Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.Erden und daher unumschränkt. Wie rein und tief man in Mexiko, trotz alles Absolutismus, die Stellung des Herrschers auffasste, geht aus den Reden hervor, die man bei seiner Inauguration an ihn richtete und welche nicht nur nach Waitz 4,68 "zu dem Schönsten und Erhabensten gehören, was von den Azteken noch übrig ist", sondern überhaupt zu dem Schönsten und Erhabensten, sicher zu dem Wahrsten, was man je Königen gesagt hat. Die Steuern und Frohnen, unter denen, nach den alten spanischen Schriftstellern, das Volk seufzte, sind nach Waitz genauer und schlagender Untersuchung von den Spaniern aus nahe liegenden Gründen sehr übertrieben worden. Nach alle diesem wird sich die Lücke ermessen lassen, welche im Gemüth des Volkes nach dem Sturz alles Bestehenden entstand. "Zurita hat gezeigt, sagt Waitz 4, 186, wie das mexikanische Volk hauptsächlich dadurch ins äusserste Elend gerieth, dass alle Grundlagen seiner bisherigen politischen und socialen Organisation von den Siegern zerstört wurden. Vom mexikanischen Adel überlebten nur wenige den Fall der Hauptstadt und diese wenigen waren meist noch Kinder. Eine Petition sechs vornehmer Indianer an Karl V. legt dar, wie der Rest des Adels von den Spaniern niedergetreten und ins Volk zurückgeworfen in Armuth und Elend umkam. Eine Tochter Montezuma's ist im tiefsten Elend gestorben." Man nehme nun dazu, dass auch das gesammte äussere Leben, die ganze glänzende Kultur des Volkes, die reiche Hauptstadt, die blühenden Gärten, die zahlreichen Tempel, dass Alles zerstört und oft aufs grausamste und verächtlichste zerstört wurde: und man wird begreiflich finden, dass schon dadurch der Sieger der Seele des besiegten Volkes einen Todesstoss versetzte. Dasselbe gilt, vielleicht in noch höherem Grade von den Quechuas und den Nordamerikanern. "Mit einem Fuss stiess er den rothen Mann über den Okonnee, und mit dem anderen trat er die Gräber unserer Väter nieder", hiess es in der oben erwähnten Rede. Und leider waren es die persönlichsten und heiligsten Empfindungen, die man allzu oft und mit der grössten Rücksichtslosigkeit verletzte, woran freilich nicht mehr die Kultur, sondern nur ihre Träger schuld waren. Das zweite Concil zu Lima bedrohte die Zerstörung und Plünderung der alten Indianergräber, die Preisgebung der Leichen mit Excommunication; allein der supremo consejo de las Indias fand der Schätze wegen, die sie enthalten könnten, für gut, ihre Durchsuchung zu erlauben (Waitz 4, 493-94). Alles dies musste das unterdrückte Volk ruhig mit ansehen: ihr innerstes Leben wurde ihnen vernichtet, ohne dass sie, die sonst schon aufs fürchterlichste bedrückt waren, sich wehren konnten. Dass aber nicht bloss ihre Todten, dass die Lebenden selbst noch mehr zu leiden hatten; dass man auf sie, ob sie lebten oder starben, nicht die mindeste Rücksicht nahm, dass man also durch Verletzung der theuersten und heiligsten Gefühle auch nach dieser Seite hin den Indianern das äusserste that, Erden und daher unumschränkt. Wie rein und tief man in Mexiko, trotz alles Absolutismus, die Stellung des Herrschers auffasste, geht aus den Reden hervor, die man bei seiner Inauguration an ihn richtete und welche nicht nur nach Waitz 4,68 »zu dem Schönsten und Erhabensten gehören, was von den Azteken noch übrig ist«, sondern überhaupt zu dem Schönsten und Erhabensten, sicher zu dem Wahrsten, was man je Königen gesagt hat. Die Steuern und Frohnen, unter denen, nach den alten spanischen Schriftstellern, das Volk seufzte, sind nach Waitz genauer und schlagender Untersuchung von den Spaniern aus nahe liegenden Gründen sehr übertrieben worden. Nach alle diesem wird sich die Lücke ermessen lassen, welche im Gemüth des Volkes nach dem Sturz alles Bestehenden entstand. »Zurita hat gezeigt, sagt Waitz 4, 186, wie das mexikanische Volk hauptsächlich dadurch ins äusserste Elend gerieth, dass alle Grundlagen seiner bisherigen politischen und socialen Organisation von den Siegern zerstört wurden. Vom mexikanischen Adel überlebten nur wenige den Fall der Hauptstadt und diese wenigen waren meist noch Kinder. Eine Petition sechs vornehmer Indianer an Karl V. legt dar, wie der Rest des Adels von den Spaniern niedergetreten und ins Volk zurückgeworfen in Armuth und Elend umkam. Eine Tochter Montezuma's ist im tiefsten Elend gestorben.