Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite


ihr liegende träge Masse M, um mit eben der Geschwindigkeit aus der Ruhe fortbewegt zu werden, ebenfalls eine Kraft = K erfordern. Eine dritte Masse = M wird wiederum eine Kraft = K erfordern, u. s. w. Zwey dieser M zu sammen, oder alle drey zusammen erfordern also die Kraft K zweymal oder dreymal u. s. w. Und da es hiebey einerley ist, ob sich die Massen berühren oder nicht, ob sie zusammenhängen, oder nicht, so solgt, daß die Masse 2M, um eben so geschwind aus der Ruhe sortbewegt zu werden, die Kraft 2K, die Masse 3M die Kraft 3K, und eine Masse = nM die Kraft nK erfordere. Daß den Massen Gleichgültigkeit in Ruhe und Bewegung beygelegt wird, ändert in diesen Schlüssen nichts; denn es soll dadurch nichts weiter angezeigt werden, als daß die Massen ohne Einwirkung der Kraft sich gar nicht bewegen würden, daß sie sich auch nicht mehr oder weniger bewegen, als es der Kraft gemäß ist; kurz, daß sie blos leidend den Einwirkungen der Kraft folgen, welche allein hier der thätige Theil ist.

Herr Gren aber legt weit mehr in den Begrif, den er sich von dieser Gleichgültigkeit der trägen Materie macht. Nach ihm ist die blos träge Masse des beweglichen Körpers gar kein Hinderniß seiner Beweglichkeit; daher soll die Beweglichkeit in keinem Verhältnisse mit der trägen Masse stehen. Bey der Bewegung bloß träger Körper soll also die Masse gar nicht in Anschlag kommen, indem sie die Beweglichkeit weder vermehre, noch vermindere, und nur die Geschwindigkeit allein soll hier das Maaß der Kraft und die Größe der Bewegung bestimmen. "Denn," sagt Hr. Gren (§. 83.), "wenn Trägheit Gleichgültigkeit der "Körper gegen Ruhe und Bewegung ist, so muß auch der "Satz, daß die Trägheit der Masse proportional sey, ohne "Sinn seyn, indem es so wenig Grade der Gleichgültigkeit, "als der Ruhe, geben kan."

In diesen Schlüssen ist erstens ein doppelter Sinn des Worts Beweglichkeit zu finden. Heißt Beweglichkeit überhaupt Fähigkeit, sich bewegen zu lassen, so kan man sagen, die doppelt so große Masse sey eben so beweglich, als die einfache. Heißt es aber Fähigkeit, sich durch eine bestimmte


ihr liegende traͤge Maſſe M, um mit eben der Geſchwindigkeit aus der Ruhe fortbewegt zu werden, ebenfalls eine Kraft = K erfordern. Eine dritte Maſſe = M wird wiederum eine Kraft = K erfordern, u. ſ. w. Zwey dieſer M zu ſammen, oder alle drey zuſammen erfordern alſo die Kraft K zweymal oder dreymal u. ſ. w. Und da es hiebey einerley iſt, ob ſich die Maſſen beruͤhren oder nicht, ob ſie zuſammenhaͤngen, oder nicht, ſo ſolgt, daß die Maſſe 2M, um eben ſo geſchwind aus der Ruhe ſortbewegt zu werden, die Kraft 2K, die Maſſe 3M die Kraft 3K, und eine Maſſe = nM die Kraft nK erfordere. Daß den Maſſen Gleichguͤltigkeit in Ruhe und Bewegung beygelegt wird, aͤndert in dieſen Schluͤſſen nichts; denn es ſoll dadurch nichts weiter angezeigt werden, als daß die Maſſen ohne Einwirkung der Kraft ſich gar nicht bewegen wuͤrden, daß ſie ſich auch nicht mehr oder weniger bewegen, als es der Kraft gemaͤß iſt; kurz, daß ſie blos leidend den Einwirkungen der Kraft folgen, welche allein hier der thaͤtige Theil iſt.

