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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799.

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Dieser Marmor findet sich im Val Levantine, 7 Stunden vom Wirthshause auf dem St. Gotthard, im Gebirge Campo Longo an der Grenze des Val Maggia, und macht hier einen Theil einer ungeheuren Tremolithbank aus. Die chemische Analyse zeigte darinn die Hälfte des Gewichts Luftsäure, ein Drittel Kalkerde, ein Sechstel Thonerde und Eisen, nebst etwa (3/100) Glimmer.

Es gelang Herrn Fleuriau, verschiedene Marmorarten und andere Mineralien durch Austrocknen mittelst des Feuers biegsam zu machen. Täfelchen von carrarischem Marmor von 1 1/2 Lin. Dicke, 9 Lin. Breite und 30 Lin. Länge, 5 bis 6 Stunden lang einer Hitze von 200 Graden im Sandbade ausgesetzt, erhalten so die große Biegsamkeit, die man ihnen ohne Verlust ihrer Consistenz geben kan. Der Marmor wird dadurch zerreiblich, und verschluckt das Wasser mit großer Begierde, welches der Marmor vom St. Gotthard ebenfalls thut. Auch wird das Volumen um etwas vergrößert. Bey einer 15 Zoll langen und 5 Lin. dicken Platte, die an einem Ende befestigt wird, kan das andere durch einen Raum von 8 Lin. ohne Zerbrechung bewegt werden. Dieses giebt im Ganzen eine Bewegung von 16 Lin., welche einen Bogen von 8 1/2° ausmachen. Bey kleinen Platten ist dies zuweilen bis auf 14° gegangen. Das bewegte Ende schnellt nur durch 3/4 des durchlaufenen Raumes wieder zurück. Auch der Kalkstein von St. Gotthard erhielt im Feuer noch größere Biegsamkeit, wiewohl auf Kosten seiner Elasticität.

Uebrigens gelang der Versuch nur bey den blättrigkörnigten Kalksteinen, welche ein krystallinisches und kein erdigtes Korn haben. Es ergab sich auch aus den Versuchen, daß diese Biegsamkeit des Kalksteins mittelst der Austrocknung nicht, wie Dolomieu behauptet, durch Beraubung des Krystallisationswassers, sondern durch Verminderung des Zusammenhangs der Körner und ihrer Entfernung von einander, bewirkt werde. Der Stein schien blos dasjenige Wasser zu verlieren, was ihm als hygroskopischer Substanz anhieng.

Außerdem fand Hr. Fleuriau diese Fähigkeit, biegsam zu werden, auch bey dem körnigten Kalk-Alabaster, dem tropfsteinartigen Kalksinter aus der Balme de Selanche in


Dieſer Marmor findet ſich im Val Levantine, 7 Stunden vom Wirthshauſe auf dem St. Gotthard, im Gebirge Campo Longo an der Grenze des Val Maggia, und macht hier einen Theil einer ungeheuren Tremolithbank aus. Die chemiſche Analyſe zeigte darinn die Haͤlfte des Gewichts Luftſaͤure, ein Drittel Kalkerde, ein Sechſtel Thonerde und Eiſen, nebſt etwa (3/100) Glimmer.

Es gelang Herrn Fleuriau, verſchiedene Marmorarten und andere Mineralien durch Austrocknen mittelſt des Feuers biegſam zu machen. Taͤfelchen von carrariſchem Marmor von 1 1/2 Lin. Dicke, 9 Lin. Breite und 30 Lin. Laͤnge, 5 bis 6 Stunden lang einer Hitze von 200 Graden im Sandbade ausgeſetzt, erhalten ſo die große Biegſamkeit, die man ihnen ohne Verluſt ihrer Conſiſtenz geben kan. Der Marmor wird dadurch zerreiblich, und verſchluckt das Waſſer mit großer Begierde, welches der Marmor vom St. Gotthard ebenfalls thut. Auch wird das Volumen um etwas vergroͤßert. Bey einer 15 Zoll langen und 5 Lin. dicken Platte, die an einem Ende befeſtigt wird, kan das andere durch einen Raum von 8 Lin. ohne Zerbrechung bewegt werden. Dieſes giebt im Ganzen eine Bewegung von 16 Lin., welche einen Bogen von 8 1/2° ausmachen. Bey kleinen Platten iſt dies zuweilen bis auf 14° gegangen. Das bewegte Ende ſchnellt nur durch 3/4 des durchlaufenen Raumes wieder zuruͤck. Auch der Kalkſtein von St. Gotthard erhielt im Feuer noch groͤßere Biegſamkeit, wiewohl auf Koſten ſeiner Elaſticitaͤt.

