Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.wonnen. Und wenn man im 19. Jahrhundert mit demselben Leichtsinn wie im 16. nur um zu taufen, tauft: so ist das in unseren Zeiten bei weitem schlimmer, als in jenen früheren. Bis jetzt also hat die Höhe der intellektuellen Entwickelung noch keineswegs durchgreifend und in dem Maasse, als man denken sollte, auf die moralische Seite des menschlichen Charakters gewirkt -- aus Gründen, deren tiefere psychologische Motivirung hier uns zu weit führen würde. Und doch lässt es sich nicht läugnen, dass alles wirkliche Fortschreiten der gesammten Menschheit, wodurch sie immer reiner und wirklich menschlicher sich entwickelt, nicht sowohl auf intellektuellen als auf moralischen Geistesthaten beruht. Die europäische Gesellschaft ist zu ihrer heutigen Höhestufe emporgehoben erstens durch die Gleichstellung der Frauen bei den Germanen, zweitens die rein moralische Macht des Christenthums, drittens die Reinigung des Christenthums und die Anerkennung der individuellen Geistesfreiheit durch die Reformation und die Reinigung der sozialen Verhältnisse durch die Revolution des vorigen Jahrhunderts. Letztere trug auch gleich den Naturvölkern die besten Früchte: denn dass Polynesien wesentlich anders behandelt ist, als Amerika, dazu trugen nicht wenig bei die Lehren von Männern wie Rousseau, der Gedanke, dass alle Menschen, mochten sie nun durch Stände oder Hautfarbe und Sprache verschieden scheinen, in ihrem Wesen gleiche Menschen seien; ja die Ansicht, welche man von diesen Völkern lange Zeit in Europa hegte, beruhte gleichfalls auf diesen Gedanken, da sie hauptsächlich durch die Werke der Forster hervorgerufen wurden, diese aber eifrige Anhänger Rousseau's waren. -- Neben jenen Hauptförderungen der Menschheit darf man einige andere zwar nicht in erster Linie anführen, aber auch ebensowenig ganz übersehen, und dahin gehört die Erweckung des reinen Schönheitssinnes, der wahren Kunst durch die Griechen. Während nun im Leben der Völker und der Einzelnen es sich nur allzuhäufig zeigt, dass die grösste Ausbildung der Intelligenz auf die sittliche Vollendung eines Menschen gar keinen Einfluss hat, so fördert umgekehrt jeder sittliche Fortschritt der menschlichen Gesellschaft ihre intellektuellen Leistungen und ist ohne eine solche Förderung gar nicht zu denken, da ja jeder wirklich bedeutende sittliche Fortschritt die Menschheit in ihrem ganzen Wesen hebt und weiter entwickelt, und nur wo dieser Doppelfortschritt geschieht, kann von einem wirklichen Höhersteigen die Rede sein. Man hebt nie ein Volk nur durch Industrie und Lehranstalten, wenn man es dadurch auch reich und wohl unterrichtet machen kann; man hebt es nur, wenn man seine idealen Anschauungen läutert und fördert. Dass aber eine Förderung nicht etwa dadurch eintritt, dass man der Gegenwart das Ideal vergangener Jahrhunderte als das einzig heilvolle aufzwingen will, das liegt auf der Hand. wonnen. Und wenn man im 19. Jahrhundert mit demselben Leichtsinn wie im 16. nur um zu taufen, tauft: so ist das in unseren Zeiten bei weitem schlimmer, als in jenen früheren. Bis jetzt also hat die Höhe der intellektuellen Entwickelung noch keineswegs durchgreifend und in dem Maasse, als man denken sollte, auf die moralische Seite des menschlichen Charakters gewirkt — aus Gründen, deren tiefere psychologische Motivirung hier uns zu weit führen würde. Und doch lässt es sich nicht läugnen, dass alles wirkliche Fortschreiten der gesammten Menschheit, wodurch sie immer reiner und wirklich menschlicher sich entwickelt, nicht sowohl auf intellektuellen als auf moralischen Geistesthaten beruht. Die europäische Gesellschaft ist zu ihrer heutigen Höhestufe emporgehoben erstens durch die Gleichstellung der Frauen bei den Germanen, zweitens die rein moralische Macht des Christenthums, drittens die Reinigung des Christenthums und die Anerkennung der individuellen Geistesfreiheit durch die Reformation und die Reinigung der sozialen