« Man nehme nun dazu, dass auch das gesammte äussere Leben, die ganze glänzende Kultur des Volkes, die reiche Hauptstadt, die blühenden Gärten, die zahlreichen Tempel, dass Alles zerstört und oft aufs grausamste und verächtlichste zerstört wurde: und man wird begreiflich finden, dass schon dadurch der Sieger der Seele des besiegten Volkes einen Todesstoss versetzte. Dasselbe gilt, vielleicht in noch höherem Grade von den Quechuas und den Nordamerikanern. »Mit einem Fuss stiess er den rothen Mann über den Okonnee, und mit dem anderen trat er die Gräber unserer Väter nieder«, hiess es in der oben erwähnten Rede. Und leider waren es die persönlichsten und heiligsten Empfindungen, die man allzu oft und mit der grössten Rücksichtslosigkeit verletzte, woran freilich nicht mehr die Kultur, sondern nur ihre Träger schuld waren. Das zweite Concil zu Lima bedrohte die Zerstörung und Plünderung der alten Indianergräber, die Preisgebung der Leichen mit Excommunication; allein der supremo consejo de las Indias fand der Schätze wegen, die sie enthalten könnten, für gut, ihre Durchsuchung zu erlauben (Waitz 4, 493-94). Alles dies musste das unterdrückte Volk ruhig mit ansehen: ihr innerstes Leben wurde ihnen vernichtet, ohne dass sie, die sonst schon aufs fürchterlichste bedrückt waren, sich wehren konnten. Dass aber nicht bloss ihre Todten, dass die Lebenden selbst noch mehr zu leiden hatten; dass man auf sie, ob sie lebten oder starben, nicht die mindeste Rücksicht nahm, dass man also durch Verletzung der theuersten und heiligsten Gefühle auch nach dieser Seite hin den Indianern das äusserste that, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0104"/> Erden und daher unumschränkt. Wie rein und tief man in Mexiko, trotz alles Absolutismus, die Stellung des Herrschers auffasste, geht aus den Reden hervor, die man bei seiner Inauguration an ihn richtete und welche nicht nur nach Waitz 4,68 »zu dem Schönsten und Erhabensten gehören, was von den Azteken noch übrig ist«, sondern überhaupt zu dem Schönsten und Erhabensten, sicher zu dem Wahrsten, was man je Königen gesagt hat. Die Steuern und Frohnen, unter denen, nach den alten spanischen Schriftstellern, das Volk seufzte, sind nach Waitz genauer und schlagender Untersuchung von den Spaniern aus nahe liegenden Gründen sehr übertrieben worden. Nach alle diesem wird sich die Lücke ermessen lassen, welche im Gemüth des Volkes nach dem Sturz alles Bestehenden entstand. »Zurita hat gezeigt, sagt Waitz 4, 186, wie das mexikanische Volk hauptsächlich dadurch ins äusserste Elend gerieth, dass alle Grundlagen seiner bisherigen politischen und socialen Organisation von den Siegern zerstört wurden. Vom mexikanischen Adel überlebten nur wenige den Fall der Hauptstadt und diese wenigen waren meist noch Kinder. Eine Petition sechs vornehmer Indianer an Karl V. legt dar, wie der Rest des Adels von den Spaniern niedergetreten und ins Volk zurückgeworfen in Armuth und Elend umkam. Eine Tochter Montezuma's ist im tiefsten Elend gestorben.« Man nehme nun dazu, dass auch das gesammte äussere Leben, die ganze glänzende Kultur des Volkes, die reiche Hauptstadt, die blühenden Gärten, die zahlreichen Tempel, dass Alles zerstört und oft aufs grausamste und verächtlichste zerstört wurde: und man wird begreiflich finden, dass schon dadurch der Sieger der Seele des besiegten Volkes einen Todesstoss versetzte. Dasselbe gilt, vielleicht in noch höherem Grade von den Quechuas und den Nordamerikanern. »Mit einem Fuss stiess er den rothen Mann über den Okonnee, und mit dem anderen trat er die Gräber unserer Väter nieder«, hiess es in der oben erwähnten Rede. Und leider waren es die persönlichsten