Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.§. 49. Formwidrige Gesetze. gegenüber einer solchen Publication kann für den Ein-zelnen, wie für die mit der Ausführung derselben be- trauten Behörden schwierig und bedenklich sein; aber nur für den Richter, der nicht nach subjectiven Er- wägungen, auch nicht nach höherer Anweisung, sondern allein nach Rechtsgrundsätzen zu handeln hat, bedarf sie einer Beantwortung in bestimmten Regeln.4 zur Behandlung privatrechtlicher Verhältnisse, die in der Regel eine absolute Beurtheilung zulassen. -- Wenn v. Wächter (Würt- tembergisches Privatrecht II. S. 27) ausführt, dass bei einem rechtswidrig als Verordnung publicirten Gesetze die Publication nicht schon durch die spätere Zustimmung der Stände gültig werde, weil es immer noch an der gehörigen Verkündigung der ständischen Einwilligung fehle, -- so erscheint damit doch die rechtliche Möglichkeit heilender Einwirkungen der Stände über- haupt nicht ganz widerlegt. Denn zunächst trifft diese Bemerkung nicht die Fälle, in denen die Publicationsform der ständischen Zustimmung gedenkt, diese auch wirklich, obschon nicht ganz formrichtig stattgefunden hat; ferner nicht die Fälle, in denen die Frage: ob Verabschiedung oder nicht, äusserst zweifelhaft ist, und in dem Verhalten der Stände nicht eine nachträgliche Verab- schiedung, sondern die Anerkennung liegt, dass die Regierung innerhalb ihres Verordnungsgebiets gehandelt habe. 4 Bekanntlich hat diese Frage eine so reiche Literatur, wie
wenige andere. Siehe die Nachweisung der zahlreichen Schriften bei Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht II., §. 175. Note 11. und v. Rönne, Preussisches Staatsrecht I., S. 185 Note 3. Bei der grossen Verschiedenheit der Ansichten und ihrer Begrün- dungen hat eine Polemik wenig wissenschaftliches Interesse. -- Einzelne Verfassungsurkunden sprechen sich über diese Frage ausdrücklich aus, aber in sehr verschiedenem Sinne. Die Kur- hessische Verfassungsurkunde von 1831 §. 95. schien das rück- sichtslose Prüfungsrecht der Richter festzustellen, wogegen das Hannoverische Staatsgrundgesetz §. 89. nur die Stände für be- rechtigt erklärt, wegen Verfassungswidrigkeit der Gesetze zu reclamiren, und ebenso die Preussische Verfassungsurkunde §. 106. Manche hierher gehörende Bestimmungen finden sich auch in den Staatsdienstgesetzen und Strafgesetzbüchern. §. 49. Formwidrige Gesetze. gegenüber einer solchen Publication kann für den Ein-zelnen, wie für die mit der Ausführung derselben be- trauten Behörden schwierig und bedenklich sein; aber nur für den Richter, der nicht nach subjectiven Er- wägungen, auch nicht nach höherer Anweisung, sondern allein nach Rechtsgrundsätzen zu handeln hat, bedarf sie einer Beantwortung in bestimmten Regeln.4 zur Behandlung privatrechtlicher Verhältnisse, die in der Regel eine absolute Beurtheilung zulassen. — Wenn v. Wächter (Würt- tembergisches Privatrecht II. S. 27) ausführt, dass bei einem rechtswidrig als Verordnung publicirten Gesetze die Publication nicht schon durch die spätere Zustimmung der Stände gültig werde, weil es immer noch an der gehörigen Verkündigung der ständischen Einwilligung fehle, — so erscheint damit doch die rechtliche Möglichkeit heilender Einwirkungen der Stände über- haupt nicht ganz widerlegt. Denn zunächst trifft diese Bemerkung nicht die Fälle, in denen die Publicationsform der ständischen Zustimmung gedenkt, diese auch wirklich, obschon nicht ganz formrichtig stattgefunden hat; ferner nicht die Fälle, in denen die Frage: ob Verabschiedung oder nicht, äusserst zweifelhaft ist, und in dem Verhalten der Stände nicht eine nachträgliche Verab- schiedung, sondern die Anerkennung liegt, dass die Regierung innerhalb ihres Verordnungsgebiets gehandelt habe. 4 Bekanntlich hat diese Frage eine so reiche Literatur, wie
