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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799.

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Und es ist gerade hier der Punkt, in welchem dieses neue System durch deutliche Versuche einen entscheidenden Sieg erhalten hat. Denn da es unbezweifelt erwiesen ist, daß das Stickgas nicht erst durch die phlogistischen Processe erzeugt, sondern nur abgeschieden werde (s. die Zusätze zu den Art. Gas, phlogistisirtes, Verbrennung), so folgt auch, daß das Athmen, welches von der respirabeln Luft nur den einen unbrauchbaren Theil abschneidet und wiedergiebt, den andern Theil zurücklassen, mithin dem thierischen Körper vielmehr etwas zuführen müsse. Dies widerlegt alle Systeme, welche sonst die Wirkung des Athmens in einer bloßen Ausführung des überflüßigen Brennstoffs bestehen ließen.

Es sind aber die Antiphlogistiker über die Theorie des Athmens unter sich selbst verschiedener Meinung. Nach Einigen wird der in der respirabeln Luft enthaltene Sauerstoff (Oxygene) durch das Athemholen dem Körper zugeführt und im Blute zurückgelassen. Dagegen werden Wasserstoff und Kohlenstoff, die sich im Ueberfluß in der Organisation befinden, und durch die Nahrungsmittel häufig in den Körper kommen, vermittelst des Athmens aus dem Blute abgesondert, und mit der ausgeathmeten Luft herausgeführet. Lavoisier hingegen, und Crawford selbst, welcher in der neuern Ausgabe seines Werks sich sehr nach dem antiphlogistischen System bequemet, läugnen die Verbindung des Sauerstoffs oder der Lebensluftbasis mit dem Blute gänzlich, und glauben vielmehr, daß der Sauerstoff mit zu Erzeugung der fixen Luft verwendet werde, welche beym Ausathmen aus den Lungen hervorgeht. Es sind, ehe ich von diesen Theorien rede, noch einige Erfahrungen vorauszuschicken, die ich hier nach der antiphlogistischen Vorstellungsart vortrage.

Die Menge der ausgeathmeten Luftist nie ganz der Menge der eingeathmeten gleich. Während des Athemholens geht (1/60)--(1/50) davon verlohren. Die atmosphärische Luft, welche eingeathmet wird, besteht aus Sauerstoffgas, Stickgas und kohlengesäuertem Gas (Luftsäure). Durch das Athemholen wird die Menge des kohlengesäuerten Gas vermehrt, die Menge des Sauerstoffs vermindert, und die Menge des


Und es iſt gerade hier der Punkt, in welchem dieſes neue Syſtem durch deutliche Verſuche einen entſcheidenden Sieg erhalten hat. Denn da es unbezweifelt erwieſen iſt, daß das Stickgas nicht erſt durch die phlogiſtiſchen Proceſſe erzeugt, ſondern nur abgeſchieden werde (ſ. die Zuſaͤtze zu den Art. Gas, phlogiſtiſirtes, Verbrennung), ſo folgt auch, daß das Athmen, welches von der reſpirabeln Luft nur den einen unbrauchbaren Theil abſchneidet und wiedergiebt, den andern Theil zuruͤcklaſſen, mithin dem thieriſchen Koͤrper vielmehr etwas zufuͤhren muͤſſe. Dies widerlegt alle Syſteme, welche ſonſt die Wirkung des Athmens in einer bloßen Ausfuͤhrung des uͤberfluͤßigen Brennſtoffs beſtehen ließen.

Es ſind aber die Antiphlogiſtiker uͤber die Theorie des Athmens unter ſich ſelbſt verſchiedener Meinung. Nach Einigen wird der in der reſpirabeln Luft enthaltene Sauerſtoff (Oxygène) durch das Athemholen dem Koͤrper zugefuͤhrt und im Blute zuruͤckgelaſſen. Dagegen werden Waſſerſtoff und Kohlenſtoff, die ſich im Ueberfluß in der Organiſation befinden, und durch die Nahrungsmittel haͤufig in den Koͤrper kommen, vermittelſt des Athmens aus dem Blute abgeſondert, und mit der ausgeathmeten Luft herausgefuͤhret. Lavoiſier hingegen, und Crawford ſelbſt, welcher in der neuern Ausgabe ſeines Werks ſich ſehr nach dem antiphlogiſtiſchen Syſtem bequemet, laͤugnen die Verbindung des Sauerſtoffs oder der Lebensluftbaſis mit dem Blute gaͤnzlich, und glauben vielmehr, daß der Sauerſtoff mit zu Erzeugung der fixen Luft verwendet werde, welche beym Ausathmen aus den Lungen hervorgeht. Es ſind, ehe ich von dieſen Theorien rede, noch einige Erfahrungen vorauszuſchicken, die ich hier nach der antiphlogiſtiſchen Vorſtellungsart vortrage.