Herr Gren aber legt weit mehr in den Begrif, den er ſich von dieſer Gleichguͤltigkeit der traͤgen Materie macht. Nach ihm iſt die blos traͤge Maſſe des beweglichen Koͤrpers gar kein Hinderniß ſeiner Beweglichkeit; daher ſoll die Beweglichkeit in keinem Verhaͤltniſſe mit der traͤgen Maſſe ſtehen. Bey der Bewegung bloß traͤger Koͤrper ſoll alſo die Maſſe gar nicht in Anſchlag kommen, indem ſie die Beweglichkeit weder vermehre, noch vermindere, und nur die Geſchwindigkeit allein ſoll hier das Maaß der Kraft und die Groͤße der Bewegung beſtimmen. ”Denn,“ ſagt Hr. Gren (§. 83.), ”wenn Traͤgheit Gleichguͤltigkeit der ”Koͤrper gegen Ruhe und Bewegung iſt, ſo muß auch der ”Satz, daß die Traͤgheit der Maſſe proportional ſey, ohne ”Sinn ſeyn, indem es ſo wenig Grade der Gleichguͤltigkeit, ”als der Ruhe, geben kan.“

In dieſen Schluͤſſen iſt erſtens ein doppelter Sinn des Worts Beweglichkeit zu finden. Heißt Beweglichkeit uͤberhaupt Faͤhigkeit, ſich bewegen zu laſſen, ſo kan man ſagen, die doppelt ſo große Maſſe ſey eben ſo beweglich, als die einfache. Heißt es aber Faͤhigkeit, ſich durch eine beſtimmte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="2">
              <p><pb facs="#f0905" xml:id="P.5.893" n="893"/><lb/>
ihr liegende tra&#x0364;ge Ma&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#aq">M,</hi> um mit eben der Ge&#x017F;chwindigkeit aus der Ruhe fortbewegt zu werden, ebenfalls eine Kraft = <hi rendition="#aq">K</hi> erfordern. Eine dritte Ma&#x017F;&#x017F;e = <hi rendition="#aq">M</hi> wird wiederum eine Kraft = <hi rendition="#aq">K</hi> erfordern, u. &#x017F;. w. Zwey die&#x017F;er <hi rendition="#aq">M</hi> zu &#x017F;ammen, oder alle drey zu&#x017F;ammen erfordern al&#x017F;o die Kraft <hi rendition="#aq">K</hi> zweymal oder dreymal u. &#x017F;. w. Und da es hiebey einerley i&#x017F;t, ob &#x017F;ich die Ma&#x017F;&#x017F;en beru&#x0364;hren oder nicht, ob &#x017F;ie zu&#x017F;ammenha&#x0364;ngen, oder nicht, &#x017F;o &#x017F;olgt, daß die Ma&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#aq">2M,</hi> um eben &#x017F;o ge&#x017F;chwind aus der Ruhe &#x017F;ortbewegt zu werden, die Kraft <hi rendition="#aq">2K,</hi> die Ma&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#aq">3M</hi> die Kraft <hi rendition="#aq">3K,</hi> und eine Ma&#x017F;&#x017F;e = <hi rendition="#aq">nM</hi> die Kraft <hi rendition="#aq">nK</hi> erfordere. Daß den Ma&#x017F;&#x017F;en Gleichgu&#x0364;ltigkeit in Ruhe und Bewegung beygelegt wird, a&#x0364;ndert in die&#x017F;en Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en nichts; denn es &#x017F;oll dadurch nichts weiter angezeigt werden, als daß die Ma&#x017F;&#x017F;en ohne Einwirkung der Kraft &#x017F;ich gar nicht bewegen wu&#x0364;rden, daß &#x017F;ie &#x017F;ich auch nicht mehr oder weniger bewegen, als es der Kraft gema&#x0364;ß i&#x017F;t; kurz, daß &#x017F;ie blos leidend den Einwirkungen der Kraft folgen, welche allein hier der tha&#x0364;tige Theil i&#x017F;t.</p>
              <p>Herr <hi rendition="#b">Gren</hi> aber legt weit mehr in den Begrif, den er &#x017F;ich von die&#x017F;er Gleichgu&#x0364;ltigkeit der tra&#x0364;gen Materie macht. Nach ihm i&#x017F;t die blos tra&#x0364;ge Ma&#x017F;&#x017F;e des beweglichen Ko&#x0364;rpers gar kein Hinderniß &#x017F;einer Beweglichkeit; daher &#x017F;oll die Beweglichkeit in keinem Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e mit der tra&#x0364;gen Ma&#x017F;&#x017F;e &#x017F;tehen. <hi rendition="#b">Bey der Bewegung bloß tra&#x0364;ger Ko&#x0364;rper &#x017F;oll al&#x017F;o die Ma&#x017F;&#x017F;e gar nicht in An&#x017F;chlag kommen,</hi> indem &#x017F;ie die Beweglichkeit weder vermehre, noch vermindere, und nur die Ge&#x017F;chwindigkeit allein &#x017F;oll hier das Maaß der Kraft und die Gro&#x0364;ße der Bewegung be&#x017F;timmen. &#x201D;Denn,&#x201C; &#x017F;agt Hr. <hi rendition="#b">Gren</hi> (§. 