wenige andere. Siehe die Nachweisung der zahlreichen Schriften bei Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht II., §. 175. Note 11. und v. Rönne, Preussisches Staatsrecht I., S. 185 Note 3. Bei der grossen Verschiedenheit der Ansichten und ihrer Begrün- dungen hat eine Polemik wenig wissenschaftliches Interesse. — Einzelne Verfassungsurkunden sprechen sich über diese Frage ausdrücklich aus, aber in sehr verschiedenem Sinne. Die Kur- hessische Verfassungsurkunde von 1831 §. 95. schien das rück- sichtslose Prüfungsrecht der Richter festzustellen, wogegen das Hannoverische Staatsgrundgesetz §. 89. nur die Stände für be- rechtigt erklärt, wegen Verfassungswidrigkeit der Gesetze zu reclamiren, und ebenso die Preussische Verfassungsurkunde §. 106. Manche hierher gehörende Bestimmungen finden sich auch in den Staatsdienstgesetzen und Strafgesetzbüchern. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0169" n="151"/><fw place="top" type="header">§. 49. Formwidrige Gesetze.</fw><lb/> gegenüber einer solchen Publication kann für den Ein-<lb/> zelnen, wie für die mit der Ausführung derselben be-<lb/> trauten Behörden schwierig und bedenklich sein; aber<lb/> nur für den Richter, der nicht nach subjectiven Er-<lb/> wägungen, auch nicht nach höherer Anweisung, sondern<lb/> allein nach Rechtsgrundsätzen zu handeln hat, bedarf<lb/> sie einer Beantwortung in bestimmten Regeln.<note place="foot" n="4">Bekanntlich hat diese Frage eine so reiche Literatur, wie<lb/> wenige andere. Siehe die Nachweisung der zahlreichen Schriften<lb/> bei <hi rendition="#g">Zachariä</hi>, Deutsches Staats- und Bundesrecht II., §. 175.<lb/> Note 11. und v. <hi rendition="#g">Rönne</hi>, Preussisches Staatsrecht I., S. 185 Note 3.<lb/> Bei der grossen Verschiedenheit der Ansichten und ihrer Begrün-<lb/> dungen hat eine Polemik wenig wissenschaftliches Interesse. —<lb/> Einzelne Verfassungsurkunden sprechen sich über diese Frage<lb/> ausdrücklich aus, aber in sehr verschiedenem Sinne. Die Kur-<lb/> hessische Verfassungsurkunde von 1831 §. 95. schien das rück-<lb/> sichtslose Prüfungsrecht der Richter festzustellen, wogegen das<lb/> Hannoverische Staatsgrundgesetz §. 89. nur die <hi rendition="#g">Stände</hi> für be-<lb/> rechtigt erklärt, wegen Verfassungswidrigkeit der Gesetze zu<lb/> reclamiren, und ebenso die Preussische Verfassungsurkunde §. 106.<lb/> Manche hierher gehörende Bestimmungen finden sich auch in den<lb/> Staatsdienstgesetzen und Strafgesetzbüchern.</note></p><lb/> <note xml:id="note-0169" prev="#note-0168a" place="foot" n="3">zur Behandlung privatrechtlicher Verhältnisse, die in der Regel<lb/> eine absolute Beurtheilung zulassen. — Wenn v. <hi rendition="#g">Wächter</hi> (Würt-<lb/> tembergisches Privatrecht II. S. 27) ausführt, dass bei einem<lb/> rechtswidrig als Verordnung publicirten Gesetze die Publication<lb/> nicht schon durch die <hi rendition="#g">spätere</hi> Zustimmung der Stände gültig<lb/> werde, weil es immer noch an der gehörigen Verkündigung der<lb/> ständischen Einwilligung fehle, — so erscheint damit doch die<lb/> rechtliche Möglichkeit heilender Einwirkungen der Stände über-<lb/> haupt nicht ganz widerlegt. Denn zunächst trifft diese Bemerkung<lb/> nicht die Fälle, in denen die Publicationsform der ständischen<lb/> Zustimmung gedenkt, diese auch wirklich, obschon nicht ganz<lb/> formrichtig stattgefunden hat; ferner nicht die Fälle, in denen die<lb/> Frage: ob Verabschiedung oder nicht, äusserst zweifelhaft ist, und<lb/> in dem Verhalten der Stände nicht eine nachträgliche Verab-<lb/> schiedung, sondern die Anerkennung liegt, dass die Regierung<lb/> innerhalb ihres Verordnungsgebiets gehandelt habe.</note><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [151/0169]
§. 49. Formwidrige Gesetze.