Uebrigens gelang der Verſuch nur bey den blaͤttrigkoͤrnigten Kalkſteinen, welche ein kryſtalliniſches und kein erdigtes Korn haben. Es ergab ſich auch aus den Verſuchen, daß dieſe Biegſamkeit des Kalkſteins mittelſt der Austrocknung nicht, wie Dolomieu behauptet, durch Beraubung des Kryſtalliſationswaſſers, ſondern durch Verminderung des Zuſammenhangs der Koͤrner und ihrer Entfernung von einander, bewirkt werde. Der Stein ſchien blos dasjenige Waſſer zu verlieren, was ihm als hygroſkopiſcher Subſtanz anhieng.

Außerdem fand Hr. Fleuriau dieſe Faͤhigkeit, biegſam zu werden, auch bey dem koͤrnigten Kalk-Alabaſter, dem tropfſteinartigen Kalkſinter aus der Balme de Selanche in

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[864/0876] Dieſer Marmor findet ſich im Val Levantine, 7 Stunden vom Wirthshauſe auf dem St. Gotthard, im Gebirge Campo Longo an der Grenze des Val Maggia, und macht hier einen Theil einer ungeheuren Tremolithbank aus. Die chemiſche Analyſe zeigte darinn die Haͤlfte des Gewichts Luftſaͤure, ein Drittel Kalkerde, ein Sechſtel Thonerde und Eiſen, nebſt etwa (3/100) Glimmer. Es gelang Herrn Fleuriau, verſchiedene Marmorarten und andere Mineralien durch Austrocknen mittelſt des Feuers biegſam zu machen. Taͤfelchen von carrariſchem Marmor von 1 1/2 Lin. Dicke, 9 Lin. Breite und 30 Lin. Laͤnge, 5 bis 6 Stunden lang einer Hitze von 200 Graden im Sandbade ausgeſetzt, erhalten ſo die große Biegſamkeit, die man ihnen ohne Verluſt ihrer Conſiſtenz geben kan. Der Marmor wird dadurch zerreiblich, und verſchluckt das Waſſer mit großer Begierde, welches der Marmor vom St. Gotthard ebenfalls thut. Auch wird das Volumen um etwas vergroͤßert. Bey einer 15 Zoll langen und 5 Lin. dicken Platte, die an einem Ende befeſtigt wird, kan das andere durch einen Raum von 8 Lin. ohne Zerbrechung bewegt werden. Dieſes giebt im Ganzen eine Bewegung von 16 Lin., welche einen Bogen von 8 1/2° ausmachen. Bey kleinen Platten iſt dies zuweilen bis auf 14° gegangen. Das bewegte Ende ſchnellt nur durch 3/4 des durchlaufenen Raumes wieder zuruͤck. Auch der Kalkſtein von St. Gotthard erhielt im Feuer noch groͤßere Biegſamkeit, wiewohl auf Koſten ſeiner Elaſticitaͤt. Uebrigens gelang der Verſuch nur bey den blaͤttrigkoͤrnigten Kalkſteinen, welche ein kryſtalliniſches und kein erdigtes Korn haben. Es ergab ſich auch aus den Verſuchen, daß dieſe Biegſamkeit des Kalkſteins mittelſt der Austrocknung nicht, wie Dolomieu behauptet, durch Beraubung des Kryſtalliſationswaſſers, ſondern durch Verminderung des Zuſammenhangs der Koͤrner und ihrer Entfernung von einander, bewirkt werde. Der Stein ſchien blos dasjenige Waſſer zu verlieren, was ihm als hygroſkopiſcher Subſtanz anhieng. Außerdem fand Hr. Fleuriau dieſe Faͤhigkeit, biegſam zu werden, auch bey dem koͤrnigten Kalk-Alabaſter, dem tropfſteinartigen Kalkſinter aus der Balme de Selanche in

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799, S. 864. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/876>, abgerufen am 22.11.2024.