Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.Stämme ein sehr hohes Alter: er will unter den Payaguas mehrere Männer gesehen haben, die zum wenigsten 120 Jahre alt waren (270; vgl. 173). Die Polynesier, überhaupt die Bewohner kleiner und meist genügend fruchtbarer Inseln, so bedenklich ein solcher Wohnort nach anderen Seiten sein mag, sind in dieser Beziehung besser gestellt, da schon die Oertlichkeit ihrer Heimath solche übermässige Anstrengung verhütet; die langen und dünnen Gliedmaassen, die vorhängenden Bäuche, die verkommene Gestalt aber der Neuholländer ist zweifelsohne nicht Racencharakter (an einem anderen Ort gedenke ich den Nachweis zu führen, dass die letzteren gleichfalls ein Zweig des malaiopolynesischen Stammes sind), sondern durch die mühselige Lebensart, das ewige Wandern, die Unregelmässigkeit der Nahrung hervorgebracht. Und natürlich steigert sich alle diese Noth durch die Ausbreitung der Europäer, durch welche die Jagdthiere der Naturvölker sehr rasch zusammenschmelzen; ja sie steigert sich durch sich selbst und ihre eigene lange Dauer, da die Thiere, stets verfolgt, dadurch immer scheuer, die Jagd immer schwieriger wird, wie von Tschudi 2, 279 von Südamerika bezeugt. Auch werde, um nichts zu übergehen, wenigstens beiläufig an das erinnert, was Tschudi eb. 290 sagt, dass mangelnde Jagdbeute die Völker nöthigt, ihre Jagdzüge weiter auszudehnen und das Gebiet anderer Horden zu verletzen; dass diese ihr Gebiet vertheidigen und sich so oft sehr bedeutende Kämpfe um die Existenz entwickeln. Auf beschränktem Terrain war Ausrottung der Jagdthiere bisweilen nothwendige Folge auch der vorsichtigsten Jagd; so in Neuseeland, wo die grossen Jagdvögel, die Moas (Dinornis, Apteryx), nach und nach ausgerottet sind von den Eingeborenen selbst, die ersteren ganz, die letzteren wenigstens zum grössten Theil, und zwar ohne Schuld der Maoris: die Vögel vermehrten sich langsam und wurden bei ihrer Unbehülflichkeit und dem nicht sehr günstigen Terrain leicht die Beute der Jäger. So starben sie aus, ohne dass man jenen ein blindes Wüthen gegen die Jagdthiere vorwerfen dürfte. Betraf dies nun ihre Lebensart im Allgemeinen, so müssen wir nun noch von einzelnen Punkten speziell reden. Zunächst die Nahrung, in deren Auswahl und Aufbewahrung fast alle Naturvölker wenig Sorgfalt zeigen. Sie dürfen auch, da die Natur von selbst, auch in den Tropen, nicht zu jeder Zeit und nicht allzubereitwillig das Nöthige bildet, nicht allzu wählerisch sein. So essen denn z. B. die Botokuden eigentlich Alles, ausser geniessbaren Thieren auch Füchse, Aasgeier, Mäuse, Schlangen, Eidechsen, Kröten, Fledermäuse, Insektenlarven, Würmer, ungeputzte Eingeweide (Tschudi 2, 279. 298) und dergl. In Guyana graben die Kinder 18 Zoll lange Skolopender aus der Erde und -- fressen sie lebendig (Voigt Zoologie V, 420 nach Humboldt). Das Erdeessen der Otomaken hält Humboldt, der es b 6, 102 ff. mit Herbeiziehung alles Analogen bei Stämme ein sehr hohes Alter: er will unter den Payaguas mehrere Männer gesehen haben, die zum wenigsten 120 Jahre alt waren (270; vgl. 173). Die Polynesier, überhaupt die Bewohner kleiner und meist genügend fruchtbarer Inseln, so bedenklich ein solcher Wohnort nach anderen Seiten sein mag, sind in dieser Beziehung besser gestellt, da schon die Oertlichkeit ihrer Heimath solche übermässige Anstrengung verhütet; die langen und dünnen Gliedmaassen, die vorhängenden Bäuche, die verkommene Gestalt aber der Neuholländer ist zweifelsohne nicht Raçencharakter (an einem anderen Ort gedenke ich den Nachweis zu führen, dass die letzteren gleichfalls ein Zweig des malaiopolynesischen Stammes sind), sondern durch die mühselige Lebensart, das ewige Wandern, die Unregelmässigkeit der Nahrung hervorgebracht. Und natürlich steigert sich alle diese Noth durch die Ausbreitung der Europäer, durch welche die Jagdthiere der Naturvölker sehr rasch zusammenschmelzen; ja sie steigert sich durch sich selbst und ihre eigene lange