Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.
So nehmen flüßige Körper während ihrer Verdampfung keinen höhern Grad der fühlbaren Wärme an, aus eben dem Grunde, aus welchem feste Körper während des Schmelzens ihre Wärme nicht ändern, s. Schmelzung. Man benützt diese Beständigkeit der Siedhitze, besonders beym Wasser, theils zur Bestimmung eines festen Punkts am Thermometer (s. Thermometer), theils zu chymischen Operationen, bey welchen man die Körper eine Zeitlang einer bestimmten gleichbleibenden Hitze aussetzen will. Zu dieser letztern Absicht werden die Gefäße durch siedendes Wasser, in welchem sie stehen, erhitzt. Man nennt dies, so wie jede Veranstaltung, bey welcher die Gefäße in heissem Wasser stehen, ein Wasserbad, oder Marienbad (balneum maris, Mariae, Bain-Marie). Wasser, das man, selbst in den dünnsten Gefäßen, in kochendes Wasser setzt, kan darinn nicht kochen, weil ihm das kochende Wasser seines Bades höchstens nur den Grad der Wärme mittheilen kan, den sein noch tropfbar bleibender Theil hat, der also zur Verdampfung noch nicht hinreicht (s. Ladisl. Chernak Diss. de aqua intra aquam ferventem non ebulliente. Groning. 1775. 4.). Es ist aber der Satz, daß die Siedhitze jeder flüßigen Materie bestimmt und beständig sey, einigen großen Einschränkungen unterworfen. Fürs erste bezieht er sich nur auf die Hitze beym stärksten und völligen Sieden. Es steigen schon Luftblasen, auch wohl Dampfblasen, lange vorher auf, ehe die übrigen Theile der Masse alle die Hitze erhalten, die sie ohne Verdampfung anzunehmen fähig sind; daher kan die Hitze vom ersten Anfange des Siedens bis zum stärksten Grade desselben noch merklich zunehmen. Dieser Spielraum des Siedpunkts ist besonders bey den Oelen beträchtlich, welche desto schwerer verdampfen, und sich desto mehr erhitzen, je zäher sie sind. Da nun das Kochen selbst ihre Zähigkeit vermehrt, so ist es die natürliche Folge hievon, daß sie noch während des Siedens selbst immer heisser werden.
So nehmen fluͤßige Koͤrper waͤhrend ihrer Verdampfung keinen hoͤhern Grad der fuͤhlbaren Waͤrme an, aus eben dem Grunde, aus welchem feſte Koͤrper waͤhrend des Schmelzens ihre Waͤrme nicht aͤndern, ſ. Schmelzung. Man benuͤtzt dieſe Beſtaͤndigkeit der Siedhitze, beſonders beym Waſſer, theils zur Beſtimmung eines feſten Punkts am Thermometer (ſ. Thermometer), theils zu chymiſchen Operationen, bey welchen man die Koͤrper eine Zeitlang einer beſtimmten gleichbleibenden Hitze ausſetzen will. Zu dieſer letztern Abſicht werden die Gefaͤße durch ſiedendes Waſſer, in welchem ſie ſtehen, erhitzt. Man nennt dies, ſo wie jede Veranſtaltung, bey welcher die Gefaͤße in heiſſem Waſſer ſtehen, ein Waſſerbad, oder Marienbad (balneum maris, Mariae, Bain-Marie). Waſſer, das man, ſelbſt in den duͤnnſten Gefaͤßen, in kochendes Waſſer ſetzt, kan darinn nicht kochen, weil ihm das kochende Waſſer ſeines Bades hoͤchſtens nur den Grad der Waͤrme mittheilen kan, den ſein noch tropfbar bleibender Theil hat, der alſo zur Verdampfung noch nicht hinreicht (ſ. Ladisl. Chernak Diſſ. de aqua intra aquam ferventem non ebulliente. Groning. 1775. 4.). Es iſt aber der Satz, daß die Siedhitze jeder fluͤßigen Materie beſtimmt und beſtaͤndig ſey, einigen großen Einſchraͤnkungen unterworfen. Fuͤrs erſte bezieht er ſich nur auf die Hitze beym ſtaͤrkſten und voͤlligen Sieden. Es ſteigen ſchon Luftblaſen, auch wohl Dampfblaſen, lange vorher auf, ehe die uͤbrigen Theile der Maſſe alle die Hitze erhalten, die ſie ohne Verdampfung anzunehmen faͤhig ſind; daher kan die Hitze vom erſten Anfange des Siedens bis zum ſtaͤrkſten Grade deſſelben noch merklich zunehmen. Dieſer Spielraum des Siedpunkts iſt beſonders bey den Oelen betraͤchtlich, welche deſto ſchwerer verdampfen, und ſich deſto mehr erhitzen, je zaͤher ſie ſind. Da nun das Kochen ſelbſt ihre Zaͤhigkeit vermehrt, ſo iſt es die natuͤrliche Folge hievon, daß ſie noch waͤhrend des Siedens ſelbſt immer heiſſer werden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0057" xml:id="P.4.47" n="47"/><lb/> oder ſeinen <hi rendition="#b">Siedpunkt</hi> (<hi rendition="#aq">punctum ſ. gradum ebullitionis, <hi rendition="#i">degré d'ébullition</hi></hi>) nennet.