Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Gräfinn von G**
dem Degen widersetzt hatte, ward bald mein
Vertrauter, und wir waren um desto glückli-
cher, weil die Russen kein Französisch verstun-
den. Er hatte die edlen Meinungen einer gu-
ten Erziehung im Felde nicht verlohren; und
so unterschieden seine Gemüthsart von der mei-
nigen war: so machte uns doch das Unglück
schon halb zu Freunden. Er hatte ein von
Natur ehrliches Gemüth, und das Mißtrauen,
das ich anfangs bey ihm merkte, verlohr sich
völlig, da er mein Herz kennen lernte. Jch
bildete ihn auf unserm elenden und beschwer-
lichen Wege so, wie ich ihn haben wollte, und
wie er seyn mußte, wenn er mir Steeleys
Verlust einiger massen ersetzen sollte. Je nä-
her wir Siberien kamen, desto unfreundlicher
wurden wir an denen Orten aufgenommen,
wo man uns weiter fortschaffen mußte. Wir
achteten die Niederträchtigkeiten, ich und Re-
mour, so hieß der Franzose, kaum mehr, mit
denen man uns begegnete. Wir bleiben doch
rechtschaffene Leute, sprach der Major immer
zu mir, wenn uns gleich der Pöbel verun-
ehrt. Er, ich, und die vornehmen Russen, wir
waren einer so arm, als der andre; und wenn
wir auch etwas gehabt hätten: so würde uns
doch der Pöbel, oder unsere eigene Bedeckung
nichts gelassen haben; so seindselig geht man

mit
II Theil. C

Graͤfinn von G**
dem Degen widerſetzt hatte, ward bald mein
Vertrauter, und wir waren um deſto gluͤckli-
cher, weil die Ruſſen kein Franzoͤſiſch verſtun-
den. Er hatte die edlen Meinungen einer gu-
ten Erziehung im Felde nicht verlohren; und
ſo unterſchieden ſeine Gemuͤthsart von der mei-
nigen war: ſo machte uns doch das Ungluͤck
ſchon halb zu Freunden. Er hatte ein von
Natur ehrliches Gemuͤth, und das Mißtrauen,
das ich anfangs bey ihm merkte, verlohr ſich
voͤllig, da er mein Herz kennen lernte. Jch
bildete ihn auf unſerm elenden und beſchwer-
lichen Wege ſo, wie ich ihn haben wollte, und
wie er ſeyn mußte, wenn er mir Steeleys
Verluſt einiger maſſen erſetzen ſollte. Je naͤ-
her wir Siberien kamen, deſto unfreundlicher
wurden wir an denen Orten aufgenommen,
wo man uns weiter fortſchaffen mußte. Wir
achteten die Niedertraͤchtigkeiten, ich und Re-
mour, ſo hieß der Franzoſe, kaum mehr, mit
denen man uns begegnete. Wir bleiben doch
rechtſchaffene Leute, ſprach der Major immer
zu mir, wenn uns gleich der Poͤbel verun-
ehrt. Er, ich, und die vornehmen Ruſſen, wir
waren einer ſo arm, als der andre; und wenn
wir auch etwas gehabt haͤtten: ſo wuͤrde uns
doch der Poͤbel, oder unſere eigene Bedeckung
nichts gelaſſen haben; ſo ſeindſelig geht man

