Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.sollte eine rebellische Stadt ganz vernichtet, die Einwohner erschlagen, auf einen Haufen zusammengetragen, auf diese Sklaven gelegt und auf diese wieder der Einzuweihende gesetzt werden. Alle Schiffbrüchigen, das verlangt ihr Glaube, müssen getödtet werden; wer es unterliesse, würde sonst selbst im Schiffbruch umkommen (Erskine 249-50). Alte Eltern werden von ihren Kindern, kranke Kinder von ihren Eltern lebendig begraben (ebend.) und zwar ist es der eigene Wille der Opfer, dass ihnen so geschieht (477), denn man glaubt, man käme nach und durch solchen Tod sofort in ein anderes und viel besseres Leben; daher sich diese scheussliche Sitte mit wirklicher Familienanhänglichkeit verträgt. Aber es ist ebendaher auch begreiflich, dass nur wenige Menschen eines natürlichen Todes sterben (Will. u. Calvert 1, 188). Menschenopfer am Grabe, namentlich von Häuptlingen, sind ebenso gewöhnlich als umfangreich; die Weiber werden entweder alle oder doch die Lieblingsweiber und eine Menge Sklaven ermordet. Die Mutter, deren geliebter Sohn stirbt, folgt ihm bisweilen ins Grab, der Freund dem Freund (Will. u. Calvert 1, 134). Auch hierzu drängen sich, wegen der Belohnungen im Jenseits, die Opfer; die Weiber erdrosseln sich selbst, wenn ihnen Niemand diesen Dienst thut (Erskine 293. Mariner 1, 347). Und wie fest man an den Menschenopfern hielt, geht aus folgender Notiz bei Erskine 440 hervor: ein Fidschiinsulaner hatte, von irgend welchem Mitleiden ergriffen, einen Gefangenen nicht dem Gotte geopfert; da erschien ihm letzterer im Traum und quälte ihn über diese Unterlassung dermassen mit Gewissensbissen, dass der Mensch fast in Raserei fiel. Doch dieselbe Partei, welche, wie wir schon erwähnt haben (S. 70), sich gegen den Kannibalismus wendete und ihn abzuschaffen sucht, ist auch diesen Menschenopfern feindlich (Erskine 280) und so werden auch sie, da der Einfluss der Europäer hinzukommt, hoffentlich nicht mehr allzulange dauern. -- Aehnliche Gebräuche fanden sich auch sonst in Melanesien, wenn auch nirgends so übertrieben wie hier: namentlich ist es das Lebendigbegrabenwerden der Eltern, der Kranken, die Ermordung der Mutter oder einer Verwandtin, wenn ein kleines Kind stirbt, was uns berichtet wird. Was nun Polynesien betrifft, so ist es gewiss Uebertreibung, wenn Michelis (91. ohne Quellenangabe) erzählt, der König von Futuna (nördlich von Samoa), dessen Insel 2000 Einwohner hat, habe während seiner Regierung an 1000 Menschen den Göttern geopfert. Denn wir finden sonst in Polynesien die Menschenopfer nicht allzuzahlreich. Freilich ist es ein Irrthum, wenn Ellis 1, 106 behauptet, sie seien in Tahiti erst später eingeführt, da sie mit der ganzen polynesischen Religion viel zu eng verwachsen sind; wohl aber sind sie in späterer Zeit, noch vor der Entdeckung, von den Eingeborenen selbst sehr beschränkt. Bei Beginn eines Krieges sollte eine rebellische Stadt ganz vernichtet, die Einwohner erschlagen, auf einen Haufen zusammengetragen, auf diese Sklaven gelegt und auf diese wieder der Einzuweihende gesetzt werden. Alle Schiffbrüchigen, das verlangt ihr Glaube, müssen getödtet werden; wer es unterliesse, würde sonst selbst im Schiffbruch umkommen (Erskine 249-50). Alte Eltern werden von ihren Kindern, kranke Kinder von ihren Eltern lebendig begraben (ebend.) und zwar ist es der eigene Wille der Opfer, dass ihnen so geschieht (477), denn man glaubt, man käme nach und durch solchen Tod sofort in ein anderes und viel besseres Leben; daher sich diese scheussliche Sitte mit wirklicher Familienanhänglichkeit