119. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Da begegneten ihnen Menschen, die von draußen hereinkamen, und Arnold erkannte augenblicklich den rückkehrenden Leichenzug. Die Leute zogen still an ihnen vorüber wieder in das Dorf hinein, und fast unwillkürlich lenkten sich Beider Schritte dem Friedhof zu.

Arnold suchte jetzt seine Begleiterin, die ihm gar so ernst vorkam, aufzuheitern, erzählte ihr von anderen Orten, wo er gewesen, und wie es draußen in der Welt aussähe. Sie hatte noch nie eine Eisenbahn gesehen, ja nie davon gehört, und horchte aufmerksam und erstaunt seiner Erklärung. Auch von den Telegraphen hatte sie keine Ahnung, eben so wenig von all den neueren Erfindungen, und der junge Maler begriff nicht, wie es möglich sei, daß noch Menschen in Deutschland so abgeschieden, so förmlich getrennt von der übrigen Welt und außer der geringsten Verbindung mit ihr leben konnten.

In diesen Gesprächen erreichten sie den Gottesacker, und hier fielen dem jungen Fremden gleich die altertümlichen Steine und Denkmale auf, so einfach sie auch im Ganzen waren.

Das ist ein alter, alter Stein, sagte er, als er sich zu dem nächsten niederbog und mit Mühe die Schnörkelschrift desselben entziffert hatte, "Anna Maria Berthold, geborene Stieglitz, geboren am 1sten Dcbr. 1188 -- gestorben den 2ten December 1224 --"

Das ist meine Mutter, sagte Gertrud ernst, und

Da begegneten ihnen Menschen, die von draußen hereinkamen, und Arnold erkannte augenblicklich den rückkehrenden Leichenzug. Die Leute zogen still an ihnen vorüber wieder in das Dorf hinein, und fast unwillkürlich lenkten sich Beider Schritte dem Friedhof zu.

Arnold suchte jetzt seine Begleiterin, die ihm gar so ernst vorkam, aufzuheitern, erzählte ihr von anderen Orten, wo er gewesen, und wie es draußen in der Welt aussähe. Sie hatte noch nie eine Eisenbahn gesehen, ja nie davon gehört, und horchte aufmerksam und erstaunt seiner Erklärung. Auch von den Telegraphen hatte sie keine Ahnung, eben so wenig von all den neueren Erfindungen, und der junge Maler begriff nicht, wie es möglich sei, daß noch Menschen in Deutschland so abgeschieden, so förmlich getrennt von der übrigen Welt und außer der geringsten Verbindung mit ihr leben konnten.

In diesen Gesprächen erreichten sie den Gottesacker, und hier fielen dem jungen Fremden gleich die altertümlichen Steine und Denkmale auf, so einfach sie auch im Ganzen waren.

Das ist ein alter, alter Stein, sagte er, als er sich zu dem nächsten niederbog und mit Mühe die Schnörkelschrift desselben entziffert hatte, “Anna Maria Berthold, geborene Stieglitz, geboren am 1sten Dcbr. 1188 — gestorben den 2ten December 1224 —“

Das ist meine Mutter, sagte Gertrud ernst, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <pb facs="#f0030"/>
        <p>Da begegneten ihnen Menschen, die von draußen hereinkamen, und Arnold erkannte augenblicklich     den rückkehrenden Leichenzug. Die Leute zogen still an ihnen vorüber wieder in das Dorf hinein,     und fast unwillkürlich lenkten sich Beider Schritte dem Friedhof zu.</p><lb/>
        <p>Arnold suchte jetzt seine Begleiterin, die ihm gar so ernst vorkam, aufzuheitern, erzählte ihr     von anderen Orten, wo er gewesen, und wie es draußen in der Welt aussähe. Sie hatte noch nie     eine Eisenbahn gesehen, ja nie davon gehört, und horchte aufmerksam und erstaunt seiner     Erklärung. Auch von den Telegraphen hatte sie keine Ahnung, eben so wenig von all den neueren     Erfindungen, und der junge Maler begriff nicht, wie es möglich sei, daß noch Menschen in     Deutschland so abgeschieden, so förmlich getrennt von der übrigen Welt und außer der geringsten     Verbindung mit ihr leben konnten.</p><lb/>
        <p>In diesen Gesprächen erreichten sie den Gottesacker, und hier fielen dem jungen Fremden gleich     die altertümlichen Steine und Denkmale auf, so einfach sie auch im Ganzen waren.</p><lb/>
        <p>Das ist ein alter, alter Stein, sagte er, als er sich zu dem nächsten niederbog und mit Mühe     die Schnörkelschrift desselben entziffert hatte, &#x201C;Anna Maria Berthold, geborene Stieglitz,     geboren am 1sten Dcbr. 1188 &#x2014; gestorben den 2ten December 1224 &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>Das ist meine Mutter, sagte Gertrud ernst, und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0030] Da begegneten ihnen Menschen, die von draußen hereinkamen, und Arnold erkannte augenblicklich den rückkehrenden Leichenzug. Die Leute zogen still an ihnen vorüber wieder in das Dorf hinein, und fast unwillkürlich lenkten sich Beider Schritte dem Friedhof zu. Arnold suchte jetzt seine Begleiterin, die ihm gar so ernst vorkam, aufzuheitern, erzählte ihr von anderen Orten, wo er gewesen, und wie es draußen in der Welt aussähe. Sie hatte noch nie eine Eisenbahn gesehen, ja nie davon gehört, und horchte aufmerksam und erstaunt seiner Erklärung. Auch von den Telegraphen hatte sie keine Ahnung, eben so wenig von all den neueren Erfindungen, und der junge Maler begriff nicht, wie es möglich sei, daß noch Menschen in Deutschland so abgeschieden, so förmlich getrennt von der übrigen Welt und außer der geringsten Verbindung mit ihr leben konnten. In diesen Gesprächen erreichten sie den Gottesacker, und hier fielen dem jungen Fremden gleich die altertümlichen Steine und Denkmale auf, so einfach sie auch im Ganzen waren. Das ist ein alter, alter Stein, sagte er, als er sich zu dem nächsten niederbog und mit Mühe die Schnörkelschrift desselben entziffert hatte, “Anna Maria Berthold, geborene Stieglitz, geboren am 1sten Dcbr. 1188 — gestorben den 2ten December 1224 —“ Das ist meine Mutter, sagte Gertrud ernst, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:22:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:22:05Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gerstaecker_germelshausen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gerstaecker_germelshausen_1910/30
Zitationshilfe: Gerstäcker, Friedrich: Germelshausen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 21–119. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstaecker_germelshausen_1910/30>, abgerufen am 26.11.2024.