Verhältnisse durch die Revolution des vorigen Jahrhunderts. Letztere trug auch gleich den Naturvölkern die besten Früchte: denn dass Polynesien wesentlich anders behandelt ist, als Amerika, dazu trugen nicht wenig bei die Lehren von Männern wie Rousseau, der Gedanke, dass alle Menschen, mochten sie nun durch Stände oder Hautfarbe und Sprache verschieden scheinen, in ihrem Wesen gleiche Menschen seien; ja die Ansicht, welche man von diesen Völkern lange Zeit in Europa hegte, beruhte gleichfalls auf diesen Gedanken, da sie hauptsächlich durch die Werke der Forster hervorgerufen wurden, diese aber eifrige Anhänger Rousseau's waren. — Neben jenen Hauptförderungen der Menschheit darf man einige andere zwar nicht in erster Linie anführen, aber auch ebensowenig ganz übersehen, und dahin gehört die Erweckung des reinen Schönheitssinnes, der wahren Kunst durch die Griechen. Während nun im Leben der Völker und der Einzelnen es sich nur allzuhäufig zeigt, dass die grösste Ausbildung der Intelligenz auf die sittliche Vollendung eines Menschen gar keinen Einfluss hat, so fördert umgekehrt jeder sittliche Fortschritt der menschlichen Gesellschaft ihre intellektuellen Leistungen und ist ohne eine solche Förderung gar nicht zu denken, da ja jeder wirklich bedeutende sittliche Fortschritt die Menschheit in ihrem ganzen Wesen hebt und weiter entwickelt, und nur wo dieser Doppelfortschritt geschieht, kann von einem wirklichen Höhersteigen die Rede sein. Man hebt nie ein Volk nur durch Industrie und Lehranstalten, wenn man es dadurch auch reich und wohl unterrichtet machen kann; man hebt es nur, wenn man seine idealen Anschauungen läutert und fördert. Dass aber eine Förderung nicht etwa dadurch eintritt, dass man der Gegenwart das Ideal vergangener Jahrhunderte als das einzig heilvolle aufzwingen will, das liegt auf der Hand. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0149"/> wonnen. Und wenn man im 19. Jahrhundert mit demselben Leichtsinn wie im 16. nur um zu taufen, tauft: so ist das in unseren Zeiten bei weitem schlimmer, als in jenen früheren. Bis jetzt also hat die Höhe der intellektuellen Entwickelung noch keineswegs durchgreifend und in dem Maasse, als man denken sollte, auf die moralische Seite des menschlichen Charakters gewirkt — aus Gründen, deren tiefere psychologische Motivirung hier uns zu weit führen würde.</p> <p>Und doch lässt es sich nicht läugnen, dass alles wirkliche Fortschreiten der gesammten Menschheit, wodurch sie immer reiner und wirklich menschlicher sich entwickelt, nicht sowohl auf intellektuellen als auf moralischen Geistesthaten beruht. Die europäische Gesellschaft ist zu ihrer heutigen Höhestufe emporgehoben erstens durch die Gleichstellung der Frauen bei den Germanen, zweitens die rein moralische Macht des Christenthums, drittens die Reinigung des Christenthums und die Anerkennung der individuellen Geistesfreiheit durch die Reformation und die Reinigung der sozialen Verhältnisse durch die Revolution des vorigen Jahrhunderts. Letztere trug auch gleich den Naturvölkern die besten Früchte: denn dass Polynesien wesentlich anders behandelt ist, als Amerika, dazu trugen nicht wenig bei die Lehren von Männern wie Rousseau, der Gedanke, dass alle Menschen, mochten sie nun durch Stände oder Hautfarbe und Sprache verschieden scheinen, in ihrem Wesen gleiche Menschen seien; ja die Ansicht, welche man von diesen Völkern lange Zeit in Europa hegte, beruhte gleichfalls auf diesen Gedanken, da sie hauptsächlich durch die Werke der Forster hervorgerufen wurden, diese aber eifrige Anhänger Rousseau's waren. — Neben jenen Hauptförderungen der Menschheit darf man einige andere zwar nicht in erster Linie anführen, aber auch ebensowenig ganz übersehen, und dahin gehört die Erweckung des reinen Schönheitssinnes, der wahren Kunst durch die Griechen. Während nun im Leben der Völker und der Einzelnen es sich nur allzuhäufig zeigt, dass die grösste Ausbildung der Intelligenz auf die sittliche Vollendung