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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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die Amerikaner in Nord- und Südamerika ihre Kinder aufs innigste.

In Tahiti nehmen die Frauen unmittelbar nach der Geburt sofort Dampfbäder mit kalten Abwaschungen (Wilson 461), in Neuseeland gleichfalls, wo die Kinder, wie in Tahiti, ganz nackt bleiben und eher schwimmen als laufen können (Dieffenbach 2, 24-25, Ellis 1, 261 und Mörenh. 2, 61); und ebenso auf Nukuhiva (Melville 2, 191). Hautkrankheiten, und zwar sehr bösartige der Kinder (jaws, framboesia) werden öfters erwähnt, z. B. in Tonga, wo die Kinder gut gepflegt und sonst sehr gesund sind (Mariner 2, 179) und in Ponapi (Cheyne 122). Grosse Sterblichkeit herrscht aber unter den Kindern wegen Mangel an Pflege und Wartung in Hawaii (Virgin 1, 268) und ebenso in Tahiti (Bennett 1, 148). Ellis sagt, dass die tahitischen Kinder, obwohl dem Aussehen nach dick und gesund, doch bis zu einem Alter etwa von 12 Monaten sehr zart und hinfällig wären (1, 260). Formation des Schädels durch Platt- und Hochdrücken war in Tahiti sehr häufig 1, 261. Auch auf Mikronesien ist die Wartung der Kinder schlecht. Auf Tobi (Lord North, äusserstes Süd-Westende Mikronesiens) erhalten die Kinder sofort nach der Geburt ganz gleiche Speise wie die Erwachsenen (Pickaring, Memoir of the Language and Inhabitants of Lord Norths Isl. 1845; 228), und ebenso auf Ratak Kokosmilch und Pisang, den ihnen die Mutter vorkaut; schädlicher aber als diese Nahrung ist ihnen die Unregelmässigkeit, mit der sie überhaupt etwas bekommen (Gulick 180-181), daher denn auch hier die Sterblichkeit unter ihnen gross ist. Auch in Polynesien säugen die Weiber gern Thiere auf neben den Kindern, wie z. B. die Hawaierinnen nach Remy XLII Hunde und Schweine.

In Melanosien ist es nicht besser: die Kinder werden nicht gepflegt und müssen von der Geburt an das Leben der Alten mitmachen. In einigen Gegenden Neu-Guineas (Finsch 103) wird der Gebärenden fortwährend kaltes Wasser über den Kopf gegossen, ist aber das Kind geboren, Mutter und Kind sofort kalt gebadet und dann einer möglichst starken Hitze neben einem lodernden Feuer ausgesetzt, und so abwechselnd weiter. Je heisser und länger Mutter und Kind diese Höllenkur vertragen, für desto gesünder gelten beide. In einer anderen Gegend hatte eine Frau ein unlängst erst geborenes Kind auf den heissen Sand gelegt und arbeitete in der Nähe; als Fremde kamen, grub sie es ohne weiteres bis an den Hals in den Sand und arbeitete fort (eb. 63).

Fast nirgends aber sterben mehr Kinder als in Neuholland: von vieren wird kaum mehr als eins drei Jahre alt (Turnbull 43), was sich aus der Behandlung, die ihnen zu Theil wird, und die nur ausserordentlich starke Kinder überstehen, erklärt. Kaum geboren wird das Kind in ein Opossumfell gewickelt, überall mit hingeschleppt und meist im höchsten Grade nachlässig behandelt, dem

die Amerikaner in Nord- und Südamerika ihre Kinder aufs innigste.