Dauer, da die Thiere, stets verfolgt, dadurch immer scheuer, die Jagd immer schwieriger wird, wie von Tschudi 2, 279 von Südamerika bezeugt. Auch werde, um nichts zu übergehen, wenigstens beiläufig an das erinnert, was Tschudi eb. 290 sagt, dass mangelnde Jagdbeute die Völker nöthigt, ihre Jagdzüge weiter auszudehnen und das Gebiet anderer Horden zu verletzen; dass diese ihr Gebiet vertheidigen und sich so oft sehr bedeutende Kämpfe um die Existenz entwickeln. Auf beschränktem Terrain war Ausrottung der Jagdthiere bisweilen nothwendige Folge auch der vorsichtigsten Jagd; so in Neuseeland, wo die grossen Jagdvögel, die Moas (Dinornis, Apteryx), nach und nach ausgerottet sind von den Eingeborenen selbst, die ersteren ganz, die letzteren wenigstens zum grössten Theil, und zwar ohne Schuld der Maoris: die Vögel vermehrten sich langsam und wurden bei ihrer Unbehülflichkeit und dem nicht sehr günstigen Terrain leicht die Beute der Jäger. So starben sie aus, ohne dass man jenen ein blindes Wüthen gegen die Jagdthiere vorwerfen dürfte. Betraf dies nun ihre Lebensart im Allgemeinen, so müssen wir nun noch von einzelnen Punkten speziell reden. Zunächst die Nahrung, in deren Auswahl und Aufbewahrung fast alle Naturvölker wenig Sorgfalt zeigen. Sie dürfen auch, da die Natur von selbst, auch in den Tropen, nicht zu jeder Zeit und nicht allzubereitwillig das Nöthige bildet, nicht allzu wählerisch sein. So essen denn z. B. die Botokuden eigentlich Alles, ausser geniessbaren Thieren auch Füchse, Aasgeier, Mäuse, Schlangen, Eidechsen, Kröten, Fledermäuse, Insektenlarven, Würmer, ungeputzte Eingeweide (Tschudi 2, 279. 298) und dergl. In Guyana graben die Kinder 18 Zoll lange Skolopender aus der Erde und — fressen sie lebendig (Voigt Zoologie V, 420 nach Humboldt). Das Erdeessen der Otomaken hält Humboldt, der es b 6, 102 ff. mit Herbeiziehung alles Analogen bei <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0043"/> Stämme ein sehr hohes Alter: er will unter den Payaguas mehrere Männer gesehen haben, die zum wenigsten 120 Jahre alt waren (270; vgl. 173). Die Polynesier, überhaupt die Bewohner kleiner und meist genügend fruchtbarer Inseln, so bedenklich ein solcher Wohnort nach anderen Seiten sein mag, sind in dieser Beziehung besser gestellt, da schon die Oertlichkeit ihrer Heimath solche übermässige Anstrengung verhütet; die langen und dünnen Gliedmaassen, die vorhängenden Bäuche, die verkommene Gestalt aber der Neuholländer ist zweifelsohne nicht Raçencharakter (an einem anderen Ort gedenke ich den Nachweis zu führen, dass die letzteren gleichfalls ein Zweig des malaiopolynesischen Stammes sind), sondern durch die mühselige Lebensart, das ewige Wandern, die Unregelmässigkeit der Nahrung hervorgebracht. Und natürlich steigert sich alle diese Noth durch die Ausbreitung der Europäer, durch welche die Jagdthiere der Naturvölker sehr rasch zusammenschmelzen; ja sie steigert sich durch sich selbst und ihre eigene lange Dauer, da die Thiere, stets verfolgt, dadurch immer scheuer, die Jagd immer schwieriger wird, wie von Tschudi 2, 279 von Südamerika bezeugt. Auch werde, um nichts zu übergehen, wenigstens beiläufig an das erinnert, was Tschudi eb. 290 sagt, dass mangelnde Jagdbeute die Völker nöthigt, ihre Jagdzüge weiter auszudehnen und das Gebiet anderer Horden zu verletzen; dass diese ihr Gebiet vertheidigen und sich so oft sehr bedeutende Kämpfe um die Existenz entwickeln. Auf beschränktem Terrain war Ausrottung der Jagdthiere bisweilen nothwendige Folge auch der vorsichtigsten Jagd; so in Neuseeland, wo die grossen Jagdvögel, die Moas (Dinornis, Apteryx), nach und nach ausgerottet sind von den Eingeborenen selbst, die ersteren ganz, die letzteren wenigstens zum grössten Theil, und zwar ohne Schuld der Maoris: die Vögel vermehrten sich langsam und wurden bei ihrer Unbehülflichkeit und dem nicht sehr günstigen Terrain leicht die Beute der Jäger. So starben sie aus, ohne dass man jenen ein blindes Wüthen gegen die Jagdthiere vorwerfen dürfte.