Die Menge der ausgeathmeten Luftiſt nie ganz der Menge der eingeathmeten gleich. Waͤhrend des Athemholens geht (1/60)—(1/50) davon verlohren. Die atmoſphaͤriſche Luft, welche eingeathmet wird, beſteht aus Sauerſtoffgas, Stickgas und kohlengeſaͤuertem Gas (Luftſaͤure). Durch das Athemholen wird die Menge des kohlengeſaͤuerten Gas vermehrt, die Menge des Sauerſtoffs vermindert, und die Menge des

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[62/0074] Und es iſt gerade hier der Punkt, in welchem dieſes neue Syſtem durch deutliche Verſuche einen entſcheidenden Sieg erhalten hat. Denn da es unbezweifelt erwieſen iſt, daß das Stickgas nicht erſt durch die phlogiſtiſchen Proceſſe erzeugt, ſondern nur abgeſchieden werde (ſ. die Zuſaͤtze zu den Art. Gas, phlogiſtiſirtes, Verbrennung), ſo folgt auch, daß das Athmen, welches von der reſpirabeln Luft nur den einen unbrauchbaren Theil abſchneidet und wiedergiebt, den andern Theil zuruͤcklaſſen, mithin dem thieriſchen Koͤrper vielmehr etwas zufuͤhren muͤſſe. Dies widerlegt alle Syſteme, welche ſonſt die Wirkung des Athmens in einer bloßen Ausfuͤhrung des uͤberfluͤßigen Brennſtoffs beſtehen ließen. Es ſind aber die Antiphlogiſtiker uͤber die Theorie des Athmens unter ſich ſelbſt verſchiedener Meinung. Nach Einigen wird der in der reſpirabeln Luft enthaltene Sauerſtoff (Oxygène) durch das Athemholen dem Koͤrper zugefuͤhrt und im Blute zuruͤckgelaſſen. Dagegen werden Waſſerſtoff und Kohlenſtoff, die ſich im Ueberfluß in der Organiſation befinden, und durch die Nahrungsmittel haͤufig in den Koͤrper kommen, vermittelſt des Athmens aus dem Blute abgeſondert, und mit der ausgeathmeten Luft herausgefuͤhret. Lavoiſier hingegen, und Crawford ſelbſt, welcher in der neuern Ausgabe ſeines Werks ſich ſehr nach dem antiphlogiſtiſchen Syſtem bequemet, laͤugnen die Verbindung des Sauerſtoffs oder der Lebensluftbaſis mit dem Blute gaͤnzlich, und glauben vielmehr, daß der Sauerſtoff mit zu Erzeugung der fixen Luft verwendet werde, welche beym Ausathmen aus den Lungen hervorgeht. Es ſind, ehe ich von dieſen Theorien rede, noch einige Erfahrungen vorauszuſchicken, die ich hier nach der antiphlogiſtiſchen Vorſtellungsart vortrage. Die Menge der ausgeathmeten Luftiſt nie ganz der Menge der eingeathmeten gleich. Waͤhrend des Athemholens geht (1/60)—(1/50) davon verlohren. Die atmoſphaͤriſche Luft, welche eingeathmet wird, beſteht aus Sauerſtoffgas, Stickgas und kohlengeſaͤuertem Gas (Luftſaͤure). Durch das Athemholen wird die Menge des kohlengeſaͤuerten Gas vermehrt, die Menge des Sauerſtoffs vermindert, und die Menge des

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/74>, abgerufen am 04.05.2024.