Gerstäcker, Friedrich: Germelshausen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 21–119. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Der Heinrich? sagte das Mädchen, der kommt jetzt nicht mehr. Heut wohl nicht, aber dann vielleicht morgen? Nein, sagte Gertrud vollkommen ruhig, da er bis elf Uhr nicht da war, bleibt er aus, bis einmal wieder unser Tag ist. Euer Tag? was meinst du damit? Das Mädchen sah ihn groß und ernst an, aber sie antwortete nicht auf seine Frage, und während ihr Blick nach den hoch über ihnen hinziehenden Wolken schweifte, haftete er mit einem eigenen Ausdrucke von Schmerz und Wehmuth an ihnen. Gertrud war in diesem Augenblick wirklich engelschön, und Arnold vergaß in dem Interesse, das er an der Vollendung des Porträts nahm, alles Andere. Es blieb ihm auch nicht mehr viel Zeit. Das junge Mädchen stand plötzlich auf, und ein Tuch über den Kopf werfend, sich vor den Sonnenstrahlen zu schützen, sagte sie: Ich muß fort -- der Tag ist so kurz, und sie erwarten mich daheim. Arnold hatte aber sein kleines Bild auch fertig, und mit ein paar kecken Strichen den Faltenwurf der Kleidung angebend, sagte er, ihr das Bild entgegenhaltend: Hab' ich dich getroffen? Das bin ich! rief Gertrud rasch und fast erschreckt. Nun wer denn sonst? lachte Arnold. Der Heinrich? sagte das Mädchen, der kommt jetzt nicht mehr. Heut wohl nicht, aber dann vielleicht morgen? Nein, sagte Gertrud vollkommen ruhig, da er bis elf Uhr nicht da war, bleibt er aus, bis einmal wieder unser Tag ist. Euer Tag? was meinst du damit? Das Mädchen sah ihn groß und ernst an, aber sie antwortete nicht auf seine Frage, und während ihr Blick nach den hoch über ihnen hinziehenden Wolken schweifte, haftete er mit einem eigenen Ausdrucke von Schmerz und Wehmuth an ihnen. Gertrud war in diesem Augenblick wirklich engelschön, und Arnold vergaß in dem Interesse, das er an der Vollendung des Porträts nahm, alles Andere. Es blieb ihm auch nicht mehr viel Zeit. Das junge Mädchen stand plötzlich auf, und ein Tuch über den Kopf werfend, sich vor den Sonnenstrahlen zu schützen, sagte sie: Ich muß fort — der Tag ist so kurz, und sie erwarten mich daheim. Arnold hatte aber sein kleines Bild auch fertig, und mit ein paar kecken Strichen den Faltenwurf der Kleidung angebend, sagte er, ihr das Bild entgegenhaltend: Hab' ich dich getroffen? Das bin ich! rief Gertrud rasch und fast erschreckt. Nun wer denn sonst? lachte Arnold. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <pb facs="#f0016"/> <p>Der Heinrich? sagte das Mädchen, der kommt jetzt nicht mehr.</p><lb/> <p>Heut wohl nicht, aber dann vielleicht morgen?</p><lb/> <p>Nein, sagte Gertrud vollkommen ruhig, da er bis elf Uhr nicht da war, bleibt er aus, bis einmal wieder unser Tag ist.</p><lb/> <p>Euer Tag? was meinst du damit?</p><lb/> <p>Das Mädchen sah ihn groß und ernst an, aber sie antwortete nicht auf seine Frage, und während ihr Blick nach den hoch über ihnen hinziehenden Wolken schweifte, haftete er mit einem eigenen Ausdrucke von Schmerz und Wehmuth an ihnen.</p><lb/> <p>Gertrud war in diesem Augenblick wirklich engelschön, und Arnold vergaß in dem Interesse, das er an der Vollendung des Porträts nahm, alles Andere. Es blieb ihm auch nicht mehr viel Zeit. Das junge Mädchen stand plötzlich auf, und ein Tuch über den Kopf werfend, sich vor den Sonnenstrahlen zu schützen, sagte sie:</p><lb/> <p>Ich muß fort — der Tag ist so kurz, und sie erwarten mich daheim.</p><lb/> <p>Arnold hatte aber sein kleines Bild auch fertig, und mit ein paar kecken Strichen den Faltenwurf der Kleidung angebend, sagte er, ihr das Bild entgegenhaltend:</p><lb/> <p>Hab' ich dich getroffen?</p><lb/> <p>Das bin ich! rief Gertrud rasch und fast erschreckt.</p><lb/> <p>Nun wer denn sonst? lachte Arnold.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0016]
Der Heinrich? sagte das Mädchen, der kommt jetzt nicht mehr.
Heut wohl nicht, aber dann vielleicht morgen?
Nein, sagte Gertrud vollkommen ruhig, da er bis elf Uhr nicht da war, bleibt er aus, bis einmal wieder unser Tag ist.
Euer Tag? was meinst du damit?
Das Mädchen sah ihn groß und ernst an, aber sie antwortete nicht auf seine Frage, und während ihr Blick nach den hoch über ihnen hinziehenden Wolken schweifte, haftete er mit einem eigenen Ausdrucke von Schmerz und Wehmuth an ihnen.
Gertrud war in diesem Augenblick wirklich engelschön, und Arnold vergaß in dem Interesse, das er an der Vollendung des Porträts nahm, alles Andere. Es blieb ihm auch nicht mehr viel Zeit. Das junge Mädchen stand plötzlich auf, und ein Tuch über den Kopf werfend, sich vor den Sonnenstrahlen zu schützen, sagte sie:
Ich muß fort — der Tag ist so kurz, und sie erwarten mich daheim.
Arnold hatte aber sein kleines Bild auch fertig, und mit ein paar kecken Strichen den Faltenwurf der Kleidung angebend, sagte er, ihr das Bild entgegenhaltend:
Hab' ich dich getroffen?
Das bin ich! rief Gertrud rasch und fast erschreckt.
Nun wer denn sonst? lachte Arnold.
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Zitationshilfe: | Gerstäcker, Friedrich: Germelshausen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 21–119. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstaecker_germelshausen_1910/16>, abgerufen am 16.07.2024. |