gegenüber einer solchen Publication kann für den Ein-
zelnen, wie für die mit der Ausführung derselben be-
trauten Behörden schwierig und bedenklich sein; aber
nur für den Richter, der nicht nach subjectiven Er-
wägungen, auch nicht nach höherer Anweisung, sondern
allein nach Rechtsgrundsätzen zu handeln hat, bedarf
sie einer Beantwortung in bestimmten Regeln. 4
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4 Bekanntlich hat diese Frage eine so reiche Literatur, wie
wenige andere. Siehe die Nachweisung der zahlreichen Schriften
bei Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht II., §. 175.
Note 11. und v. Rönne, Preussisches Staatsrecht I., S. 185 Note 3.
Bei der grossen Verschiedenheit der Ansichten und ihrer Begrün-
dungen hat eine Polemik wenig wissenschaftliches Interesse. —
Einzelne Verfassungsurkunden sprechen sich über diese Frage
ausdrücklich aus, aber in sehr verschiedenem Sinne. Die Kur-
hessische Verfassungsurkunde von 1831 §. 95. schien das rück-
sichtslose Prüfungsrecht der Richter festzustellen, wogegen das
Hannoverische Staatsgrundgesetz §. 89. nur die Stände für be-
rechtigt erklärt, wegen Verfassungswidrigkeit der Gesetze zu
reclamiren, und ebenso die Preussische Verfassungsurkunde §. 106.
Manche hierher gehörende Bestimmungen finden sich auch in den
Staatsdienstgesetzen und Strafgesetzbüchern.
3 zur Behandlung privatrechtlicher Verhältnisse, die in der Regel
eine absolute Beurtheilung zulassen. — Wenn v. Wächter (Würt-
tembergisches Privatrecht II. S. 27) ausführt, dass bei einem
rechtswidrig als Verordnung publicirten Gesetze die Publication
nicht schon durch die spätere Zustimmung der Stände gültig
werde, weil es immer noch an der gehörigen Verkündigung der
ständischen Einwilligung fehle, — so erscheint damit doch die
rechtliche Möglichkeit heilender Einwirkungen der Stände über-
haupt nicht ganz widerlegt. Denn zunächst trifft diese Bemerkung
nicht die Fälle, in denen die Publicationsform der ständischen
Zustimmung gedenkt, diese auch wirklich, obschon nicht ganz
formrichtig stattgefunden hat; ferner nicht die Fälle, in denen die
Frage: ob Verabschiedung oder nicht, äusserst zweifelhaft ist, und
in dem Verhalten der Stände nicht eine nachträgliche Verab-
schiedung, sondern die Anerkennung liegt, dass die Regierung
innerhalb ihres Verordnungsgebiets gehandelt habe.
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