und heiligsten Empfindungen, die man allzu oft und mit der grössten Rücksichtslosigkeit verletzte, woran freilich nicht mehr die Kultur, sondern nur ihre Träger schuld waren. Das zweite Concil zu Lima bedrohte die Zerstörung und Plünderung der alten Indianergräber, die Preisgebung der Leichen mit Excommunication; allein der supremo consejo de las Indias fand der Schätze wegen, die sie enthalten könnten, für gut, ihre Durchsuchung zu erlauben (Waitz 4, 493-94). Alles dies musste das unterdrückte Volk ruhig mit ansehen: ihr innerstes Leben wurde ihnen vernichtet, ohne dass sie, die sonst schon aufs fürchterlichste bedrückt waren, sich wehren konnten. Dass aber nicht bloss ihre Todten, dass die Lebenden selbst noch mehr zu leiden hatten; dass man auf sie, ob sie lebten oder starben, nicht die mindeste Rücksicht nahm, dass man also durch Verletzung der theuersten und heiligsten Gefühle auch nach dieser Seite hin den Indianern das äusserste that, </p> </div> </body> </text> </TEI> [0104]
Erden und daher unumschränkt. Wie rein und tief man in Mexiko, trotz alles Absolutismus, die Stellung des Herrschers auffasste, geht aus den Reden hervor, die man bei seiner Inauguration an ihn richtete und welche nicht nur nach Waitz 4,68 »zu dem Schönsten und Erhabensten gehören, was von den Azteken noch übrig ist«, sondern überhaupt zu dem Schönsten und Erhabensten, sicher zu dem Wahrsten, was man je Königen gesagt hat. Die Steuern und Frohnen, unter denen, nach den alten spanischen Schriftstellern, das Volk seufzte, sind nach Waitz genauer und schlagender Untersuchung von den Spaniern aus nahe liegenden Gründen sehr übertrieben worden. Nach alle diesem wird sich die Lücke ermessen lassen, welche im Gemüth des Volkes nach dem Sturz alles Bestehenden entstand. »Zurita hat gezeigt, sagt Waitz 4, 186, wie das mexikanische Volk hauptsächlich dadurch ins äusserste Elend gerieth, dass alle Grundlagen seiner bisherigen politischen und socialen Organisation von den Siegern zerstört wurden. Vom mexikanischen Adel überlebten nur wenige den Fall der Hauptstadt und diese wenigen waren meist noch Kinder. Eine Petition sechs vornehmer Indianer an Karl V. legt dar, wie der Rest des Adels von den Spaniern niedergetreten und ins Volk zurückgeworfen in Armuth und Elend umkam. Eine Tochter Montezuma's ist im tiefsten Elend gestorben.« Man nehme nun dazu, dass auch das gesammte äussere Leben, die ganze glänzende Kultur des Volkes, die reiche Hauptstadt, die blühenden Gärten, die zahlreichen Tempel, dass Alles zerstört und oft aufs grausamste und verächtlichste zerstört wurde: und man wird begreiflich finden, dass schon dadurch der Sieger der Seele des besiegten Volkes einen Todesstoss versetzte. Dasselbe gilt, vielleicht in noch höherem Grade von den Quechuas und den Nordamerikanern. »Mit einem Fuss stiess er den rothen Mann über den Okonnee, und mit dem anderen trat er die Gräber unserer Väter nieder«, hiess es in der oben erwähnten Rede. Und leider waren es die persönlichsten und heiligsten Empfindungen, die man allzu oft und mit der grössten Rücksichtslosigkeit verletzte, woran freilich nicht mehr die Kultur, sondern nur ihre Träger schuld waren. Das zweite Concil zu Lima bedrohte die Zerstörung und Plünderung der alten Indianergräber, die Preisgebung der Leichen mit Excommunication; allein der supremo consejo de las Indias fand der Schätze wegen, die sie enthalten könnten, für gut, ihre Durchsuchung zu erlauben (Waitz 4, 493-94). Alles dies musste das unterdrückte Volk ruhig mit ansehen: ihr innerstes Leben wurde ihnen vernichtet, ohne dass sie, die sonst schon aufs fürchterlichste bedrückt waren, sich wehren konnten. Dass aber nicht bloss ihre Todten, dass die Lebenden selbst noch mehr zu leiden hatten; dass man auf sie, ob sie lebten oder starben, nicht die mindeste Rücksicht nahm, dass man also durch Verletzung der theuersten und heiligsten Gefühle auch nach dieser Seite hin den Indianern das äusserste that,
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