Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Leben der Schwedischen
gemach erzähle, nicht auch der kleinen An-
nehmlichkeiten gedächte, die der Elendeste noch
in seinen Umständen zuweilen empfindet. Die
Natur der Dinge scheint sich, den Unglückli-
chen zu gefallen, oft zu verändern; und das,
was mir im Glücke eine Betrübniß gewesen
seyn würde, ward mir im Unglücke ein Trost.
Jch habe, seit dem ich so glücklich bin, weni-
ger ein Sclave zu seyn, diesen Spuren der
Vorsehung oft mit tiefer Ehrfurcht, obgleich
mit einem innerlichen Schauer, nachgedacht.
Vielmal habe ich, wenn ich der Verzweiflung
am nächsten war, und in der Ferne einen an-
dern Verwiesenen erblickte, in diesem Anbli-
cke einen Trost gefunden. Der Tod selbst,
der uns sonst so schrecklich scheint, ist mir tau-
sendmal zur Wollust geworden, und der Ge-
danke von ihm, der uns sonst niederschlägt,
hat mich unter der Last, unter der ich seufzte,
recht göttlich aufgerichtet. Jch bin in der
Vorstellung, daß ich in dieser oder jener Nacht
vielleicht sterben könnte, oft so freudig einge-
schlafen, als ob ich alles hätte, was ich wünsch-
te. Und wenn ich um und neben mir kein
Vergnügen erblicken konnte: so brachte mir
die Religion doch oft die Freuden aus einer
andern Welt herüber. Nachdem ich also drey
Jahre in einer vollkommenen Knechtschaft zu-

ge-

Leben der Schwediſchen
gemach erzaͤhle, nicht auch der kleinen An-
nehmlichkeiten gedaͤchte, die der Elendeſte noch
in ſeinen Umſtaͤnden zuweilen empfindet. Die
Natur der Dinge ſcheint ſich, den Ungluͤckli-
chen zu gefallen, oft zu veraͤndern; und das,
was mir im Gluͤcke eine Betruͤbniß geweſen
ſeyn wuͤrde, ward mir im Ungluͤcke ein Troſt.
Jch habe, ſeit dem ich ſo gluͤcklich bin, weni-
ger ein Sclave zu ſeyn, dieſen Spuren der
Vorſehung oft mit tiefer Ehrfurcht, obgleich
mit einem innerlichen Schauer, nachgedacht.
Vielmal habe ich, wenn ich der Verzweiflung
am naͤchſten war, und in der Ferne einen an-
dern Verwieſenen erblickte, in dieſem Anbli-
cke einen Troſt gefunden. Der Tod ſelbſt,
der uns ſonſt ſo ſchrecklich ſcheint, iſt mir tau-
ſendmal zur Wolluſt geworden, und der Ge-
danke von ihm, der uns ſonſt niederſchlaͤgt,
hat mich unter der Laſt, unter der ich ſeufzte,
recht goͤttlich aufgerichtet. Jch bin in der
Vorſtellung, daß ich in dieſer oder jener Nacht
vielleicht ſterben koͤnnte, oft ſo freudig einge-
ſchlafen, als ob ich alles haͤtte, was ich wuͤnſch-
te. Und wenn ich um und neben mir kein
Vergnuͤgen erblicken konnte: ſo brachte mir
die Religion doch oft die Freuden aus einer
andern Welt heruͤber. Nachdem ich alſo drey
Jahre in einer vollkommenen Knechtſchaft zu-