verträgt. Aber es ist ebendaher auch begreiflich, dass nur wenige Menschen eines natürlichen Todes sterben (Will. u. Calvert 1, 188). Menschenopfer am Grabe, namentlich von Häuptlingen, sind ebenso gewöhnlich als umfangreich; die Weiber werden entweder alle oder doch die Lieblingsweiber und eine Menge Sklaven ermordet. Die Mutter, deren geliebter Sohn stirbt, folgt ihm bisweilen ins Grab, der Freund dem Freund (Will. u. Calvert 1, 134). Auch hierzu drängen sich, wegen der Belohnungen im Jenseits, die Opfer; die Weiber erdrosseln sich selbst, wenn ihnen Niemand diesen Dienst thut (Erskine 293. Mariner 1, 347). Und wie fest man an den Menschenopfern hielt, geht aus folgender Notiz bei Erskine 440 hervor: ein Fidschiinsulaner hatte, von irgend welchem Mitleiden ergriffen, einen Gefangenen nicht dem Gotte geopfert; da erschien ihm letzterer im Traum und quälte ihn über diese Unterlassung dermassen mit Gewissensbissen, dass der Mensch fast in Raserei fiel. Doch dieselbe Partei, welche, wie wir schon erwähnt haben (S. 70), sich gegen den Kannibalismus wendete und ihn abzuschaffen sucht, ist auch diesen Menschenopfern feindlich (Erskine 280) und so werden auch sie, da der Einfluss der Europäer hinzukommt, hoffentlich nicht mehr allzulange dauern. — Aehnliche Gebräuche fanden sich auch sonst in Melanesien, wenn auch nirgends so übertrieben wie hier: namentlich ist es das Lebendigbegrabenwerden der Eltern, der Kranken, die Ermordung der Mutter oder einer Verwandtin, wenn ein kleines Kind stirbt, was uns berichtet wird. Was nun Polynesien betrifft, so ist es gewiss Uebertreibung, wenn Michelis (91. ohne Quellenangabe) erzählt, der König von Futuna (nördlich von Samoa), dessen Insel 2000 Einwohner hat, habe während seiner Regierung an 1000 Menschen den Göttern geopfert. Denn wir finden sonst in Polynesien die Menschenopfer nicht allzuzahlreich. Freilich ist es ein Irrthum, wenn Ellis 1, 106 behauptet, sie seien in Tahiti erst später eingeführt, da sie mit der ganzen polynesischen Religion viel zu eng verwachsen sind; wohl aber sind sie in späterer Zeit, noch vor der Entdeckung, von den Eingeborenen selbst sehr beschränkt. Bei Beginn eines Krieges <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0088"/> sollte eine rebellische Stadt ganz vernichtet, die Einwohner erschlagen, auf einen Haufen zusammengetragen, auf diese Sklaven gelegt und auf diese wieder der Einzuweihende gesetzt werden. 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Auch hierzu drängen sich, wegen der Belohnungen im Jenseits, die Opfer; die Weiber erdrosseln sich selbst, wenn ihnen Niemand diesen Dienst thut (Erskine 293. Mariner 1, 347). Und wie fest man an den Menschenopfern hielt, geht aus folgender Notiz bei Erskine 440 hervor: ein Fidschiinsulaner hatte, von irgend welchem Mitleiden ergriffen, einen Gefangenen nicht dem Gotte geopfert; da erschien ihm letzterer im Traum und quälte ihn über diese Unterlassung dermassen mit Gewissensbissen, dass der Mensch fast in Raserei fiel. Doch dieselbe Partei, welche, wie wir schon erwähnt haben (S. 70), sich gegen den Kannibalismus wendete und ihn abzuschaffen sucht, ist auch diesen Menschenopfern feindlich (Erskine 280) und so werden auch sie, da der Einfluss der Europäer hinzukommt, hoffentlich nicht mehr allzulange dauern. — Aehnliche Gebräuche fanden sich auch sonst in Melanesien, wenn auch nirgends so übertrieben wie hier: namentlich ist es das Lebendigbegrabenwerden der Eltern, der Kranken, die Ermordung der Mutter oder einer Verwandtin, wenn ein kleines Kind stirbt, was uns berichtet wird.</p> <p>Was nun Polynesien betrifft, so ist es gewiss Uebertreibung, wenn Michelis (91. ohne Quellenangabe) erzählt, der König von Futuna (nördlich von Samoa), dessen Insel 2000 Einwohner hat, habe während seiner Regierung an 1000 Menschen den Göttern geopfert. Denn wir finden sonst in Polynesien die Menschenopfer nicht allzuzahlreich. Freilich ist es ein Irrthum, wenn Ellis 1, 106 behauptet, sie seien in Tahiti erst später eingeführt, da sie mit der ganzen polynesischen Religion viel zu eng verwachsen sind; wohl aber sind sie in späterer Zeit, noch vor der Entdeckung, von den Eingeborenen selbst sehr beschränkt. Bei Beginn eines Krieges </p> </div> </body> </text> </TEI> [0088]
sollte eine rebellische Stadt ganz vernichtet, die Einwohner erschlagen, auf einen Haufen zusammengetragen, auf diese Sklaven gelegt und auf diese wieder der Einzuweihende gesetzt werden. Alle Schiffbrüchigen, das verlangt ihr Glaube, müssen getödtet werden; wer es unterliesse, würde sonst selbst im Schiffbruch umkommen (Erskine 249-50). Alte Eltern werden von ihren Kindern, kranke Kinder von ihren Eltern lebendig begraben (ebend.) und zwar ist es der eigene Wille der Opfer, dass ihnen so geschieht (477), denn man glaubt, man käme nach und durch solchen Tod sofort in ein anderes und viel besseres Leben; daher sich diese scheussliche Sitte mit wirklicher Familienanhänglichkeit verträgt. Aber es ist ebendaher auch begreiflich, dass nur wenige Menschen eines natürlichen Todes sterben (Will. u. Calvert 1, 188). Menschenopfer am Grabe, namentlich von Häuptlingen, sind ebenso gewöhnlich als umfangreich; die Weiber werden entweder alle oder doch die Lieblingsweiber und eine Menge Sklaven ermordet. Die Mutter, deren geliebter Sohn stirbt, folgt ihm bisweilen ins Grab, der Freund dem Freund (Will. u. Calvert 1, 134). Auch hierzu drängen sich, wegen der Belohnungen im Jenseits, die Opfer; die Weiber erdrosseln sich selbst, wenn ihnen Niemand diesen Dienst thut (Erskine 293. Mariner 1, 347). Und wie fest man an den Menschenopfern hielt, geht aus folgender Notiz bei Erskine 440 hervor: ein Fidschiinsulaner hatte, von irgend welchem Mitleiden ergriffen, einen Gefangenen nicht dem Gotte geopfert; da erschien ihm letzterer im Traum und quälte ihn über diese Unterlassung dermassen mit Gewissensbissen, dass der Mensch fast in Raserei fiel. Doch dieselbe Partei, welche, wie wir schon erwähnt haben (S. 70), sich gegen den Kannibalismus wendete und ihn abzuschaffen sucht, ist auch diesen Menschenopfern feindlich (Erskine 280) und so werden auch sie, da der Einfluss der Europäer hinzukommt, hoffentlich nicht mehr allzulange dauern. — Aehnliche Gebräuche fanden sich auch sonst in Melanesien, wenn auch nirgends so übertrieben wie hier: namentlich ist es das Lebendigbegrabenwerden der Eltern, der Kranken, die Ermordung der Mutter oder einer Verwandtin, wenn ein kleines Kind stirbt, was uns berichtet wird.
Was nun Polynesien betrifft, so ist es gewiss Uebertreibung, wenn Michelis (91. ohne Quellenangabe) erzählt, der König von Futuna (nördlich von Samoa), dessen Insel 2000 Einwohner hat, habe während seiner Regierung an 1000 Menschen den Göttern geopfert. Denn wir finden sonst in Polynesien die Menschenopfer nicht allzuzahlreich. Freilich ist es ein Irrthum, wenn Ellis 1, 106 behauptet, sie seien in Tahiti erst später eingeführt, da sie mit der ganzen polynesischen Religion viel zu eng verwachsen sind; wohl aber sind sie in späterer Zeit, noch vor der Entdeckung, von den Eingeborenen selbst sehr beschränkt. Bei Beginn eines Krieges
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