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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799.

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Freylich setzt Hr. Gren andere Begriffe und Abmessungen der Bewegung voraus. Nach seiner Theorie spannt der Stein im obigen Beyspiele den Faden nicht darum mit 1 Loth Kraft, weil er so viel Masse hat, als 15 Loth Metall u. dergl. auch haben, sondern wirklich darum, weil er 15 Loth wiegt, weil er eine widerstehende Mass. von 15 Loth Gewicht ausmacht. Diese Mechanik versteht freylich unter Masse das Gewicht.

Was wird nun aber aus der Centralbewegung des Steins, wenn wir uns das Bret, das ihn trägt, weggenommen, und zugleich seine Schwere vernichtet gedenken? Jetzt ist er nach Hrn. Gren eine träge Masse, deren Größe keinen Einfluß mehr haben soll, wiewohl die vorige Geschwindigkeit fortdauert. Wie soll jetzt die bewegende Kraft berechnet werden, mit welcher diese Bewegung den Faden spannt? Es soll dabey blos auf Geschwindigkeit ankommen, übrigens einerley seyn, ob ein M oder ob 1000 M geschwungen werden. Man mag aber die Geschwindigkeit allein, wie man will, zerlegen; man wird daraus bald beschleunigende, nie aber bewegende Kräfte von bestimmter Größe herleiten können, ohne die Masse als ein Datum mit einzuführen. Was für eine Mechanik würde sich auf solche Gründe errichten lassen, und was aus den Lehren vom Momente der Trägheit (Th. III. S. 276), vom Pendel, vom Stoße u. s. w. werden?

Es ist wahr, daß wir durchs Gewicht nur die Masse der schweren Theile erkennen: aber eben diese Masse ist es auch, die wir in der Bewegungslehre, als träg betrachten. Daß außer ihr noch andere nicht schwere Masse in den Körpern vorhanden sey, davon haben wir wenigstens keine Erfahrungen, und sind also nicht berechtiget, es anzunehmen: vielmehr stimmen die Erfahrungen überall mit den Resultaten unserer bisherigen Mechanik zusammen, welche das Gegentheil annimmt. Und wenn es denn auch solche nicht schwere Masse gäbe, so könnte sie doch nicht nach den Gesetzen betrachtet werden, welche Hr. Gren annimmt, weil nach solchen Gesetzen überhaupt keine Bestimmung der Größe ihrer Bewegung möglich wäre.


Freylich ſetzt Hr. Gren andere Begriffe und Abmeſſungen der Bewegung voraus. Nach ſeiner Theorie ſpannt der Stein im obigen Beyſpiele den Faden nicht darum mit 1 Loth Kraft, weil er ſo viel Maſſe hat, als 15 Loth Metall u. dergl. auch haben, ſondern wirklich darum, weil er 15 Loth wiegt, weil er eine widerſtehende Maſſ. von 15 Loth Gewicht ausmacht. Dieſe Mechanik verſteht freylich unter Maſſe das Gewicht.

Was wird nun aber aus der Centralbewegung des Steins, wenn wir uns das Bret, das ihn traͤgt, weggenommen, und zugleich ſeine Schwere vernichtet gedenken? Jetzt iſt er nach Hrn. Gren eine traͤge Maſſe, deren Groͤße keinen Einfluß mehr haben ſoll, wiewohl die vorige Geſchwindigkeit fortdauert. Wie ſoll jetzt die bewegende Kraft berechnet werden, mit welcher dieſe Bewegung den Faden ſpannt? Es ſoll dabey blos auf Geſchwindigkeit ankommen, uͤbrigens einerley ſeyn, ob ein M oder ob 1000 M geſchwungen werden. Man mag aber die Geſchwindigkeit allein, wie man will, zerlegen; man wird daraus bald beſchleunigende, nie aber bewegende Kraͤfte von beſtimmter Groͤße herleiten koͤnnen, ohne die Maſſe als ein Datum mit einzufuͤhren. Was fuͤr eine Mechanik wuͤrde ſich auf ſolche Gruͤnde errichten laſſen, und was aus den Lehren vom Momente der Traͤgheit (Th. III. S. 276), vom Pendel, vom Stoße u. ſ. w. werden?