ge-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <floatingText>
        <body>
          <div type="letter">
            <p><pb facs="#f0036" n="36"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Leben der Schwedi&#x017F;chen</hi></fw><lb/>
gemach erza&#x0364;hle, nicht auch der kleinen An-<lb/>
nehmlichkeiten geda&#x0364;chte, die der Elende&#x017F;te noch<lb/>
in &#x017F;einen Um&#x017F;ta&#x0364;nden zuweilen empfindet. Die<lb/>
Natur der Dinge &#x017F;cheint &#x017F;ich, den Unglu&#x0364;ckli-<lb/>
chen zu gefallen, oft zu vera&#x0364;ndern; und das,<lb/>
was mir im Glu&#x0364;cke eine Betru&#x0364;bniß gewe&#x017F;en<lb/>
&#x017F;eyn wu&#x0364;rde, ward mir im Unglu&#x0364;cke ein Tro&#x017F;t.<lb/>
Jch habe, &#x017F;eit dem ich &#x017F;o glu&#x0364;cklich bin, weni-<lb/>
ger ein Sclave zu &#x017F;eyn, die&#x017F;en Spuren der<lb/>
Vor&#x017F;ehung oft mit tiefer Ehrfurcht, obgleich<lb/>
mit einem innerlichen Schauer, nachgedacht.<lb/>
Vielmal habe ich, wenn ich der Verzweiflung<lb/>
am na&#x0364;ch&#x017F;ten war, und in der Ferne einen an-<lb/>
dern Verwie&#x017F;enen erblickte, in die&#x017F;em Anbli-<lb/>
cke einen Tro&#x017F;t gefunden. Der Tod &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
der uns &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o &#x017F;chrecklich &#x017F;cheint, i&#x017F;t mir tau-<lb/>
&#x017F;endmal zur Wollu&#x017F;t geworden, und der Ge-<lb/>
danke von ihm, der uns &#x017F;on&#x017F;t nieder&#x017F;chla&#x0364;gt,<lb/>
hat mich unter der La&#x017F;t, unter der ich &#x017F;eufzte,<lb/>
recht go&#x0364;ttlich aufgerichtet. Jch bin in der<lb/>
Vor&#x017F;tellung, daß ich in die&#x017F;er oder jener Nacht<lb/>
vielleicht &#x017F;terben ko&#x0364;nnte, oft &#x017F;o freudig einge-<lb/>
&#x017F;chlafen, als ob ich alles ha&#x0364;tte, was ich wu&#x0364;n&#x017F;ch-<lb/>
te. Und wenn ich um und neben mir kein<lb/>
Vergnu&#x0364;gen erblicken konnte: &#x017F;o brachte mir<lb/>
die Religion doch oft die Freuden aus einer<lb/>
andern Welt heru&#x0364;ber. Nachdem ich al&#x017F;o drey<lb/>
Jahre in einer vollkommenen Knecht&#x017F;chaft zu-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ge-</fw><lb/></p>
          </div>
        </body>
      </floatingText>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0036] Leben der Schwediſchen gemach erzaͤhle, nicht auch der kleinen An- nehmlichkeiten gedaͤchte, die der Elendeſte noch in ſeinen Umſtaͤnden zuweilen empfindet. Die Natur der Dinge ſcheint ſich, den Ungluͤckli- chen zu gefallen, oft zu veraͤndern; und das, was mir im Gluͤcke eine Betruͤbniß geweſen ſeyn wuͤrde, ward mir im Ungluͤcke ein Troſt. Jch habe, ſeit dem ich ſo gluͤcklich bin, weni- ger ein Sclave zu ſeyn, dieſen Spuren der Vorſehung oft mit tiefer Ehrfurcht, obgleich mit einem innerlichen Schauer, nachgedacht. Vielmal habe ich, wenn ich der Verzweiflung am naͤchſten war, und in der Ferne einen an- dern Verwieſenen erblickte, in dieſem Anbli- cke einen Troſt gefunden. Der Tod ſelbſt, der uns ſonſt ſo ſchrecklich ſcheint, iſt mir tau- ſendmal zur Wolluſt geworden, und der Ge- danke von ihm, der uns ſonſt niederſchlaͤgt, hat mich unter der Laſt, unter der ich ſeufzte, recht goͤttlich aufgerichtet. Jch bin in der Vorſtellung, daß ich in dieſer oder jener Nacht vielleicht ſterben koͤnnte, oft ſo freudig einge- ſchlafen, als ob ich alles haͤtte, was ich wuͤnſch- te. Und wenn ich um und neben mir kein Vergnuͤgen erblicken konnte: ſo brachte mir die Religion doch oft die Freuden aus einer andern Welt heruͤber. Nachdem ich alſo drey Jahre in einer vollkommenen Knechtſchaft zu- ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/36
Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/36>, abgerufen am 09.10.2024.