Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.
In der That muß man sich auch darauf einschränken, die Idee von Repulsion blos als eine bequeme Vorstellungsoder Bezeichnungsart der Phänomene zu betrachten. Der Schein ist freylich so, als ob bisweilen Körper oder Theile der Körper sich wechselseitig abstießen, und diese Vorstellung reicht oftmals hin, eine Menge einzelner Erscheinungen und Wirkungen begreislich zu machen, die gleichsam in ihr zusammengefaßt liegen; aber die wahre Ursache dieser Erscheinungen ist damit noch nicht erklärt. Eine allgemeine Ursache aller scheinbaren Repulsionen giebt es gewiß nicht: in vielen Fällen mag das, was Abstoßung scheint, vielmehr Folge einer Anziehung nach der entgegengesetzten Seite seyn, und manche Arten des Abstoßens haben offenbar verschiedene physische Ursachen, obgleich immer fast alles, was sich von diesen Ursachen sagen läßt, blos hypothetisch bleibt. Viele scheinbare Repulsionen lassen sich sehr füglich auf Anziehungen nach der entgegengesetzten Seite bringen, so daß man gar nicht nöthig hat, dabey zu einer zurückstoßenden Kraft seine Zuflucht zu nehmen. Ein Beyspiel hievon giebt der niedrigere Stand des Quecksilbers in Haarröhren, s. Haarröhren (Th. II. S. 547.). Wenn aber ein mit Fett oder Oel bestrichener Körper auf Wasser, oder Eisen auf Quecksilber, schwimmt, und dabey gleichsam eine Grube in die Oberfläche der flüßigen Materie drückt, so daß es scheint, als ob der feste Körper die Theile des flüßigen ringsum zurückstieße, so ist es nicht ganz so leicht, dieses Phänomen aus bloßen Anziehungen zu erklären. Inzwischen drückt doch die Redensart, daß die Theile des Wassers und Fettes, oder des Quecksilbers und Eisens, einander zurückstoßen, nichts weiter, als das
In der That muß man ſich auch darauf einſchraͤnken, die Idee von Repulſion blos als eine bequeme Vorſtellungsoder Bezeichnungsart der Phaͤnomene zu betrachten. Der Schein iſt freylich ſo, als ob bisweilen Koͤrper oder Theile der Koͤrper ſich wechſelſeitig abſtießen, und dieſe Vorſtellung reicht oftmals hin, eine Menge einzelner Erſcheinungen und Wirkungen begreiſlich zu machen, die gleichſam in ihr zuſammengefaßt liegen; aber die wahre Urſache dieſer Erſcheinungen iſt damit noch nicht erklaͤrt. Eine allgemeine Urſache aller ſcheinbaren Repulſionen giebt es gewiß nicht: in vielen Faͤllen mag das, was Abſtoßung ſcheint, vielmehr Folge einer Anziehung nach der entgegengeſetzten Seite ſeyn, und manche Arten des Abſtoßens haben offenbar verſchiedene phyſiſche Urſachen, obgleich immer faſt alles, was ſich von dieſen Urſachen ſagen laͤßt, blos hypothetiſch bleibt. Viele ſcheinbare Repulſionen laſſen ſich ſehr fuͤglich auf Anziehungen nach der entgegengeſetzten Seite bringen, ſo daß man gar nicht noͤthig hat, dabey zu einer zuruͤckſtoßenden Kraft ſeine Zuflucht zu nehmen. Ein Beyſpiel hievon giebt der niedrigere Stand des Queckſilbers in Haarroͤhren, ſ. Haarroͤhren (Th. II. S. 547.). Wenn aber ein mit Fett oder Oel beſtrichener Koͤrper auf Waſſer, oder Eiſen auf Queckſilber, ſchwimmt, und dabey gleichſam eine Grube in die Oberflaͤche der fluͤßigen Materie druͤckt, ſo daß es ſcheint, als ob der feſte Koͤrper die Theile des fluͤßigen ringsum zuruͤckſtieße, ſo iſt es nicht ganz ſo leicht, dieſes Phaͤnomen aus bloßen Anziehungen zu erklaͤren. Inzwiſchen druͤckt doch die Redensart, daß die Theile des Waſſers und Fettes, oder des Queckſilbers und Eiſens, einander zuruͤckſtoßen, nichts weiter, als das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0904" xml:id="P.4.894" n="894"/><lb/> Kraͤfte an. Allein man hat ſeine der Optik angehaͤngten Fragen nicht ſchlechterdings fuͤr Behauptungen anzuſehen; in den Principien (<hi rendition="#aq">L. II. Prop. 23.</hi>), wo er die Theorie elaſtiſcher Fluͤßigkeiten abhandelt, erinnert er ſelbſt, man habe die Vorſtellung von repellirenden Kraͤften der Theile blos als mathematiſche Idee, nicht als Erklaͤrung einer phyſiſchen Urſache anzuſehen.</p> <p>In der That muß man ſich auch darauf einſchraͤnken, die Idee von Repulſion blos als eine bequeme Vorſtellungsoder Bezeichnungsart der Phaͤnomene zu betrachten. Der Schein iſt freylich ſo, als ob bisweilen Koͤrper oder Theile der Koͤrper ſich wechſelſeitig abſtießen, und dieſe Vorſtellung reicht oftmals hin, eine Menge einzelner Erſcheinungen und Wirkungen begreiſlich zu machen, die gleichſam in ihr zuſammengefaßt liegen; aber die wahre Urſache dieſer Erſcheinungen iſt damit noch nicht erklaͤrt. Eine allgemeine Urſache aller ſcheinbaren Repulſionen giebt es gewiß nicht: in vielen Faͤllen mag das, was Abſtoßung ſcheint, vielmehr Folge einer Anziehung nach der entgegengeſetzten Seite ſeyn, und manche Arten des Abſtoßens haben offenbar verſchiedene phyſiſche Urſachen, obgleich immer faſt alles, was ſich von dieſen Urſachen ſagen laͤßt, blos hypothetiſch bleibt.</p> <p>Viele ſcheinbare Repulſionen laſſen ſich ſehr fuͤglich auf Anziehungen nach der entgegengeſetzten Seite bringen, ſo daß man gar nicht noͤthig hat, dabey zu einer <hi rendition="#b">zuruͤckſtoßenden Kraft</hi> ſeine Zuflucht zu nehmen. Ein Beyſpiel hievon giebt der niedrigere Stand des Queckſilbers in Haarroͤhren, <hi rendition="#b">ſ. Haarroͤhren</hi> (Th. <hi rendition="#aq">II.</hi> S. 547.). Wenn aber ein mit Fett oder Oel beſtrichener Koͤrper auf Waſſer, oder Eiſen auf Queckſilber, ſchwimmt, und dabey gleichſam eine Grube in die Oberflaͤche der fluͤßigen Materie druͤckt, ſo daß es ſcheint, als ob der feſte Koͤrper die Theile des fluͤßigen ringsum zuruͤckſtieße, ſo iſt es nicht ganz ſo leicht, dieſes Phaͤnomen aus bloßen Anziehungen zu erklaͤren. Inzwiſchen druͤckt doch die Redensart, daß die Theile des Waſſers und Fettes, oder des Queckſilbers und Eiſens, einander zuruͤckſtoßen, nichts weiter, als das<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [894/0904]
Kraͤfte an. Allein man hat ſeine der Optik angehaͤngten Fragen nicht ſchlechterdings fuͤr Behauptungen anzuſehen; in den Principien (L. II. Prop. 23.), wo er die Theorie elaſtiſcher Fluͤßigkeiten abhandelt, erinnert er ſelbſt, man habe die Vorſtellung von repellirenden Kraͤften der Theile blos als mathematiſche Idee, nicht als Erklaͤrung einer phyſiſchen Urſache anzuſehen.
In der That muß man ſich auch darauf einſchraͤnken, die Idee von Repulſion blos als eine bequeme Vorſtellungsoder Bezeichnungsart der Phaͤnomene zu betrachten. Der Schein iſt freylich ſo, als ob bisweilen Koͤrper oder Theile der Koͤrper ſich wechſelſeitig abſtießen, und dieſe Vorſtellung reicht oftmals hin, eine Menge einzelner Erſcheinungen und Wirkungen begreiſlich zu machen, die gleichſam in ihr zuſammengefaßt liegen; aber die wahre Urſache dieſer Erſcheinungen iſt damit noch nicht erklaͤrt. Eine allgemeine Urſache aller ſcheinbaren Repulſionen giebt es gewiß nicht: in vielen Faͤllen mag das, was Abſtoßung ſcheint, vielmehr Folge einer Anziehung nach der entgegengeſetzten Seite ſeyn, und manche Arten des Abſtoßens haben offenbar verſchiedene phyſiſche Urſachen, obgleich immer faſt alles, was ſich von dieſen Urſachen ſagen laͤßt, blos hypothetiſch bleibt.
Viele ſcheinbare Repulſionen laſſen ſich ſehr fuͤglich auf Anziehungen nach der entgegengeſetzten Seite bringen, ſo daß man gar nicht noͤthig hat, dabey zu einer zuruͤckſtoßenden Kraft ſeine Zuflucht zu nehmen. Ein Beyſpiel hievon giebt der niedrigere Stand des Queckſilbers in Haarroͤhren, ſ. Haarroͤhren (Th. II. S. 547.). Wenn aber ein mit Fett oder Oel beſtrichener Koͤrper auf Waſſer, oder Eiſen auf Queckſilber, ſchwimmt, und dabey gleichſam eine Grube in die Oberflaͤche der fluͤßigen Materie druͤckt, ſo daß es ſcheint, als ob der feſte Koͤrper die Theile des fluͤßigen ringsum zuruͤckſtieße, ſo iſt es nicht ganz ſo leicht, dieſes Phaͤnomen aus bloßen Anziehungen zu erklaͤren. Inzwiſchen druͤckt doch die Redensart, daß die Theile des Waſſers und Fettes, oder des Queckſilbers und Eiſens, einander zuruͤckſtoßen, nichts weiter, als das
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