83.), &#x201D;wenn Tra&#x0364;gheit Gleichgu&#x0364;ltigkeit der &#x201D;Ko&#x0364;rper gegen Ruhe und Bewegung i&#x017F;t, &#x017F;o muß auch der &#x201D;Satz, daß die Tra&#x0364;gheit der Ma&#x017F;&#x017F;e proportional &#x017F;ey, ohne &#x201D;Sinn &#x017F;eyn, indem es &#x017F;o wenig Grade der Gleichgu&#x0364;ltigkeit, &#x201D;als der Ruhe, geben kan.&#x201C;</p>
              <p>In die&#x017F;en Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t er&#x017F;tens ein doppelter Sinn des Worts Beweglichkeit zu finden. Heißt <hi rendition="#b">Beweglichkeit</hi> u&#x0364;berhaupt Fa&#x0364;higkeit, &#x017F;ich bewegen zu la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o kan man &#x017F;agen, die doppelt &#x017F;o große Ma&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ey eben &#x017F;o beweglich, als die einfache. Heißt es aber Fa&#x0364;higkeit, &#x017F;ich durch eine be&#x017F;timmte<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[893/0905] ihr liegende traͤge Maſſe M, um mit eben der Geſchwindigkeit aus der Ruhe fortbewegt zu werden, ebenfalls eine Kraft = K erfordern. Eine dritte Maſſe = M wird wiederum eine Kraft = K erfordern, u. ſ. w. Zwey dieſer M zu ſammen, oder alle drey zuſammen erfordern alſo die Kraft K zweymal oder dreymal u. ſ. w. Und da es hiebey einerley iſt, ob ſich die Maſſen beruͤhren oder nicht, ob ſie zuſammenhaͤngen, oder nicht, ſo ſolgt, daß die Maſſe 2M, um eben ſo geſchwind aus der Ruhe ſortbewegt zu werden, die Kraft 2K, die Maſſe 3M die Kraft 3K, und eine Maſſe = nM die Kraft nK erfordere. Daß den Maſſen Gleichguͤltigkeit in Ruhe und Bewegung beygelegt wird, aͤndert in dieſen Schluͤſſen nichts; denn es ſoll dadurch nichts weiter angezeigt werden, als daß die Maſſen ohne Einwirkung der Kraft ſich gar nicht bewegen wuͤrden, daß ſie ſich auch nicht mehr oder weniger bewegen, als es der Kraft gemaͤß iſt; kurz, daß ſie blos leidend den Einwirkungen der Kraft folgen, welche allein hier der thaͤtige Theil iſt. Herr Gren aber legt weit mehr in den Begrif, den er ſich von dieſer Gleichguͤltigkeit der traͤgen Materie macht. Nach ihm iſt die blos traͤge Maſſe des beweglichen Koͤrpers gar kein Hinderniß ſeiner Beweglichkeit; daher ſoll die Beweglichkeit in keinem Verhaͤltniſſe mit der traͤgen Maſſe ſtehen. Bey der Bewegung bloß traͤger Koͤrper ſoll alſo die Maſſe gar nicht in Anſchlag kommen, indem ſie die Beweglichkeit weder vermehre, noch vermindere, und nur die Geſchwindigkeit allein ſoll hier das Maaß der Kraft und die Groͤße der Bewegung beſtimmen. ”Denn,“ ſagt Hr. Gren (§. 83.), ”wenn Traͤgheit Gleichguͤltigkeit der ”Koͤrper gegen Ruhe und Bewegung iſt, ſo muß auch der ”Satz, daß die Traͤgheit der Maſſe proportional ſey, ohne ”Sinn ſeyn, indem es ſo wenig Grade der Gleichguͤltigkeit, ”als der Ruhe, geben kan.“ In dieſen Schluͤſſen iſt erſtens ein doppelter Sinn des Worts Beweglichkeit zu finden. Heißt Beweglichkeit uͤberhaupt Faͤhigkeit, ſich bewegen zu laſſen, ſo kan man ſagen, die doppelt ſo große Maſſe ſey eben ſo beweglich, als die einfache. Heißt es aber Faͤhigkeit, ſich durch eine beſtimmte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/905
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799, S. 893. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/905>, abgerufen am 23.05.2024.