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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.

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Beym vorhin angenommenen Cylinder ist h/H=(2lnh/ma,) mithin der Exponent H=(ma/2ln). Er verhält sich also direct, wie die specifische Schwere des bewegten Cylinders, und wie dessen Höhe oder Axe, und umgekehrt, wie die Dichtigkeit des widerstehenden Mittels, wobey freylich angenommen wird, daß der Coefficient l stets einerley Größe behalte, und der bewegte Körper ein Cylinder, oder wenigstens ein Prisma sey, dessen ebene Grundfläche in der Richtung der darauf senkrechten Axe vorangeht.

Hat der bewegte Körper eine andere Gestalt oder Lage, so ändern sich Stärke und Exponent des Widerstands, und wieviel diese Aenderung betrage, muß nun aus den Gesetzen des schiefen Stoßes gefunden werden. Zum Unglück aber sind diese Gesetze noch weit entfernt, uns Resultate zu geben, welche mit der Theorie übereinstimmten. Nach der gewöhnlichen Theorie, welche Karsten (a. a. O. §. 303. u. f.) ausführt, soll der Widerstand, der auf die erhabne Fläche einer Kugel ausgeübt wird, halb so groß seyn, als derjenige, dem ihr größter Kreis bey gleicher Masse ausgesetzt wäre. Allein die Versuche des Ritters de Borda sind diesem Ausspruche gänzlich entgegen, und es scheint aus ihnen eher zu folgen, daß der Widerstand gegen die Kugel nur zwey Fünftel von dem beträgt, der auf ihren größten Kreis ausgeübt würde, welches auch die meisten neuern Mathematiker annehmen.

Newton selbst erkannte schon, daß seine Theorie den Ersahrungen nicht allenthalben Gnüge leiste. Zwar bey den Versuchen, die er im Jahre 1710 durch Hawksbee in der Paulskirche zu London anstellen ließ, um den Widerstand der Luft zu prüfen, waren die Abweichungen nicht beträchtlich (s. Princip. philos. L. II. Prop. XL. Schol.). Man ließ verschiedene hohle Kugeln von Glas aus einer Höhe von 220 englischen Fuß herabfallen, beobachtete die Zeiten des Falles, und berechnete dann aus ihrem Gewicht und Durchmesser, nebst der Dichte der Luft (welche 860mal


Beym vorhin angenommenen Cylinder iſt h/H=(2λnh/ma,) mithin der Exponent H=(ma/2λn). Er verhaͤlt ſich alſo direct, wie die ſpecifiſche Schwere des bewegten Cylinders, und wie deſſen Hoͤhe oder Axe, und umgekehrt, wie die Dichtigkeit des widerſtehenden Mittels, wobey freylich angenommen wird, daß der Coefficient λ ſtets einerley Groͤße behalte, und der bewegte Koͤrper ein Cylinder, oder wenigſtens ein Priſma ſey, deſſen ebene Grundflaͤche in der Richtung der darauf ſenkrechten Axe vorangeht.

Hat der bewegte Koͤrper eine andere Geſtalt oder Lage, ſo aͤndern ſich Staͤrke und Exponent des Widerſtands, und wieviel dieſe Aenderung betrage, muß nun aus den Geſetzen des ſchiefen Stoßes gefunden werden. Zum Ungluͤck aber ſind dieſe Geſetze noch weit entfernt, uns Reſultate zu geben, welche mit der Theorie uͤbereinſtimmten. Nach der gewoͤhnlichen Theorie, welche Karſten (a. a. O. §. 303. u. f.) ausfuͤhrt, ſoll der Widerſtand, der auf die erhabne Flaͤche einer Kugel ausgeuͤbt wird, halb ſo groß ſeyn, als derjenige, dem ihr groͤßter Kreis bey gleicher Maſſe ausgeſetzt waͤre. Allein die Verſuche des Ritters de Borda ſind dieſem Ausſpruche gaͤnzlich entgegen, und es ſcheint aus ihnen eher zu folgen, daß der Widerſtand gegen die Kugel nur zwey Fuͤnftel von dem betraͤgt, der auf ihren groͤßten Kreis ausgeuͤbt wuͤrde, welches auch die meiſten neuern Mathematiker annehmen.

Newton ſelbſt erkannte ſchon, daß ſeine Theorie den Erſahrungen nicht allenthalben Gnuͤge leiſte. Zwar bey den Verſuchen, die er im Jahre 1710 durch Hawksbee in der Paulskirche zu London anſtellen ließ, um den Widerſtand der Luft zu pruͤfen, waren die Abweichungen nicht betraͤchtlich (ſ. Princip. philoſ. L. II. Prop. XL. Schol.). Man ließ verſchiedene hohle Kugeln von Glas aus einer Hoͤhe von 220 engliſchen Fuß herabfallen, beobachtete die Zeiten des Falles, und berechnete dann aus ihrem Gewicht und Durchmeſſer, nebſt der Dichte der Luft (welche 860mal

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[752/0762] Beym vorhin angenommenen Cylinder iſt h/H=(2λnh/ma,) mithin der Exponent H=(ma/2λn). Er verhaͤlt ſich alſo direct, wie die ſpecifiſche Schwere des bewegten Cylinders, und wie deſſen Hoͤhe oder Axe, und umgekehrt, wie die Dichtigkeit des widerſtehenden Mittels, wobey freylich angenommen wird, daß der Coefficient λ ſtets einerley Groͤße behalte, und der bewegte Koͤrper ein Cylinder, oder wenigſtens ein Priſma ſey, deſſen ebene Grundflaͤche in der Richtung der darauf ſenkrechten Axe vorangeht. Hat der bewegte Koͤrper eine andere Geſtalt oder Lage, ſo aͤndern ſich Staͤrke und Exponent des Widerſtands, und wieviel dieſe Aenderung betrage, muß nun aus den Geſetzen des ſchiefen Stoßes gefunden werden. Zum Ungluͤck aber ſind dieſe Geſetze noch weit entfernt, uns Reſultate zu geben, welche mit der Theorie uͤbereinſtimmten. Nach der gewoͤhnlichen Theorie, welche Karſten (a. a. O. §. 303. u. f.) ausfuͤhrt, ſoll der Widerſtand, der auf die erhabne Flaͤche einer Kugel ausgeuͤbt wird, halb ſo groß ſeyn, als derjenige, dem ihr groͤßter Kreis bey gleicher Maſſe ausgeſetzt waͤre. Allein die Verſuche des Ritters de Borda ſind dieſem Ausſpruche gaͤnzlich entgegen, und es ſcheint aus ihnen eher zu folgen, daß der Widerſtand gegen die Kugel nur zwey Fuͤnftel von dem betraͤgt, der auf ihren groͤßten Kreis ausgeuͤbt wuͤrde, welches auch die meiſten neuern Mathematiker annehmen. Newton ſelbſt erkannte ſchon, daß ſeine Theorie den Erſahrungen nicht allenthalben Gnuͤge leiſte. Zwar bey den Verſuchen, die er im Jahre 1710 durch Hawksbee in der Paulskirche zu London anſtellen ließ, um den Widerſtand der Luft zu pruͤfen, waren die Abweichungen nicht betraͤchtlich (ſ. Princip. philoſ. L. II. Prop. XL. Schol.). Man ließ verſchiedene hohle Kugeln von Glas aus einer Hoͤhe von 220 engliſchen Fuß herabfallen, beobachtete die Zeiten des Falles, und berechnete dann aus ihrem Gewicht und Durchmeſſer, nebſt der Dichte der Luft (welche 860mal

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 752. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/762>, abgerufen am 19.05.2024.