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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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welche höchstens einmal ein vereinzelter Racheakt Einzelner glücklichen Erfolg hatte. Mag auch Waitz Recht haben, wenn er sagt (b, 157), das Rechtsgefühl der Indianer sei durch den harten Druck der Weissen weiter und schärfer entwickelt worden, als es wohl sonst geschehen sei; so fährt er doch ebenso richtig fort: "freilich war davon die nächste Folge für sie selbst nur diese, dass sie ihre Ohnmacht und die Trostlosigkeit ihrer Lage dann um so bitterer empfanden."

Diese Vernichtung aber des gesammten geistigen und ethischen Lebens der Nationen kann man gar nicht stark genug betonen, wenn man die Gründe für ihr Aussterben aufsuchen will. Wie nichts ein Volk mehr hebt, als freudige Achtung vor sich selbst und fröhliches Gelingen des von ihm Erstrebten, so drückt nichts den Volksgeist tiefer, als das Gefühl der eigenen Ohnmacht und Verlorenheit. Zum Gefühl aber der äussersten Ohnmacht und Rechtslosigkeit, des bittersten und doch ganz hülflosen Ingrimms finden wir alle diese Völker, Amerikaner, Aleuten und Kamtschadalen, Neuholländer, Polynesier und Hottentotten verdammt. "Jede Race, weiss schwarz oder roth, sagt Elliot bei Waitz 3, 299, muss untergehen, wenn ihr Muth, ihre Energie und Selbstachtung durch Unterdrückung, Sklaverei und Laster zu Grunde gehen." Und nun hatten, wie wir gesehen, die meisten Naturvölker schon von Haus aus einen entschiedenen Hang zur Melancholie, welche durch alle diese Schicksale natürlich aufs ärgste vermehrt ihren Untergang nur beschleunigte. Man denke sich nur, wenn wir Europäer mit allen unseren Kulturmitteln, mit unserer Religion, kurz mit allen den Vortheilen, die wir den Naturvölkern gegenüber besitzen, ihr Loos auch nur wenige Jahre, etwa eine Generation, zu ertragen hätten, was aus uns werden sollte! Man denke, wie der dreissigjährige Krieg gewirkt hat, dessen Greuel doch bei weitem durch das, was die Naturvölker zu leiden hatten, überboten werden: und man wird sich mehr über die zähe Ausdauer, als über das Hinschwinden derselben verwundern. Nur ihre grössere Härte und Festigkeit hat sie aufrecht erhalten den Völkern gegenüber, die sie anfangs alle, Mexikaner sowohl wie Hottentotten und Neuholländer, für Götter hielten!

Musste alles dieses auf das geistige Leben der Völker und damit auch auf das leibliche einen vernichtenden Einfluss ausüben, so übte es den auch noch auf eine andere Art. Mit der Vernichtung der bestehenden Staaten war natürlich auch jedes Recht und Gesetz, welches in denselben bestanden hatte, aufgehoben. In Mexiko, in Peru aber waren die Gesetze von grosser Strenge und grosser Wirksamkeit, da sie überall in höchster Achtung standen und nicht anders war es in Polynesien, wo das Tabu auch manchen heilsam verbietenden Einfluss hatte. Stürzte nun das Alles zusammen, so musste nothwendigerweise eine um so ärgere Demoralisation eintreten, je

welche höchstens einmal ein vereinzelter Racheakt Einzelner glücklichen Erfolg hatte. Mag auch Waitz Recht haben, wenn er sagt (b, 157), das Rechtsgefühl der Indianer sei durch den harten Druck der Weissen weiter und schärfer entwickelt worden, als es wohl sonst geschehen sei; so fährt er doch ebenso richtig fort: »freilich war davon die nächste Folge für sie selbst nur diese, dass sie ihre Ohnmacht und die Trostlosigkeit ihrer Lage dann um so bitterer empfanden.«