In Tahiti nehmen die Frauen unmittelbar nach der Geburt sofort Dampfbäder mit kalten Abwaschungen (Wilson 461), in Neuseeland gleichfalls, wo die Kinder, wie in Tahiti, ganz nackt bleiben und eher schwimmen als laufen können (Dieffenbach 2, 24-25, Ellis 1, 261 und Mörenh. 2, 61); und ebenso auf Nukuhiva (Melville 2, 191). Hautkrankheiten, und zwar sehr bösartige der Kinder (jaws, framboesia) werden öfters erwähnt, z. B. in Tonga, wo die Kinder gut gepflegt und sonst sehr gesund sind (Mariner 2, 179) und in Ponapi (Cheyne 122). Grosse Sterblichkeit herrscht aber unter den Kindern wegen Mangel an Pflege und Wartung in Hawaii (Virgin 1, 268) und ebenso in Tahiti (Bennett 1, 148). Ellis sagt, dass die tahitischen Kinder, obwohl dem Aussehen nach dick und gesund, doch bis zu einem Alter etwa von 12 Monaten sehr zart und hinfällig wären (1, 260). Formation des Schädels durch Platt- und Hochdrücken war in Tahiti sehr häufig 1, 261. Auch auf Mikronesien ist die Wartung der Kinder schlecht. Auf Tobi (Lord North, äusserstes Süd-Westende Mikronesiens) erhalten die Kinder sofort nach der Geburt ganz gleiche Speise wie die Erwachsenen (Pickaring, Memoir of the Language and Inhabitants of Lord Norths Isl. 1845; 228), und ebenso auf Ratak Kokosmilch und Pisang, den ihnen die Mutter vorkaut; schädlicher aber als diese Nahrung ist ihnen die Unregelmässigkeit, mit der sie überhaupt etwas bekommen (Gulick 180-181), daher denn auch hier die Sterblichkeit unter ihnen gross ist. Auch in Polynesien säugen die Weiber gern Thiere auf neben den Kindern, wie z. B. die Hawaierinnen nach Remy XLII Hunde und Schweine.

In Melanosien ist es nicht besser: die Kinder werden nicht gepflegt und müssen von der Geburt an das Leben der Alten mitmachen. In einigen Gegenden Neu-Guineas (Finsch 103) wird der Gebärenden fortwährend kaltes Wasser über den Kopf gegossen, ist aber das Kind geboren, Mutter und Kind sofort kalt gebadet und dann einer möglichst starken Hitze neben einem lodernden Feuer ausgesetzt, und so abwechselnd weiter. Je heisser und länger Mutter und Kind diese Höllenkur vertragen, für desto gesünder gelten beide. In einer anderen Gegend hatte eine Frau ein unlängst erst geborenes Kind auf den heissen Sand gelegt und arbeitete in der Nähe; als Fremde kamen, grub sie es ohne weiteres bis an den Hals in den Sand und arbeitete fort (eb. 63).

Fast nirgends aber sterben mehr Kinder als in Neuholland: von vieren wird kaum mehr als eins drei Jahre alt (Turnbull 43), was sich aus der Behandlung, die ihnen zu Theil wird, und die nur ausserordentlich starke Kinder überstehen, erklärt. Kaum geboren wird das Kind in ein Opossumfell gewickelt, überall mit hingeschleppt und meist im höchsten Grade nachlässig behandelt, dem

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 Dampfbäder mit kalten Abwaschungen (Wilson 461), in Neuseeland
 gleichfalls, wo die Kinder, wie in Tahiti, ganz nackt bleiben und
 eher schwimmen als laufen können (Dieffenbach 2, 24-25, Ellis
 1, 261 und Mörenh. 2, 61); und ebenso auf Nukuhiva (Melville
 2, 191). Hautkrankheiten, und zwar sehr bösartige der Kinder
 (jaws, framboesia) werden öfters erwähnt, z. B. in Tonga,
 wo die Kinder gut gepflegt und sonst sehr gesund sind (Mariner 2,
 179) und in Ponapi (Cheyne 122). Grosse Sterblichkeit herrscht aber
 unter den Kindern wegen Mangel an Pflege und Wartung in Hawaii
 (Virgin 1, 268) und ebenso in Tahiti (Bennett 1, 148). Ellis sagt,
 dass die tahitischen Kinder, obwohl dem Aussehen nach dick und
 gesund, doch bis zu einem Alter etwa von 12 Monaten sehr zart und
 hinfällig wären (1, 260). Formation des Schädels
 durch Platt- und Hochdrücken war in Tahiti sehr häufig 1,
 261. Auch auf Mikronesien ist die Wartung der Kinder schlecht. Auf
 Tobi (Lord North, äusserstes Süd-Westende Mikronesiens)
 erhalten die Kinder sofort nach der Geburt ganz gleiche Speise wie
 die Erwachsenen (Pickaring, Memoir of the Language and Inhabitants
 of Lord Norths Isl. 1845; 228), und ebenso auf Ratak Kokosmilch und
 Pisang, den ihnen die Mutter vorkaut; schädlicher aber als
 diese Nahrung ist ihnen die Unregelmässigkeit, mit der sie
 überhaupt etwas bekommen (Gulick 180-181), daher denn auch
 hier die Sterblichkeit unter ihnen gross ist. Auch in Polynesien
 säugen die Weiber gern Thiere auf neben den Kindern, wie z. B.
 die Hawaierinnen nach Remy XLII Hunde und Schweine.</p>
        <p>In Melanosien ist es nicht besser: die Kinder werden nicht
 gepflegt und müssen von der Geburt an das Leben der Alten
 mitmachen. In einigen Gegenden Neu-Guineas (Finsch 103) wird der
 Gebärenden fortwährend kaltes Wasser über den Kopf
 gegossen, ist aber das Kind geboren, Mutter und Kind sofort kalt
 gebadet und dann einer möglichst starken Hitze neben einem
 lodernden Feuer ausgesetzt, und so abwechselnd weiter. Je heisser
 und länger Mutter und Kind diese Höllenkur vertragen,
 für desto gesünder gelten beide. In einer anderen Gegend
 hatte eine Frau ein unlängst erst geborenes Kind auf den
 heissen Sand gelegt und arbeitete in der Nähe; als Fremde
 kamen, grub sie es ohne weiteres bis an den Hals in den Sand und
 arbeitete fort (eb. 63).</p>
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 vieren wird kaum mehr als eins drei Jahre alt (Turnbull 43), was
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 ausserordentlich starke Kinder überstehen, erklärt. Kaum
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[0038] die Amerikaner in Nord- und Südamerika ihre Kinder aufs innigste. In Tahiti nehmen die Frauen unmittelbar nach der Geburt sofort Dampfbäder mit kalten Abwaschungen (Wilson 461), in Neuseeland gleichfalls, wo die Kinder, wie in Tahiti, ganz nackt bleiben und eher schwimmen als laufen können (Dieffenbach 2, 24-25, Ellis 1, 261 und Mörenh. 2, 61); und ebenso auf Nukuhiva (Melville 2, 191). Hautkrankheiten, und zwar sehr bösartige der Kinder (jaws, framboesia) werden öfters erwähnt, z. B. in Tonga, wo die Kinder gut gepflegt und sonst sehr gesund sind (Mariner 2, 179) und in Ponapi (Cheyne 122). Grosse Sterblichkeit herrscht aber unter den Kindern wegen Mangel an Pflege und Wartung in Hawaii (Virgin 1, 268) und ebenso in Tahiti (Bennett 1, 148). Ellis sagt, dass die tahitischen Kinder, obwohl dem Aussehen nach dick und gesund, doch bis zu einem Alter etwa von 12 Monaten sehr zart und hinfällig wären (1, 260). Formation des Schädels durch Platt- und Hochdrücken war in Tahiti sehr häufig 1, 261. Auch auf Mikronesien ist die Wartung der Kinder schlecht. Auf Tobi (Lord North, äusserstes Süd-Westende Mikronesiens) erhalten die Kinder sofort nach der Geburt ganz gleiche Speise wie die Erwachsenen (Pickaring, Memoir of the Language and Inhabitants of Lord Norths Isl. 1845; 228), und ebenso auf Ratak Kokosmilch und Pisang, den ihnen die Mutter vorkaut; schädlicher aber als diese Nahrung ist ihnen die Unregelmässigkeit, mit der sie überhaupt etwas bekommen (Gulick 180-181), daher denn auch hier die Sterblichkeit unter ihnen gross ist. Auch in Polynesien säugen die Weiber gern Thiere auf neben den Kindern, wie z. B. die Hawaierinnen nach Remy XLII Hunde und Schweine. In Melanosien ist es nicht besser: die Kinder werden nicht gepflegt und müssen von der Geburt an das Leben der Alten mitmachen. In einigen Gegenden Neu-Guineas (Finsch 103) wird der Gebärenden fortwährend kaltes Wasser über den Kopf gegossen, ist aber das Kind geboren, Mutter und Kind sofort kalt gebadet und dann einer möglichst starken Hitze neben einem lodernden Feuer ausgesetzt, und so abwechselnd weiter. Je heisser und länger Mutter und Kind diese Höllenkur vertragen, für desto gesünder gelten beide. In einer anderen Gegend hatte eine Frau ein unlängst erst geborenes Kind auf den heissen Sand gelegt und arbeitete in der Nähe; als Fremde kamen, grub sie es ohne weiteres bis an den Hals in den Sand und arbeitete fort (eb. 63). Fast nirgends aber sterben mehr Kinder als in Neuholland: von vieren wird kaum mehr als eins drei Jahre alt (Turnbull 43), was sich aus der Behandlung, die ihnen zu Theil wird, und die nur ausserordentlich starke Kinder überstehen, erklärt. Kaum geboren wird das Kind in ein Opossumfell gewickelt, überall mit hingeschleppt und meist im höchsten Grade nachlässig behandelt, dem

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/38>, abgerufen am 27.04.2024.