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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Leben der Schwedischen
nach meinem Tode ohne Kummer mit einander
werden leben können. Den armen Christian kostete
diese Begebenheit dennoch das Leben. Er kam krank
nach London und starb bald nach unsrer Ankunft.
Amalie und Steeley hatten eine ausserordentliche
Liebe für diesen Menschen, und sie liessen ihn den
veursachten Berlust so wenig entgelten, daß sie
ihn vielmehr für seine Treue auf die großmüthig-
ste Art noch auf seinem Sterbebette belohnten.
Sobald sie von dem Doctor hörten, daß wenig
Hoffnung zu seinem Auf kommen übrig wäre:
so liessen sie ihn in ein Zimmer neben dem ihrigen
legen, um ihn recht sichtbar zu überführen, daß sie
nicht auf ihn zürnten, denn dieses war sein Kum-
mer. Kurz vor seinem Tode besuchte ich ihn noch
mit Amalien. Der alte Steeley kam auch und
setzte sich vor das Bette des Kranken, um ihn
sterben zu sehn. Er hat ein sanftes Ende, fieng
er zu uns an, und wenn es seyn müßte, ich woll-
te gleich mit ihm sterben. Der Sterbende schien
sich noch einmal aufrichten zu wollen, und indem
schoß ihm ein Strom vom Blute aus dem Mun-
de, und Christian war todt. Bin ich nicht er-
schrocken? rief der Alte zitternd. Wir wollten
ihn in das andere Zimmer führen; allein er konn-
te sich nicht aufrecht erhalten, und wir mußten
ihn hinein tragen lassen. Laßt mir meinen Groß-
vaterstuhl bringen, fieng er an, in diesem will ich
sterben, ich fühle mein Ende. Man brachte ihm
den Stuhl und er ließ ihn vor das Fenster, das
nach dem Garten gieng, setzen, damit er den

Him-

Leben der Schwediſchen
nach meinem Tode ohne Kummer mit einander
werden leben koͤnnen. Den armen Chriſtian koſtete
dieſe Begebenheit dennoch das Leben. Er kam krank
nach London und ſtarb bald nach unſrer Ankunft.
Amalie und Steeley hatten eine auſſerordentliche
Liebe fuͤr dieſen Menſchen, und ſie lieſſen ihn den
veurſachten Berluſt ſo wenig entgelten, daß ſie
ihn vielmehr fuͤr ſeine Treue auf die großmuͤthig-
ſte Art noch auf ſeinem Sterbebette belohnten.
Sobald ſie von dem Doctor hoͤrten, daß wenig
Hoffnung zu ſeinem Auf kommen uͤbrig waͤre:
ſo lieſſen ſie ihn in ein Zimmer neben dem ihrigen
legen, um ihn recht ſichtbar zu uͤberfuͤhren, daß ſie
nicht auf ihn zuͤrnten, denn dieſes war ſein Kum-
mer. Kurz vor ſeinem Tode beſuchte ich ihn noch
mit Amalien. Der alte Steeley kam auch und
ſetzte ſich vor das Bette des Kranken, um ihn
ſterben zu ſehn. Er hat ein ſanftes Ende, fieng
er zu uns an, und wenn es ſeyn muͤßte, ich woll-
te gleich mit ihm ſterben. Der Sterbende ſchien
ſich noch einmal aufrichten zu wollen, und indem
ſchoß ihm ein Strom vom Blute aus dem Mun-
de, und Chriſtian war todt. Bin ich nicht er-
ſchrocken? rief der Alte zitternd. Wir wollten
ihn in das andere Zimmer fuͤhren; allein er konn-
te ſich nicht aufrecht erhalten, und wir mußten
ihn hinein tragen laſſen. Laßt mir meinen Groß-
vaterſtuhl bringen, fieng er an, in dieſem will ich
ſterben, ich fuͤhle mein Ende. Man brachte ihm
den Stuhl und er ließ ihn vor das Fenſter, das
nach dem Garten gieng, ſetzen, damit er den

Him-
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[126/0126] Leben der Schwediſchen nach meinem Tode ohne Kummer mit einander werden leben koͤnnen. Den armen Chriſtian koſtete dieſe Begebenheit dennoch das Leben. Er kam krank nach London und ſtarb bald nach unſrer Ankunft. Amalie und Steeley hatten eine auſſerordentliche Liebe fuͤr dieſen Menſchen, und ſie lieſſen ihn den veurſachten Berluſt ſo wenig entgelten, daß ſie ihn vielmehr fuͤr ſeine Treue auf die großmuͤthig- ſte Art noch auf ſeinem Sterbebette belohnten. Sobald ſie von dem Doctor hoͤrten, daß wenig Hoffnung zu ſeinem Auf kommen uͤbrig waͤre: ſo lieſſen ſie ihn in ein Zimmer neben dem ihrigen legen, um ihn recht ſichtbar zu uͤberfuͤhren, daß ſie nicht auf ihn zuͤrnten, denn dieſes war ſein Kum- mer. Kurz vor ſeinem Tode beſuchte ich ihn noch mit Amalien. Der alte Steeley kam auch und ſetzte ſich vor das Bette des Kranken, um ihn ſterben zu ſehn. Er hat ein ſanftes Ende, fieng er zu uns an, und wenn es ſeyn muͤßte, ich woll- te gleich mit ihm ſterben. Der Sterbende ſchien ſich noch einmal aufrichten zu wollen, und indem ſchoß ihm ein Strom vom Blute aus dem Mun- de, und Chriſtian war todt. Bin ich nicht er- ſchrocken? rief der Alte zitternd. Wir wollten ihn in das andere Zimmer fuͤhren; allein er konn- te ſich nicht aufrecht erhalten, und wir mußten ihn hinein tragen laſſen. Laßt mir meinen Groß- vaterſtuhl bringen, fieng er an, in dieſem will ich ſterben, ich fuͤhle mein Ende. Man brachte ihm den Stuhl und er ließ ihn vor das Fenſter, das nach dem Garten gieng, ſetzen, damit er den Him-

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/126>, abgerufen am 06.05.2024.