Diese Vernichtung aber des gesammten geistigen und ethischen Lebens der Nationen kann man gar nicht stark genug betonen, wenn man die Gründe für ihr Aussterben aufsuchen will. Wie nichts ein Volk mehr hebt, als freudige Achtung vor sich selbst und fröhliches Gelingen des von ihm Erstrebten, so drückt nichts den Volksgeist tiefer, als das Gefühl der eigenen Ohnmacht und Verlorenheit. Zum Gefühl aber der äussersten Ohnmacht und Rechtslosigkeit, des bittersten und doch ganz hülflosen Ingrimms finden wir alle diese Völker, Amerikaner, Aleuten und Kamtschadalen, Neuholländer, Polynesier und Hottentotten verdammt. »Jede Raçe, weiss schwarz oder roth, sagt Elliot bei Waitz 3, 299, muss untergehen, wenn ihr Muth, ihre Energie und Selbstachtung durch Unterdrückung, Sklaverei und Laster zu Grunde gehen.« Und nun hatten, wie wir gesehen, die meisten Naturvölker schon von Haus aus einen entschiedenen Hang zur Melancholie, welche durch alle diese Schicksale natürlich aufs ärgste vermehrt ihren Untergang nur beschleunigte. Man denke sich nur, wenn wir Europäer mit allen unseren Kulturmitteln, mit unserer Religion, kurz mit allen den Vortheilen, die wir den Naturvölkern gegenüber besitzen, ihr Loos auch nur wenige Jahre, etwa eine Generation, zu ertragen hätten, was aus uns werden sollte! Man denke, wie der dreissigjährige Krieg gewirkt hat, dessen Greuel doch bei weitem durch das, was die Naturvölker zu leiden hatten, überboten werden: und man wird sich mehr über die zähe Ausdauer, als über das Hinschwinden derselben verwundern. Nur ihre grössere Härte und Festigkeit hat sie aufrecht erhalten den Völkern gegenüber, die sie anfangs alle, Mexikaner sowohl wie Hottentotten und Neuholländer, für Götter hielten!

Musste alles dieses auf das geistige Leben der Völker und damit auch auf das leibliche einen vernichtenden Einfluss ausüben, so übte es den auch noch auf eine andere Art. Mit der Vernichtung der bestehenden Staaten war natürlich auch jedes Recht und Gesetz, welches in denselben bestanden hatte, aufgehoben. In Mexiko, in Peru aber waren die Gesetze von grosser Strenge und grosser Wirksamkeit, da sie überall in höchster Achtung standen und nicht anders war es in Polynesien, wo das Tabu auch manchen heilsam verbietenden Einfluss hatte. Stürzte nun das Alles zusammen, so musste nothwendigerweise eine um so ärgere Demoralisation eintreten, je

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 Einzelner glücklichen Erfolg hatte. Mag auch Waitz Recht
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 sei durch den harten Druck der Weissen weiter und schärfer
 entwickelt worden, als es wohl sonst geschehen sei; so fährt
 er doch ebenso richtig fort: »freilich war davon die
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 empfanden.«</p>
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 Lebens der Nationen kann man gar nicht stark genug betonen, wenn
 man die Gründe für ihr Aussterben aufsuchen will. Wie
 nichts ein Volk mehr hebt, als freudige Achtung vor sich selbst und
 fröhliches Gelingen des von ihm Erstrebten, so drückt
 nichts den Volksgeist tiefer, als das Gefühl der eigenen
 Ohnmacht und Verlorenheit. Zum Gefühl aber der äussersten
 Ohnmacht und Rechtslosigkeit, des bittersten und doch ganz
 hülflosen Ingrimms finden wir alle diese Völker,
 Amerikaner, Aleuten und Kamtschadalen, Neuholländer,
 Polynesier und Hottentotten verdammt. »Jede Raçe,
 weiss schwarz oder roth, sagt Elliot bei Waitz 3, 299, muss
 untergehen, wenn ihr Muth, ihre Energie und Selbstachtung durch
 Unterdrückung, Sklaverei und Laster zu Grunde gehen.«
 Und nun hatten, wie wir gesehen, die meisten Naturvölker schon
 von Haus aus einen entschiedenen Hang zur Melancholie, welche durch
 alle diese Schicksale natürlich aufs ärgste vermehrt
 ihren Untergang nur beschleunigte. Man denke sich nur, wenn wir
 Europäer mit allen unseren Kulturmitteln, mit unserer
 Religion, kurz mit allen den Vortheilen, die wir den
 Naturvölkern gegenüber besitzen, ihr Loos auch nur wenige
 Jahre, etwa eine Generation, zu ertragen hätten, was aus uns
 werden sollte! Man denke, wie der dreissigjährige Krieg
 gewirkt hat, dessen Greuel doch bei weitem durch das, was die
 Naturvölker zu leiden hatten, überboten werden: und man
 wird sich mehr über die zähe Ausdauer, als über das
 Hinschwinden derselben verwundern. Nur ihre grössere
 Härte und Festigkeit hat sie aufrecht erhalten den
 Völkern gegenüber, die sie anfangs alle, Mexikaner sowohl
 wie Hottentotten und Neuholländer, für Götter
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 aufgehoben. In Mexiko, in Peru aber waren die Gesetze von grosser
 Strenge und grosser Wirksamkeit, da sie überall in
 höchster Achtung standen und nicht anders war es in
 Polynesien, wo das Tabu auch manchen heilsam verbietenden Einfluss
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[0106] welche höchstens einmal ein vereinzelter Racheakt Einzelner glücklichen Erfolg hatte. Mag auch Waitz Recht haben, wenn er sagt (b, 157), das Rechtsgefühl der Indianer sei durch den harten Druck der Weissen weiter und schärfer entwickelt worden, als es wohl sonst geschehen sei; so fährt er doch ebenso richtig fort: »freilich war davon die nächste Folge für sie selbst nur diese, dass sie ihre Ohnmacht und die Trostlosigkeit ihrer Lage dann um so bitterer empfanden.« Diese Vernichtung aber des gesammten geistigen und ethischen Lebens der Nationen kann man gar nicht stark genug betonen, wenn man die Gründe für ihr Aussterben aufsuchen will. Wie nichts ein Volk mehr hebt, als freudige Achtung vor sich selbst und fröhliches Gelingen des von ihm Erstrebten, so drückt nichts den Volksgeist tiefer, als das Gefühl der eigenen Ohnmacht und Verlorenheit. Zum Gefühl aber der äussersten Ohnmacht und Rechtslosigkeit, des bittersten und doch ganz hülflosen Ingrimms finden wir alle diese Völker, Amerikaner, Aleuten und Kamtschadalen, Neuholländer, Polynesier und Hottentotten verdammt. »Jede Raçe, weiss schwarz oder roth, sagt Elliot bei Waitz 3, 299, muss untergehen, wenn ihr Muth, ihre Energie und Selbstachtung durch Unterdrückung, Sklaverei und Laster zu Grunde gehen.« Und nun hatten, wie wir gesehen, die meisten Naturvölker schon von Haus aus einen entschiedenen Hang zur Melancholie, welche durch alle diese Schicksale natürlich aufs ärgste vermehrt ihren Untergang nur beschleunigte. Man denke sich nur, wenn wir Europäer mit allen unseren Kulturmitteln, mit unserer Religion, kurz mit allen den Vortheilen, die wir den Naturvölkern gegenüber besitzen, ihr Loos auch nur wenige Jahre, etwa eine Generation, zu ertragen hätten, was aus uns werden sollte! Man denke, wie der dreissigjährige Krieg gewirkt hat, dessen Greuel doch bei weitem durch das, was die Naturvölker zu leiden hatten, überboten werden: und man wird sich mehr über die zähe Ausdauer, als über das Hinschwinden derselben verwundern. Nur ihre grössere Härte und Festigkeit hat sie aufrecht erhalten den Völkern gegenüber, die sie anfangs alle, Mexikaner sowohl wie Hottentotten und Neuholländer, für Götter hielten! Musste alles dieses auf das geistige Leben der Völker und damit auch auf das leibliche einen vernichtenden Einfluss ausüben, so übte es den auch noch auf eine andere Art. Mit der Vernichtung der bestehenden Staaten war natürlich auch jedes Recht und Gesetz, welches in denselben bestanden hatte, aufgehoben. In Mexiko, in Peru aber waren die Gesetze von grosser Strenge und grosser Wirksamkeit, da sie überall in höchster Achtung standen und nicht anders war es in Polynesien, wo das Tabu auch manchen heilsam verbietenden Einfluss hatte. Stürzte nun das Alles zusammen, so musste nothwendigerweise eine um so ärgere Demoralisation eintreten, je

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/106>, abgerufen am 21.11.2024.