</p> <p>Betraf dies nun ihre Lebensart im Allgemeinen, so müssen wir nun noch von einzelnen Punkten speziell reden. Zunächst die Nahrung, in deren Auswahl und Aufbewahrung fast alle Naturvölker wenig Sorgfalt zeigen. Sie dürfen auch, da die Natur von selbst, auch in den Tropen, nicht zu jeder Zeit und nicht allzubereitwillig das Nöthige bildet, nicht allzu wählerisch sein. So essen denn z. B. die Botokuden eigentlich Alles, ausser geniessbaren Thieren auch Füchse, Aasgeier, Mäuse, Schlangen, Eidechsen, Kröten, Fledermäuse, Insektenlarven, Würmer, ungeputzte Eingeweide (Tschudi 2, 279. 298) und dergl. In Guyana graben die Kinder 18 Zoll lange Skolopender aus der Erde und — fressen sie lebendig (Voigt Zoologie V, 420 nach Humboldt). Das Erdeessen der Otomaken hält Humboldt, der es b 6, 102 ff. mit Herbeiziehung alles Analogen bei </p> </div> </body> </text> </TEI> [0043]
Stämme ein sehr hohes Alter: er will unter den Payaguas mehrere Männer gesehen haben, die zum wenigsten 120 Jahre alt waren (270; vgl. 173). Die Polynesier, überhaupt die Bewohner kleiner und meist genügend fruchtbarer Inseln, so bedenklich ein solcher Wohnort nach anderen Seiten sein mag, sind in dieser Beziehung besser gestellt, da schon die Oertlichkeit ihrer Heimath solche übermässige Anstrengung verhütet; die langen und dünnen Gliedmaassen, die vorhängenden Bäuche, die verkommene Gestalt aber der Neuholländer ist zweifelsohne nicht Raçencharakter (an einem anderen Ort gedenke ich den Nachweis zu führen, dass die letzteren gleichfalls ein Zweig des malaiopolynesischen Stammes sind), sondern durch die mühselige Lebensart, das ewige Wandern, die Unregelmässigkeit der Nahrung hervorgebracht. Und natürlich steigert sich alle diese Noth durch die Ausbreitung der Europäer, durch welche die Jagdthiere der Naturvölker sehr rasch zusammenschmelzen; ja sie steigert sich durch sich selbst und ihre eigene lange Dauer, da die Thiere, stets verfolgt, dadurch immer scheuer, die Jagd immer schwieriger wird, wie von Tschudi 2, 279 von Südamerika bezeugt. Auch werde, um nichts zu übergehen, wenigstens beiläufig an das erinnert, was Tschudi eb. 290 sagt, dass mangelnde Jagdbeute die Völker nöthigt, ihre Jagdzüge weiter auszudehnen und das Gebiet anderer Horden zu verletzen; dass diese ihr Gebiet vertheidigen und sich so oft sehr bedeutende Kämpfe um die Existenz entwickeln. Auf beschränktem Terrain war Ausrottung der Jagdthiere bisweilen nothwendige Folge auch der vorsichtigsten Jagd; so in Neuseeland, wo die grossen Jagdvögel, die Moas (Dinornis, Apteryx), nach und nach ausgerottet sind von den Eingeborenen selbst, die ersteren ganz, die letzteren wenigstens zum grössten Theil, und zwar ohne Schuld der Maoris: die Vögel vermehrten sich langsam und wurden bei ihrer Unbehülflichkeit und dem nicht sehr günstigen Terrain leicht die Beute der Jäger. So starben sie aus, ohne dass man jenen ein blindes Wüthen gegen die Jagdthiere vorwerfen dürfte.
Betraf dies nun ihre Lebensart im Allgemeinen, so müssen wir nun noch von einzelnen Punkten speziell reden. Zunächst die Nahrung, in deren Auswahl und Aufbewahrung fast alle Naturvölker wenig Sorgfalt zeigen. Sie dürfen auch, da die Natur von selbst, auch in den Tropen, nicht zu jeder Zeit und nicht allzubereitwillig das Nöthige bildet, nicht allzu wählerisch sein. So essen denn z. B. die Botokuden eigentlich Alles, ausser geniessbaren Thieren auch Füchse, Aasgeier, Mäuse, Schlangen, Eidechsen, Kröten, Fledermäuse, Insektenlarven, Würmer, ungeputzte Eingeweide (Tschudi 2, 279. 298) und dergl. In Guyana graben die Kinder 18 Zoll lange Skolopender aus der Erde und — fressen sie lebendig (Voigt Zoologie V, 420 nach Humboldt). Das Erdeessen der Otomaken hält Humboldt, der es b 6, 102 ff. mit Herbeiziehung alles Analogen bei
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Zitationshilfe: | Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/43>, abgerufen am 16.07.2024. |