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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Leben der Schwedischen
eben diesem Glase und von dem Weine, der
nicht weit von diesem Lande gewachsen ist,
wollen wir sie zum andernmale in Holland
trinken. O wie gut wird mirs schmecken!
Sie trank und reichte mirs. Jch sah das
Glas und den Wein an, und sah meinen Ge-
mahl zugleich in Siberien und in den unglück-
lichsten Umständen von einer großmüthigen
Seele bedauert und geschützt; ich sah sie an
und trank, und Thränen fielen in den Wein.
Kein Wein hat mir in meinem Leben so gut
geschmeckt, als dieser. Wir schwiegen vor
Vergnügen alle still, bis Andreas endlich un-
ser Stillschweigen unterbrach. Aber, Madam,
fieng er lachend an, wie sah denn der Herr Graf
damals aus, da er als ein Gefangner vor ihnen
stund? Sah er vornehm oder nicht? Sah
er traurig? Seine Mine, sprach sie, richtete
sich nach der Art, mit der ich mit ihm redte.
Wenn ich ihn recht freundschaftlich bedauer-
te: so sah er mich zur Dankbarkeit sehr demü-
thig an; und wenn ich einen Augenblick un-
empfindlich gegen sein Elend schien: so warf
er mir mein kaltes Herz mit einer stolzen Mi-
ne vor, die mich leicht errathen ließ, daß er
aus Unschuld unglücklich und im Elende auch
noch groß gesinnt war. Aber wie war er ge-

klei-

Leben der Schwediſchen
eben dieſem Glaſe und von dem Weine, der
nicht weit von dieſem Lande gewachſen iſt,
wollen wir ſie zum andernmale in Holland
trinken. O wie gut wird mirs ſchmecken!
Sie trank und reichte mirs. Jch ſah das
Glas und den Wein an, und ſah meinen Ge-
mahl zugleich in Siberien und in den ungluͤck-
lichſten Umſtaͤnden von einer großmuͤthigen
Seele bedauert und geſchuͤtzt; ich ſah ſie an
und trank, und Thraͤnen fielen in den Wein.
Kein Wein hat mir in meinem Leben ſo gut
geſchmeckt, als dieſer. Wir ſchwiegen vor
Vergnuͤgen alle ſtill, bis Andreas endlich un-
ſer Stillſchweigen unterbrach. Aber, Madam,
fieng er lachend an, wie ſah denn der Herr Graf
damals aus, da er als ein Gefangner vor ihnen
ſtund? Sah er vornehm oder nicht? Sah
er traurig? Seine Mine, ſprach ſie, richtete
ſich nach der Art, mit der ich mit ihm redte.
Wenn ich ihn recht freundſchaftlich bedauer-
te: ſo ſah er mich zur Dankbarkeit ſehr demuͤ-
thig an; und wenn ich einen Augenblick un-
empfindlich gegen ſein Elend ſchien: ſo warf
er mir mein kaltes Herz mit einer ſtolzen Mi-
ne vor, die mich leicht errathen ließ, daß er
aus Unſchuld ungluͤcklich und im Elende auch
noch groß geſinnt war. Aber wie war er ge-

klei-
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[90/0090] Leben der Schwediſchen eben dieſem Glaſe und von dem Weine, der nicht weit von dieſem Lande gewachſen iſt, wollen wir ſie zum andernmale in Holland trinken. O wie gut wird mirs ſchmecken! Sie trank und reichte mirs. Jch ſah das Glas und den Wein an, und ſah meinen Ge- mahl zugleich in Siberien und in den ungluͤck- lichſten Umſtaͤnden von einer großmuͤthigen Seele bedauert und geſchuͤtzt; ich ſah ſie an und trank, und Thraͤnen fielen in den Wein. Kein Wein hat mir in meinem Leben ſo gut geſchmeckt, als dieſer. Wir ſchwiegen vor Vergnuͤgen alle ſtill, bis Andreas endlich un- ſer Stillſchweigen unterbrach. Aber, Madam, fieng er lachend an, wie ſah denn der Herr Graf damals aus, da er als ein Gefangner vor ihnen ſtund? Sah er vornehm oder nicht? Sah er traurig? Seine Mine, ſprach ſie, richtete ſich nach der Art, mit der ich mit ihm redte. Wenn ich ihn recht freundſchaftlich bedauer- te: ſo ſah er mich zur Dankbarkeit ſehr demuͤ- thig an; und wenn ich einen Augenblick un- empfindlich gegen ſein Elend ſchien: ſo warf er mir mein kaltes Herz mit einer ſtolzen Mi- ne vor, die mich leicht errathen ließ, daß er aus Unſchuld ungluͤcklich und im Elende auch noch groß geſinnt war. Aber wie war er ge- klei-

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/90>, abgerufen am 24.11.2024.