</p> <p>So nehmen fluͤßige Koͤrper waͤhrend ihrer Verdampfung keinen hoͤhern Grad der fuͤhlbaren Waͤrme an, aus eben dem Grunde, aus welchem feſte Koͤrper waͤhrend des Schmelzens ihre Waͤrme nicht aͤndern, <hi rendition="#b">ſ. Schmelzung.</hi> Man benuͤtzt dieſe Beſtaͤndigkeit der Siedhitze, beſonders beym Waſſer, theils zur Beſtimmung eines feſten Punkts am Thermometer (<hi rendition="#b">ſ. Thermometer</hi>), theils zu chymiſchen Operationen, bey welchen man die Koͤrper eine Zeitlang einer beſtimmten gleichbleibenden Hitze ausſetzen will. Zu dieſer letztern Abſicht werden die Gefaͤße durch ſiedendes Waſſer, in welchem ſie ſtehen, erhitzt. Man nennt dies, ſo wie jede Veranſtaltung, bey welcher die Gefaͤße in heiſſem Waſſer ſtehen, ein <hi rendition="#b">Waſſerbad,</hi> oder <hi rendition="#b">Marienbad</hi> (<hi rendition="#aq">balneum maris, Mariae, <hi rendition="#i">Bain-Marie</hi></hi>). Waſſer, das man, ſelbſt in den duͤnnſten Gefaͤßen, in kochendes Waſſer ſetzt, kan darinn nicht kochen, weil ihm das kochende Waſſer ſeines Bades hoͤchſtens nur den Grad der Waͤrme mittheilen kan, den ſein noch tropfbar bleibender Theil hat, der alſo zur Verdampfung noch nicht hinreicht (ſ. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Ladisl. Chernak</hi> Diſſ. de aqua intra aquam ferventem non ebulliente. Groning. 1775. 4.</hi>).</p> <p>Es iſt aber der Satz, daß die Siedhitze jeder fluͤßigen Materie beſtimmt und beſtaͤndig ſey, einigen großen Einſchraͤnkungen unterworfen. Fuͤrs erſte bezieht er ſich nur auf die Hitze beym ſtaͤrkſten und voͤlligen Sieden. Es ſteigen ſchon Luftblaſen, auch wohl Dampfblaſen, lange vorher auf, ehe die uͤbrigen Theile der Maſſe alle die Hitze erhalten, die ſie ohne Verdampfung anzunehmen faͤhig ſind; daher kan die Hitze vom erſten Anfange des Siedens bis zum ſtaͤrkſten Grade deſſelben noch merklich zunehmen. Dieſer Spielraum des Siedpunkts iſt beſonders bey den Oelen betraͤchtlich, welche deſto ſchwerer verdampfen, und ſich deſto mehr erhitzen, je zaͤher ſie ſind. Da nun das Kochen ſelbſt ihre Zaͤhigkeit vermehrt, ſo iſt es die natuͤrliche Folge hievon, daß ſie noch waͤhrend des Siedens ſelbſt immer heiſſer werden.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [47/0057]
oder ſeinen Siedpunkt (punctum ſ. gradum ebullitionis, degré d'ébullition) nennet.
So nehmen fluͤßige Koͤrper waͤhrend ihrer Verdampfung keinen hoͤhern Grad der fuͤhlbaren Waͤrme an, aus eben dem Grunde, aus welchem feſte Koͤrper waͤhrend des Schmelzens ihre Waͤrme nicht aͤndern, ſ. Schmelzung. Man benuͤtzt dieſe Beſtaͤndigkeit der Siedhitze, beſonders beym Waſſer, theils zur Beſtimmung eines feſten Punkts am Thermometer (ſ. Thermometer), theils zu chymiſchen Operationen, bey welchen man die Koͤrper eine Zeitlang einer beſtimmten gleichbleibenden Hitze ausſetzen will. Zu dieſer letztern Abſicht werden die Gefaͤße durch ſiedendes Waſſer, in welchem ſie ſtehen, erhitzt. Man nennt dies, ſo wie jede Veranſtaltung, bey welcher die Gefaͤße in heiſſem Waſſer ſtehen, ein Waſſerbad, oder Marienbad (balneum maris, Mariae, Bain-Marie). Waſſer, das man, ſelbſt in den duͤnnſten Gefaͤßen, in kochendes Waſſer ſetzt, kan darinn nicht kochen, weil ihm das kochende Waſſer ſeines Bades hoͤchſtens nur den Grad der Waͤrme mittheilen kan, den ſein noch tropfbar bleibender Theil hat, der alſo zur Verdampfung noch nicht hinreicht (ſ. Ladisl. Chernak Diſſ. de aqua intra aquam ferventem non ebulliente. Groning. 1775. 4.).
Es iſt aber der Satz, daß die Siedhitze jeder fluͤßigen Materie beſtimmt und beſtaͤndig ſey, einigen großen Einſchraͤnkungen unterworfen. Fuͤrs erſte bezieht er ſich nur auf die Hitze beym ſtaͤrkſten und voͤlligen Sieden. Es ſteigen ſchon Luftblaſen, auch wohl Dampfblaſen, lange vorher auf, ehe die uͤbrigen Theile der Maſſe alle die Hitze erhalten, die ſie ohne Verdampfung anzunehmen faͤhig ſind; daher kan die Hitze vom erſten Anfange des Siedens bis zum ſtaͤrkſten Grade deſſelben noch merklich zunehmen. Dieſer Spielraum des Siedpunkts iſt beſonders bey den Oelen betraͤchtlich, welche deſto ſchwerer verdampfen, und ſich deſto mehr erhitzen, je zaͤher ſie ſind. Da nun das Kochen ſelbſt ihre Zaͤhigkeit vermehrt, ſo iſt es die natuͤrliche Folge hievon, daß ſie noch waͤhrend des Siedens ſelbſt immer heiſſer werden.
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