eines Menschen gar keinen Einfluss hat, so fördert umgekehrt jeder sittliche Fortschritt der menschlichen Gesellschaft ihre intellektuellen Leistungen und ist ohne eine solche Förderung gar nicht zu denken, da ja jeder wirklich bedeutende sittliche Fortschritt die Menschheit in ihrem ganzen Wesen hebt und weiter entwickelt, und nur wo dieser Doppelfortschritt geschieht, kann von einem wirklichen Höhersteigen die Rede sein. Man hebt nie ein Volk nur durch Industrie und Lehranstalten, wenn man es dadurch auch reich und wohl unterrichtet machen kann; man hebt es nur, wenn man seine idealen Anschauungen läutert und fördert. Dass aber eine Förderung nicht etwa dadurch eintritt, dass man der Gegenwart das Ideal vergangener Jahrhunderte als das einzig heilvolle aufzwingen will, das liegt auf der Hand.</p> </div> </body> </text> </TEI> [0149]
wonnen. Und wenn man im 19. Jahrhundert mit demselben Leichtsinn wie im 16. nur um zu taufen, tauft: so ist das in unseren Zeiten bei weitem schlimmer, als in jenen früheren. Bis jetzt also hat die Höhe der intellektuellen Entwickelung noch keineswegs durchgreifend und in dem Maasse, als man denken sollte, auf die moralische Seite des menschlichen Charakters gewirkt — aus Gründen, deren tiefere psychologische Motivirung hier uns zu weit führen würde.
Und doch lässt es sich nicht läugnen, dass alles wirkliche Fortschreiten der gesammten Menschheit, wodurch sie immer reiner und wirklich menschlicher sich entwickelt, nicht sowohl auf intellektuellen als auf moralischen Geistesthaten beruht. Die europäische Gesellschaft ist zu ihrer heutigen Höhestufe emporgehoben erstens durch die Gleichstellung der Frauen bei den Germanen, zweitens die rein moralische Macht des Christenthums, drittens die Reinigung des Christenthums und die Anerkennung der individuellen Geistesfreiheit durch die Reformation und die Reinigung der sozialen Verhältnisse durch die Revolution des vorigen Jahrhunderts. Letztere trug auch gleich den Naturvölkern die besten Früchte: denn dass Polynesien wesentlich anders behandelt ist, als Amerika, dazu trugen nicht wenig bei die Lehren von Männern wie Rousseau, der Gedanke, dass alle Menschen, mochten sie nun durch Stände oder Hautfarbe und Sprache verschieden scheinen, in ihrem Wesen gleiche Menschen seien; ja die Ansicht, welche man von diesen Völkern lange Zeit in Europa hegte, beruhte gleichfalls auf diesen Gedanken, da sie hauptsächlich durch die Werke der Forster hervorgerufen wurden, diese aber eifrige Anhänger Rousseau's waren. — Neben jenen Hauptförderungen der Menschheit darf man einige andere zwar nicht in erster Linie anführen, aber auch ebensowenig ganz übersehen, und dahin gehört die Erweckung des reinen Schönheitssinnes, der wahren Kunst durch die Griechen. Während nun im Leben der Völker und der Einzelnen es sich nur allzuhäufig zeigt, dass die grösste Ausbildung der Intelligenz auf die sittliche Vollendung eines Menschen gar keinen Einfluss hat, so fördert umgekehrt jeder sittliche Fortschritt der menschlichen Gesellschaft ihre intellektuellen Leistungen und ist ohne eine solche Förderung gar nicht zu denken, da ja jeder wirklich bedeutende sittliche Fortschritt die Menschheit in ihrem ganzen Wesen hebt und weiter entwickelt, und nur wo dieser Doppelfortschritt geschieht, kann von einem wirklichen Höhersteigen die Rede sein. Man hebt nie ein Volk nur durch Industrie und Lehranstalten, wenn man es dadurch auch reich und wohl unterrichtet machen kann; man hebt es nur, wenn man seine idealen Anschauungen läutert und fördert. Dass aber eine Förderung nicht etwa dadurch eintritt, dass man der Gegenwart das Ideal vergangener Jahrhunderte als das einzig heilvolle aufzwingen will, das liegt auf der Hand.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML.
(2012-11-06T13:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-06T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-06T13:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |