Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747.

Bild:
<< vorherige Seite

Leben der Schwedischen
als durch eine tobende Wehmuth und Un-
geduld. Jn etlichen Wochen erhielten
wir wieder einen Brief, und die Aufschrift
war Carlsons Hand. Soll ichs aufrich-
tig gestehen, so erschrack ich weit mehr,
daß er noch lebte, als ich zuerst über sei-
nen Tod erschrocken war. Gott, dachte
ich, was wird dieses wieder werden?
Carlson wird seiner Krankheit wegen das
Lager verlassen, und wohl gar abgedankt
haben. Die Liebe wird ihn wieder zu
Marianen rufen. Mariane nur war vor
Freuden ganz außer sich. Der Brief
war an sie, und sie brach ihn nicht etwan
gleich auf. O nein, so viel Zeit ließ ihr
ihre vergnügte Unruhe nicht. Sie gab
ihn uns auch nicht zu erbrechen. Sie
behielt ihn in den Händen, als einen
unbekannten Schatz, den man nicht eröff-
nen will, bis man sich zehnmal vorgestel-
let hat, wie viel darinnen seyn könnte.
Da sie ihn endlich erbrach, so war der
Brief schon viele Wochen älter, als der-

jenige,

Leben der Schwediſchen
als durch eine tobende Wehmuth und Un-
geduld. Jn etlichen Wochen erhielten
wir wieder einen Brief, und die Aufſchrift
war Carlſons Hand. Soll ichs aufrich-
tig geſtehen, ſo erſchrack ich weit mehr,
daß er noch lebte, als ich zuerſt über ſei-
nen Tod erſchrocken war. Gott, dachte
ich, was wird dieſes wieder werden?
Carlſon wird ſeiner Krankheit wegen das
Lager verlaſſen, und wohl gar abgedankt
haben. Die Liebe wird ihn wieder zu
Marianen rufen. Mariane nur war vor
Freuden ganz außer ſich. Der Brief
war an ſie, und ſie brach ihn nicht etwan
gleich auf. O nein, ſo viel Zeit ließ ihr
ihre vergnügte Unruhe nicht. Sie gab
ihn uns auch nicht zu erbrechen. Sie
behielt ihn in den Händen, als einen
unbekannten Schatz, den man nicht eröff-
nen will, bis man ſich zehnmal vorgeſtel-
let hat, wie viel darinnen ſeyn könnte.
Da ſie ihn endlich erbrach, ſo war der
Brief ſchon viele Wochen älter, als der-

jenige,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0108" n="108"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Leben der Schwedi&#x017F;chen</hi></fw><lb/>
als durch eine tobende Wehmuth und Un-<lb/>
geduld. Jn etlichen Wochen erhielten<lb/>
wir wieder einen Brief, und die Auf&#x017F;chrift<lb/>
war Carl&#x017F;ons Hand. Soll ichs aufrich-<lb/>
tig ge&#x017F;tehen, &#x017F;o er&#x017F;chrack ich weit mehr,<lb/>
daß er noch lebte, als ich zuer&#x017F;t über &#x017F;ei-<lb/>
nen Tod er&#x017F;chrocken war. Gott, dachte<lb/>
ich, was wird die&#x017F;es wieder werden?<lb/>
Carl&#x017F;on wird &#x017F;einer Krankheit wegen das<lb/>
Lager verla&#x017F;&#x017F;en, und wohl gar abgedankt<lb/>
haben. Die Liebe wird ihn wieder zu<lb/>
Marianen rufen. Mariane nur war vor<lb/>
Freuden ganz außer &#x017F;ich. Der Brief<lb/>
war an &#x017F;ie, und &#x017F;ie brach ihn nicht etwan<lb/>
gleich auf. O nein, &#x017F;o viel Zeit ließ ihr<lb/>
ihre vergnügte Unruhe nicht. Sie gab<lb/>
ihn uns auch nicht zu erbrechen. Sie<lb/>
behielt ihn in den Händen, als einen<lb/>
unbekannten Schatz, den man nicht eröff-<lb/>
nen will, bis man &#x017F;ich zehnmal vorge&#x017F;tel-<lb/>
let hat, wie viel darinnen &#x017F;eyn könnte.<lb/>
Da &#x017F;ie ihn endlich erbrach, &#x017F;o war der<lb/>
Brief &#x017F;chon viele Wochen älter, als der-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">jenige,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0108] Leben der Schwediſchen als durch eine tobende Wehmuth und Un- geduld. Jn etlichen Wochen erhielten wir wieder einen Brief, und die Aufſchrift war Carlſons Hand. Soll ichs aufrich- tig geſtehen, ſo erſchrack ich weit mehr, daß er noch lebte, als ich zuerſt über ſei- nen Tod erſchrocken war. Gott, dachte ich, was wird dieſes wieder werden? Carlſon wird ſeiner Krankheit wegen das Lager verlaſſen, und wohl gar abgedankt haben. Die Liebe wird ihn wieder zu Marianen rufen. Mariane nur war vor Freuden ganz außer ſich. Der Brief war an ſie, und ſie brach ihn nicht etwan gleich auf. O nein, ſo viel Zeit ließ ihr ihre vergnügte Unruhe nicht. Sie gab ihn uns auch nicht zu erbrechen. Sie behielt ihn in den Händen, als einen unbekannten Schatz, den man nicht eröff- nen will, bis man ſich zehnmal vorgeſtel- let hat, wie viel darinnen ſeyn könnte. Da ſie ihn endlich erbrach, ſo war der Brief ſchon viele Wochen älter, als der- jenige,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben01_1747
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben01_1747/108
Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben01_1747/108>, abgerufen am 23.11.2024.