Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.§. 16. Die Staatsbürger. dem Verhältnisse der Staatsbürger zum Staate das ver-bindende Element nicht auf einer obligatorischen, son- dern in höheren sittlichen Naturgrundlagen des Rechts zu suchen
ist. Ein anderes Gewaltverhältniss im Staatsrechte ist dasjenige, in welchem die Staatsdiener stehen; aber abgesehen von son- stigen Verschiedenheiten ist hier das berechtigte Subject nicht der Staat (und mithin der Monarch nur mittelbar), sondern un- mittelbar die Person des Monarchen. -- Es ist allerdings möglich, auch in der Stellung des Individuums als Mitglieds privatrecht- licher Genossenschaften zu der Fügung, welche aus der Unter- werfung unter den Genossenschaftszweck und die demselben dienenden Befugnisse der Genossenschaftsorgane hervorgeht, Aehnlichkeiten mit der Stellung eines Staatsbürgers zu seiner Staatsgewalt herauszufinden; wer aber in solchen Aehnlichkeiten die Veranlassung zu einer inneren Gleichstellung findet, vergisst, dass diese nur in peripherischen Momenten bestehen, nicht aber in dem centralen Principe, aus dem sie hervorgehen. Und doch kommt bei der Bestimmung von Rechtsverhältnissen Alles auf die Erfassung dieses Centrums an. Aus ihm allein sind die wahren inneren Momente zur richtigen Beurtheilung der einzelnen Wir- kungen zu gewinnen. Es möge verstattet sein, auf ein Beispiel aus der Lehre vom ehelichen Güterrechte hinzuweisen. Man kann die Consequenzen des ehemännlichen Rechts am Frauengute, wie es in gewissen Statuten ausgebildet ist, so zusammenstellen, dass sie täuschend ähnlich dem Bilde sind, welches aus der Zusammen- stellung der Wirkungen eines wirklichen Eigenthums hervorgeht; und doch würde es ein nicht bloss doctrinärer Irrthum sein, wenn man deshalb schlechtweg von einem Eigenthume des Mannes reden wollte. -- Diess Alles ist vorzugsweise gegen die Schrift von Bähr, der Rechtsstaat 1864, gerichtet, der in dem Versuche, das Staatsrecht als Genossenschaftsrecht zu entwickeln, einen Fortschritt der Staatsrechtswissenschaft angebahnt zu haben glaubt. Er kommt zuletzt S. 42. dahin, zwischen der staatsrecht- lichen und privatrechtlichen Genossenschaft nur noch eine Ver- schiedenheit "in der legitimatio ad causam für die Ausübung der genossenschaftlichen Rechte" zu erblicken. Nach meiner Ansicht geht bei dieser Auffassung das eigenthümliche Wesen der Staats- gewalt verloren, und ich finde, dass sie sich wissenschaftlich nicht über alle älteren Versuche, das Staatsrecht in Privatrechtsver- hältnisse einzugränzen, erhebt. §. 16. Die Staatsbürger. dem Verhältnisse der Staatsbürger zum Staate das ver-bindende Element nicht auf einer obligatorischen, son- dern in höheren sittlichen Naturgrundlagen des Rechts zu suchen
ist. Ein anderes Gewaltverhältniss im Staatsrechte ist dasjenige, in welchem die Staatsdiener stehen; aber abgesehen von son- stigen Verschiedenheiten ist hier das berechtigte Subject nicht der Staat (und mithin der Monarch nur mittelbar), sondern un- mittelbar die Person des Monarchen. — Es ist allerdings möglich, auch in der Stellung des Individuums als Mitglieds privatrecht- licher Genossenschaften zu der Fügung, welche aus der Unter- werfung unter den Genossenschaftszweck und die demselben dienenden Befugnisse der Genossenschaftsorgane hervorgeht, Aehnlichkeiten mit der Stellung eines Staatsbürgers zu seiner Staatsgewalt herauszufinden; wer aber in solchen Aehnlichkeiten die Veranlassung zu einer inneren Gleichstellung findet, vergisst, dass diese nur in peripherischen Momenten bestehen, nicht aber in dem centralen Principe, aus dem sie hervorgehen. Und doch kommt bei der Bestimmung von Rechtsverhältnissen Alles auf die Erfassung dieses Centrums an. Aus ihm allein sind die wahren inneren Momente zur richtigen Beurtheilung der einzelnen Wir- kungen zu gewinnen. Es möge verstattet sein, auf ein Beispiel aus der Lehre vom ehelichen Güterrechte hinzuweisen. Man kann die Consequenzen des ehemännlichen Rechts am Frauengute, wie es in gewissen Statuten ausgebildet