Es iſt wahr, daß wir durchs Gewicht nur die Maſſe der ſchweren Theile erkennen: aber eben dieſe Maſſe iſt es auch, die wir in der Bewegungslehre, als traͤg betrachten. Daß außer ihr noch andere nicht ſchwere Maſſe in den Koͤrpern vorhanden ſey, davon haben wir wenigſtens keine Erfahrungen, und ſind alſo nicht berechtiget, es anzunehmen: vielmehr ſtimmen die Erfahrungen uͤberall mit den Reſultaten unſerer bisherigen Mechanik zuſammen, welche das Gegentheil annimmt. Und wenn es denn auch ſolche nicht ſchwere Maſſe gaͤbe, ſo koͤnnte ſie doch nicht nach den Geſetzen betrachtet werden, welche Hr. Gren annimmt, weil nach ſolchen Geſetzen uͤberhaupt keine Beſtimmung der Groͤße ihrer Bewegung moͤglich waͤre.

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[628/0640] Freylich ſetzt Hr. Gren andere Begriffe und Abmeſſungen der Bewegung voraus. Nach ſeiner Theorie ſpannt der Stein im obigen Beyſpiele den Faden nicht darum mit 1 Loth Kraft, weil er ſo viel Maſſe hat, als 15 Loth Metall u. dergl. auch haben, ſondern wirklich darum, weil er 15 Loth wiegt, weil er eine widerſtehende Maſſ. von 15 Loth Gewicht ausmacht. Dieſe Mechanik verſteht freylich unter Maſſe das Gewicht. Was wird nun aber aus der Centralbewegung des Steins, wenn wir uns das Bret, das ihn traͤgt, weggenommen, und zugleich ſeine Schwere vernichtet gedenken? Jetzt iſt er nach Hrn. Gren eine traͤge Maſſe, deren Groͤße keinen Einfluß mehr haben ſoll, wiewohl die vorige Geſchwindigkeit fortdauert. Wie ſoll jetzt die bewegende Kraft berechnet werden, mit welcher dieſe Bewegung den Faden ſpannt? Es ſoll dabey blos auf Geſchwindigkeit ankommen, uͤbrigens einerley ſeyn, ob ein M oder ob 1000 M geſchwungen werden. Man mag aber die Geſchwindigkeit allein, wie man will, zerlegen; man wird daraus bald beſchleunigende, nie aber bewegende Kraͤfte von beſtimmter Groͤße herleiten koͤnnen, ohne die Maſſe als ein Datum mit einzufuͤhren. Was fuͤr eine Mechanik wuͤrde ſich auf ſolche Gruͤnde errichten laſſen, und was aus den Lehren vom Momente der Traͤgheit (Th. III. S. 276), vom Pendel, vom Stoße u. ſ. w. werden? Es iſt wahr, daß wir durchs Gewicht nur die Maſſe der ſchweren Theile erkennen: aber eben dieſe Maſſe iſt es auch, die wir in der Bewegungslehre, als traͤg betrachten. Daß außer ihr noch andere nicht ſchwere Maſſe in den Koͤrpern vorhanden ſey, davon haben wir wenigſtens keine Erfahrungen, und ſind alſo nicht berechtiget, es anzunehmen: vielmehr ſtimmen die Erfahrungen uͤberall mit den Reſultaten unſerer bisherigen Mechanik zuſammen, welche das Gegentheil annimmt. Und wenn es denn auch ſolche nicht ſchwere Maſſe gaͤbe, ſo koͤnnte ſie doch nicht nach den Geſetzen betrachtet werden, welche Hr. Gren annimmt, weil nach ſolchen Geſetzen uͤberhaupt keine Beſtimmung der Groͤße ihrer Bewegung moͤglich waͤre.

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799, S. 628. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/640>, abgerufen am 10.06.2024.