Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Humboldt an sich und seinen Begleitern in Centralamerika beobachtete: "Es kommt häufig vor, sagt er b 6, 142, dass sich bei Reisenden die Folgen der Miasmen erst dann äussern, wenn sie wieder in reinerer Luft sind und sich zu erholen anfangen. Eine gewisse geistige Anspannung kann eine Zeitlang die Wirkung krankmachender Ursachen hinausschieben." Denn aus diesem Satze erklären sich manche Erscheinungen bei jenen spontanen Krankheiten der Naturvölker -- so darf man wohl, ohne Gefahr missverstanden zu werden, die Krankheiten nennen, welche nach der blossen Berührung mit den Kulturvölkern, ohne direkte Einschleppung entstehen -- Erscheinungen, welche sonst auffallen müssten. So, dass diese Uebel während der Anwesenheit der Europäer noch nicht verspürt werden, denn jene Schwindel- und Kopfwehanfälle der Pitkairner noch während Beecheys Besuch beruhten sicher, nach ächt polynesischer Art, auf anticipirender und übertreibender Einbildung; dann, dass sie ungleich seltener bei feindlichem Zusammenstoss zweier Racen sich zeigen, welcher freilich meist auch von kürzerer Dauer ist, als ein freundlicher Besuch. Auch scheint es, als ob das Durchmachen einer Epidemie gegen Miasmen verschiedener Art abhärte; wiewohl es gar nicht selten ist, dass ein und derselbe Volksstamm von mancherlei Seuchen nach einander (oder auch von derselben wieder) heimgesucht wird. Doch ist dann fast immer der erste Anfall der verheerendste.

Jedenfalls aber haben wir hier die erste Ursache für das Aussterben der Naturvölker: ihre leichte Empfänglichkeit für Miasmen, welche die Kulturvölker ohne Wissen und Willen und bei eigener Gesundheit, zu ihnen bringen; und die geringe Widerstandsfähigkeit ihres Organismus gegen solche durch jene Miasmen entstehende Krankheiten.



§ 3. Direkt eingeschleppte Krankheiten.

Zu diesen eben besprochenen Krankheiten kommen noch andere hinzu, deren Mittheilung zwar auf demselben Grunde beruht, den wir im vorigen Paragraphen betrachteten, die aber doch, da man sie als direkt eingeschleppte allgemein betrachtet und nachweisen kann, für den Beobachter weit mindere Schwierigkeit bieten. Hierher gehören aber gerade die furchtbarsten Seuchen, welche die Naturvölker betroffen haben; und kann man sich denken, wie verheerend

Humboldt an sich und seinen Begleitern in Centralamerika beobachtete: »Es kommt häufig vor, sagt er b 6, 142, dass sich bei Reisenden die Folgen der Miasmen erst dann äussern, wenn sie wieder in reinerer Luft sind und sich zu erholen anfangen. Eine gewisse geistige Anspannung kann eine Zeitlang die Wirkung krankmachender Ursachen hinausschieben.« Denn aus diesem Satze erklären sich manche Erscheinungen bei jenen spontanen Krankheiten der Naturvölker — so darf man wohl, ohne Gefahr missverstanden zu werden, die Krankheiten nennen, welche nach der blossen Berührung mit den Kulturvölkern, ohne direkte Einschleppung entstehen — Erscheinungen, welche sonst auffallen müssten. So, dass diese Uebel während der Anwesenheit der Europäer noch nicht verspürt werden, denn jene Schwindel- und Kopfwehanfälle der Pitkairner noch während Beecheys Besuch beruhten sicher, nach ächt polynesischer Art, auf anticipirender und übertreibender Einbildung; dann, dass sie ungleich seltener bei feindlichem Zusammenstoss zweier Raçen sich zeigen, welcher freilich meist auch von kürzerer Dauer ist, als ein freundlicher Besuch. Auch scheint es, als ob das Durchmachen einer Epidemie gegen Miasmen verschiedener Art abhärte; wiewohl es gar nicht selten ist, dass ein und derselbe Volksstamm von mancherlei Seuchen nach einander (oder auch von derselben wieder) heimgesucht wird. Doch ist dann fast immer der erste Anfall der verheerendste.

Jedenfalls aber haben wir hier die erste Ursache für das Aussterben der Naturvölker: ihre leichte Empfänglichkeit für Miasmen, welche die Kulturvölker ohne Wissen und Willen und bei eigener Gesundheit, zu ihnen bringen; und die geringe Widerstandsfähigkeit ihres Organismus gegen solche durch jene Miasmen entstehende Krankheiten.



§ 3. Direkt eingeschleppte Krankheiten.

Zu diesen eben besprochenen Krankheiten kommen noch andere hinzu, deren Mittheilung zwar auf demselben Grunde beruht, den wir im vorigen Paragraphen betrachteten, die aber doch, da man sie als direkt eingeschleppte allgemein betrachtet und nachweisen kann, für den Beobachter weit mindere Schwierigkeit bieten. Hierher gehören aber gerade die furchtbarsten Seuchen, welche die Naturvölker betroffen haben; und kann man sich denken, wie verheerend

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0027"/>
Humboldt an sich und seinen Begleitern
 in Centralamerika beobachtete: »Es kommt häufig vor,
 sagt er b 6, 142, dass sich bei Reisenden die Folgen der Miasmen
 erst dann äussern, wenn sie wieder in reinerer Luft sind und
 sich zu erholen anfangen. Eine gewisse geistige Anspannung kann
 eine Zeitlang die Wirkung krankmachender Ursachen
 hinausschieben.« Denn aus diesem Satze erklären sich
 manche Erscheinungen bei jenen spontanen Krankheiten der
 Naturvölker &#x2014; so darf man wohl, ohne Gefahr
 missverstanden zu werden, die Krankheiten nennen, welche nach der
 blossen Berührung mit den Kulturvölkern, ohne direkte
 Einschleppung entstehen &#x2014; Erscheinungen, welche sonst
 auffallen müssten. So, dass diese Uebel während der
 Anwesenheit der Europäer noch nicht verspürt werden, denn
 jene Schwindel- und Kopfwehanfälle der Pitkairner noch
 während Beecheys Besuch beruhten sicher, nach ächt
 polynesischer Art, auf anticipirender und übertreibender
 Einbildung; dann, dass sie ungleich seltener bei feindlichem
 Zusammenstoss zweier Raçen sich zeigen, welcher freilich
 meist auch von kürzerer Dauer ist, als ein freundlicher
 Besuch. Auch scheint es, als ob das Durchmachen <hi rendition="#g">einer</hi> Epidemie gegen Miasmen verschiedener Art abhärte; wiewohl es
 gar nicht selten ist, dass ein und derselbe Volksstamm von
 mancherlei Seuchen nach einander (oder auch von derselben wieder)
 heimgesucht wird. Doch ist dann fast immer der erste Anfall der
 verheerendste.</p>
        <p>Jedenfalls aber haben wir hier die erste Ursache für das
 Aussterben der Naturvölker: ihre leichte Empfänglichkeit
 für Miasmen, welche die Kulturvölker ohne Wissen und
 Willen und bei eigener Gesundheit, zu ihnen bringen; und die
 geringe Widerstandsfähigkeit ihres Organismus gegen solche
 durch jene Miasmen entstehende Krankheiten.</p>
      </div>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head>§ 3. <hi rendition="#i"><hi rendition="#i">Direkt eingeschleppte Krankheiten.</hi></hi></head><lb/>
        <p>Zu diesen eben besprochenen Krankheiten kommen noch andere
 hinzu, deren Mittheilung zwar auf demselben Grunde beruht, den wir
 im vorigen Paragraphen betrachteten, die aber doch, da man sie als
 direkt eingeschleppte allgemein betrachtet und nachweisen kann,
 für den Beobachter weit mindere Schwierigkeit bieten. Hierher
 gehören aber gerade die furchtbarsten Seuchen, welche die
 Naturvölker betroffen haben; und kann man sich denken, wie
 verheerend
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0027] Humboldt an sich und seinen Begleitern in Centralamerika beobachtete: »Es kommt häufig vor, sagt er b 6, 142, dass sich bei Reisenden die Folgen der Miasmen erst dann äussern, wenn sie wieder in reinerer Luft sind und sich zu erholen anfangen. Eine gewisse geistige Anspannung kann eine Zeitlang die Wirkung krankmachender Ursachen hinausschieben.« Denn aus diesem Satze erklären sich manche Erscheinungen bei jenen spontanen Krankheiten der Naturvölker — so darf man wohl, ohne Gefahr missverstanden zu werden, die Krankheiten nennen, welche nach der blossen Berührung mit den Kulturvölkern, ohne direkte Einschleppung entstehen — Erscheinungen, welche sonst auffallen müssten. So, dass diese Uebel während der Anwesenheit der Europäer noch nicht verspürt werden, denn jene Schwindel- und Kopfwehanfälle der Pitkairner noch während Beecheys Besuch beruhten sicher, nach ächt polynesischer Art, auf anticipirender und übertreibender Einbildung; dann, dass sie ungleich seltener bei feindlichem Zusammenstoss zweier Raçen sich zeigen, welcher freilich meist auch von kürzerer Dauer ist, als ein freundlicher Besuch. Auch scheint es, als ob das Durchmachen einer Epidemie gegen Miasmen verschiedener Art abhärte; wiewohl es gar nicht selten ist, dass ein und derselbe Volksstamm von mancherlei Seuchen nach einander (oder auch von derselben wieder) heimgesucht wird. Doch ist dann fast immer der erste Anfall der verheerendste. Jedenfalls aber haben wir hier die erste Ursache für das Aussterben der Naturvölker: ihre leichte Empfänglichkeit für Miasmen, welche die Kulturvölker ohne Wissen und Willen und bei eigener Gesundheit, zu ihnen bringen; und die geringe Widerstandsfähigkeit ihres Organismus gegen solche durch jene Miasmen entstehende Krankheiten. § 3. Direkt eingeschleppte Krankheiten. Zu diesen eben besprochenen Krankheiten kommen noch andere hinzu, deren Mittheilung zwar auf demselben Grunde beruht, den wir im vorigen Paragraphen betrachteten, die aber doch, da man sie als direkt eingeschleppte allgemein betrachtet und nachweisen kann, für den Beobachter weit mindere Schwierigkeit bieten. Hierher gehören aber gerade die furchtbarsten Seuchen, welche die Naturvölker betroffen haben; und kann man sich denken, wie verheerend

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2012-11-06T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-06T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-06T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Die Transkription entspricht den DTA-Richtlinien.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/27
Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/27>, abgerufen am 03.12.2024.