ist, so zusammenstellen, dass sie täuschend ähnlich dem Bilde sind, welches aus der Zusammen- stellung der Wirkungen eines wirklichen Eigenthums hervorgeht; und doch würde es ein nicht bloss doctrinärer Irrthum sein, wenn man deshalb schlechtweg von einem Eigenthume des Mannes reden wollte. — Diess Alles ist vorzugsweise gegen die Schrift von Bähr, der Rechtsstaat 1864, gerichtet, der in dem Versuche, das Staatsrecht als Genossenschaftsrecht zu entwickeln, einen Fortschritt der Staatsrechtswissenschaft angebahnt zu haben glaubt. Er kommt zuletzt S. 42. dahin, zwischen der staatsrecht- lichen und privatrechtlichen Genossenschaft nur noch eine Ver- schiedenheit „in der legitimatio ad causam für die Ausübung der genossenschaftlichen Rechte“ zu erblicken. Nach meiner Ansicht geht bei dieser Auffassung das eigenthümliche Wesen der Staats- gewalt verloren, und ich finde, dass sie sich wissenschaftlich nicht über alle älteren Versuche, das Staatsrecht in Privatrechtsver- hältnisse einzugränzen, erhebt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0061" n="43"/><fw place="top" type="header">§. 16. Die Staatsbürger.</fw><lb/> dem Verhältnisse der Staatsbürger zum Staate das ver-<lb/> bindende Element nicht auf einer obligatorischen, son-<lb/><note xml:id="note-0061" prev="#note-0060" place="foot" n="2">dern in höheren sittlichen Naturgrundlagen des Rechts zu suchen<lb/> ist. Ein anderes Gewaltverhältniss im Staatsrechte ist dasjenige,<lb/> in welchem die <hi rendition="#g">Staatsdiener</hi> stehen; aber abgesehen von son-<lb/> stigen Verschiedenheiten ist hier das berechtigte Subject nicht<lb/> der <hi rendition="#g">Staat</hi> (und mithin der Monarch nur mittelbar), sondern un-<lb/> mittelbar die Person des Monarchen. — Es ist allerdings möglich,<lb/> auch in der Stellung des Individuums als Mitglieds privatrecht-<lb/> licher Genossenschaften zu der Fügung, welche aus der Unter-<lb/> werfung unter den Genossenschaftszweck und die demselben<lb/> dienenden Befugnisse der Genossenschaftsorgane hervorgeht,<lb/> Aehnlichkeiten mit der Stellung eines Staatsbürgers zu seiner<lb/> Staatsgewalt herauszufinden; wer aber in solchen Aehnlichkeiten<lb/> die Veranlassung zu einer inneren Gleichstellung findet, vergisst,<lb/> dass diese nur in peripherischen Momenten bestehen, nicht aber<lb/> in dem centralen Principe, aus dem sie hervorgehen. Und doch<lb/> kommt bei der Bestimmung von Rechtsverhältnissen Alles auf<lb/> die Erfassung dieses Centrums an. Aus ihm allein sind die wahren<lb/> inneren Momente zur richtigen Beurtheilung der einzelnen Wir-<lb/> kungen zu gewinnen. Es möge verstattet sein, auf ein Beispiel<lb/> aus der Lehre vom ehelichen Güterrechte hinzuweisen. Man kann<lb/> die Consequenzen des ehemännlichen Rechts am Frauengute, wie<lb/> es in gewissen Statuten ausgebildet ist, so zusammenstellen, dass<lb/> sie täuschend ähnlich dem Bilde sind, welches aus der Zusammen-<lb/> stellung der Wirkungen eines wirklichen Eigenthums hervorgeht;<lb/> und doch würde es ein nicht bloss doctrinärer Irrthum sein, wenn<lb/> man deshalb schlechtweg von einem Eigenthume des Mannes<lb/> reden wollte. — Diess Alles ist vorzugsweise gegen die Schrift<lb/> von <hi rendition="#g">Bähr</hi>, der Rechtsstaat 1864, gerichtet, der in dem Versuche,<lb/> das Staatsrecht als Genossenschaftsrecht zu entwickeln, einen<lb/> Fortschritt der Staatsrechtswissenschaft angebahnt zu haben<lb/> glaubt. Er kommt zuletzt S. 42. dahin, zwischen der staatsrecht-<lb/> lichen und privatrechtlichen Genossenschaft nur noch eine Ver-<lb/> schiedenheit „in der legitimatio ad causam für die Ausübung der<lb/> genossenschaftlichen Rechte“ zu erblicken. Nach meiner Ansicht<lb/> geht bei dieser Auffassung das eigenthümliche Wesen der Staats-<lb/> gewalt verloren, und ich finde, dass sie sich wissenschaftlich nicht<lb/> über alle älteren Versuche, das Staatsrecht in Privatrechtsver-<lb/> hältnisse einzugränzen, erhebt.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [43/0061]
§. 16. Die Staatsbürger.
dem Verhältnisse der Staatsbürger zum Staate das ver-
bindende Element nicht auf einer obligatorischen, son-
2
2 dern in höheren sittlichen Naturgrundlagen des Rechts zu suchen
ist. Ein anderes Gewaltverhältniss im Staatsrechte ist dasjenige,
in welchem die Staatsdiener stehen; aber abgesehen von son-
stigen Verschiedenheiten ist hier das berechtigte Subject nicht
der Staat (und mithin der Monarch nur mittelbar), sondern un-
mittelbar die Person des Monarchen. — Es ist allerdings möglich,
auch in der Stellung des Individuums als Mitglieds privatrecht-
licher Genossenschaften zu der Fügung, welche aus der Unter-
werfung unter den Genossenschaftszweck und die demselben
dienenden Befugnisse der Genossenschaftsorgane hervorgeht,
Aehnlichkeiten mit der Stellung eines Staatsbürgers zu seiner
Staatsgewalt herauszufinden; wer aber in solchen Aehnlichkeiten
die Veranlassung zu einer inneren Gleichstellung findet, vergisst,
dass diese nur in peripherischen Momenten bestehen, nicht aber
in dem centralen Principe, aus dem sie hervorgehen. Und doch
kommt bei der Bestimmung von Rechtsverhältnissen Alles auf
die Erfassung dieses Centrums an. Aus ihm allein sind die wahren
inneren Momente zur richtigen Beurtheilung der einzelnen Wir-
kungen zu gewinnen. Es möge verstattet sein, auf ein Beispiel
aus der Lehre vom ehelichen Güterrechte hinzuweisen. Man kann
die Consequenzen des ehemännlichen Rechts am Frauengute, wie
es in gewissen Statuten ausgebildet ist, so zusammenstellen, dass
sie täuschend ähnlich dem Bilde sind, welches aus der Zusammen-
stellung der Wirkungen eines wirklichen Eigenthums hervorgeht;
und doch würde es ein nicht bloss doctrinärer Irrthum sein, wenn
man deshalb schlechtweg von einem Eigenthume des Mannes
reden wollte. — Diess Alles ist vorzugsweise gegen die Schrift
von Bähr, der Rechtsstaat 1864, gerichtet, der in dem Versuche,
das Staatsrecht als Genossenschaftsrecht zu entwickeln, einen
Fortschritt der Staatsrechtswissenschaft angebahnt zu haben
glaubt. Er kommt zuletzt S. 42. dahin, zwischen der staatsrecht-
lichen und privatrechtlichen Genossenschaft nur noch eine Ver-
schiedenheit „in der legitimatio ad causam für die Ausübung der
genossenschaftlichen Rechte“ zu erblicken. Nach meiner Ansicht
geht bei dieser Auffassung das eigenthümliche Wesen der Staats-
gewalt verloren, und ich finde, dass sie sich wissenschaftlich nicht
über alle älteren Versuche, das Staatsrecht in Privatrechtsver-
hältnisse einzugränzen, erhebt.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |