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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747.

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testen Jahre feurig und lebhaft bleiben.
Unsere Empfindungen können wohl et-
was abnehmen, allein diese Abnahme
heißt wenig. Derjenige hat allemal ge-
nug Vergnügen, so lange er so viel hat,
als das Maaß seiner Empfindungen ver-
langt. Genug, wir sind nach vielen
Jahren noch so verliebt in einander ge-
wesen, als wenn wir uns erst zu lieben
angefangen hätten. Man denke ja nicht,
weil wir die Wissenschaften liebten, daß
wir an uns nur unsere Seelen geliebt
hätten. Jch habe bey allen meinen Bü-
chern über die metaphysische Geisterliebe
nur lachen müssen. Der Körper gehört
so gut, als die Seele, zu unserer Natur.
Und wer uns beredet, daß er nichts als
die Vollkommenheiten des Geistes an
einer Person liebt, der redet entweder
wider sein Gewissen, oder er weis gar
nicht, was er redet. Die sinnliche Lie-
be, die bloß auf den Körper geht, ist
eine Beschäftigung kleiner und unfrucht-

barer

Gräfinn von G **
teſten Jahre feurig und lebhaft bleiben.
Unſere Empfindungen können wohl et-
was abnehmen, allein dieſe Abnahme
heißt wenig. Derjenige hat allemal ge-
nug Vergnügen, ſo lange er ſo viel hat,
als das Maaß ſeiner Empfindungen ver-
langt. Genug, wir ſind nach vielen
Jahren noch ſo verliebt in einander ge-
weſen, als wenn wir uns erſt zu lieben
angefangen hätten. Man denke ja nicht,
weil wir die Wiſſenſchaften liebten, daß
wir an uns nur unſere Seelen geliebt
hätten. Jch habe bey allen meinen Bü-
chern über die metaphyſiſche Geiſterliebe
nur lachen müſſen. Der Körper gehört
ſo gut, als die Seele, zu unſerer Natur.
Und wer uns beredet, daß er nichts als
die Vollkommenheiten des Geiſtes an
einer Perſon liebt, der redet entweder
wider ſein Gewiſſen, oder er weis gar
nicht, was er redet. Die ſinnliche Lie-
be, die bloß auf den Körper geht, iſt
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[79/0079] Gräfinn von G ** teſten Jahre feurig und lebhaft bleiben. Unſere Empfindungen können wohl et- was abnehmen, allein dieſe Abnahme heißt wenig. Derjenige hat allemal ge- nug Vergnügen, ſo lange er ſo viel hat, als das Maaß ſeiner Empfindungen ver- langt. Genug, wir ſind nach vielen Jahren noch ſo verliebt in einander ge- weſen, als wenn wir uns erſt zu lieben angefangen hätten. Man denke ja nicht, weil wir die Wiſſenſchaften liebten, daß wir an uns nur unſere Seelen geliebt hätten. Jch habe bey allen meinen Bü- chern über die metaphyſiſche Geiſterliebe nur lachen müſſen. Der Körper gehört ſo gut, als die Seele, zu unſerer Natur. Und wer uns beredet, daß er nichts als die Vollkommenheiten des Geiſtes an einer Perſon liebt, der redet entweder wider ſein Gewiſſen, oder er weis gar nicht, was er redet. Die ſinnliche Lie- be, die bloß auf den Körper geht, iſt eine Beſchäftigung kleiner und unfrucht- barer

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben01_1747/79>, abgerufen am 03.05.2024.