mit
II Theil. C
<TEI>
  <text>
    <body>
      <floatingText>
        <body>
          <div type="letter">
            <p><pb facs="#f0033" n="33"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Gra&#x0364;finn von G**</hi></fw><lb/>
dem Degen wider&#x017F;etzt hatte, ward bald mein<lb/>
Vertrauter, und wir waren um de&#x017F;to glu&#x0364;ckli-<lb/>
cher, weil die Ru&#x017F;&#x017F;en kein Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;ch ver&#x017F;tun-<lb/>
den. Er hatte die edlen Meinungen einer gu-<lb/>
ten Erziehung im Felde nicht verlohren; und<lb/>
&#x017F;o unter&#x017F;chieden &#x017F;eine Gemu&#x0364;thsart von der mei-<lb/>
nigen war: &#x017F;o machte uns doch das Unglu&#x0364;ck<lb/>
&#x017F;chon halb zu Freunden. Er hatte ein von<lb/>
Natur ehrliches Gemu&#x0364;th, und das Mißtrauen,<lb/>
das ich anfangs bey ihm merkte, verlohr &#x017F;ich<lb/>
vo&#x0364;llig, da er mein Herz kennen lernte. Jch<lb/>
bildete ihn auf un&#x017F;erm elenden und be&#x017F;chwer-<lb/>
lichen Wege &#x017F;o, wie ich ihn haben wollte, und<lb/>
wie er &#x017F;eyn mußte, wenn er mir Steeleys<lb/>
Verlu&#x017F;t einiger ma&#x017F;&#x017F;en er&#x017F;etzen &#x017F;ollte. Je na&#x0364;-<lb/>
her wir Siberien kamen, de&#x017F;to unfreundlicher<lb/>
wurden wir an denen Orten aufgenommen,<lb/>
wo man uns weiter fort&#x017F;chaffen mußte. Wir<lb/>
achteten die Niedertra&#x0364;chtigkeiten, ich und Re-<lb/>
mour, &#x017F;o hieß der Franzo&#x017F;e, kaum mehr, mit<lb/>
denen man uns begegnete. Wir bleiben doch<lb/>
recht&#x017F;chaffene Leute, &#x017F;prach der Major immer<lb/>
zu mir, wenn uns gleich der Po&#x0364;bel verun-<lb/>
ehrt. Er, ich, und die vornehmen Ru&#x017F;&#x017F;en, wir<lb/>
waren einer &#x017F;o arm, als der andre; und wenn<lb/>
wir auch etwas gehabt ha&#x0364;tten: &#x017F;o wu&#x0364;rde uns<lb/>
doch der Po&#x0364;bel, oder un&#x017F;ere eigene Bedeckung<lb/>
nichts gela&#x017F;&#x017F;en haben; &#x017F;o &#x017F;eind&#x017F;elig geht man<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II</hi><hi rendition="#fr">Theil.</hi> C</fw><fw place="bottom" type="catch">mit</fw><lb/></p>
          </div>
        </body>
      </floatingText>
    </body>
  </text>
</TEI>
[33/0033] Graͤfinn von G** dem Degen widerſetzt hatte, ward bald mein Vertrauter, und wir waren um deſto gluͤckli- cher, weil die Ruſſen kein Franzoͤſiſch verſtun- den. Er hatte die edlen Meinungen einer gu- ten Erziehung im Felde nicht verlohren; und ſo unterſchieden ſeine Gemuͤthsart von der mei- nigen war: ſo machte uns doch das Ungluͤck ſchon halb zu Freunden. Er hatte ein von Natur ehrliches Gemuͤth, und das Mißtrauen, das ich anfangs bey ihm merkte, verlohr ſich voͤllig, da er mein Herz kennen lernte. Jch bildete ihn auf unſerm elenden und beſchwer- lichen Wege ſo, wie ich ihn haben wollte, und wie er ſeyn mußte, wenn er mir Steeleys Verluſt einiger maſſen erſetzen ſollte. Je naͤ- her wir Siberien kamen, deſto unfreundlicher wurden wir an denen Orten aufgenommen, wo man uns weiter fortſchaffen mußte. Wir achteten die Niedertraͤchtigkeiten, ich und Re- mour, ſo hieß der Franzoſe, kaum mehr, mit denen man uns begegnete. Wir bleiben doch rechtſchaffene Leute, ſprach der Major immer zu mir, wenn uns gleich der Poͤbel verun- ehrt. Er, ich, und die vornehmen Ruſſen, wir waren einer ſo arm, als der andre; und wenn wir auch etwas gehabt haͤtten: ſo wuͤrde uns doch der Poͤbel, oder unſere eigene Bedeckung nichts gelaſſen haben; ſo ſeindſelig geht man mit II Theil. C

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/33
Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/33>, abgerufen am 08.10.2024.