Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


Functionen, die nach einer gewissen allgemeinen Formel von C und c, von M und m abhiengen. Wenn M=m und C=c, so sollen beyde Körper nach 1) zurückspringen. Wenn man aber m nur um das Mindeste kleiner nimmt, so soll nach 2) nur m allein zurückspringen, M aber seine ganze vorige Geschwindigkeit und Richtung behalten. Wer fühlt hier nicht, daß eine so geringe Veränderung unmöglich eine so entgegengesetzte Wirkung in M hervorbringen kan. Es ist unnatürlich, von Größen, die einander bestimmen, die eine sprungweise verändert zu denken, indem sich die andere allmählig ändert. Man vermißt hiebey ganz den großen Geometer und Algebraisten, der mit den Gesetzen veränderlicher Größen sonst so bekannt war.

Inzwischen erhellet aus seinen Briefen, daß er das vierte Gesetz zu gewissen Zeiten selbst nicht geglaubt hat. Schon die oben S. 216. angeführte Stelle enthält gerade das Gegentheil von demselben. Und in einem andern Briefe (To. II. 44.) dehnt er die Behauptung des fünften Gesetzes, die für harte Körper wahr ist, ganz richtig auch auf den Fall des vierten aus. Gewiß hätte ein so scharfsinniger Geist die wahre Theorie gefunden, wenn ihn nicht die Vorliebe für sein allgemeines System und dessen falsche Grundsätze gefesselt hätte.

Der erste Anfang in dieser Lehre war also nicht glücklich. Auch haben nachher der P. Honoratus Fabri, Joachim Jung u. a. wenig richtigeres gelehrt. Etwas besser ist, was Borelli (De vi percussionis. Bonon. 1666. 4.) beybringt, obgleich nur auf besondere Fälle ohne allgemeinen Zusammenhang gerichtet, und durch eine unbequeme Art, die Bewegung zu betrachten, verdunkelt.

Die königliche Societät der Wissenschaften zu London machte im Jahre 1668 den Wunsch bekannt, daß die besten Mechaniker unter ihren Mitgliedern die Theorie der mitgetheilten Bewegung untersuchen, und die gefundenen Resultate einreichen möchten. Aus diese Veranlassung traten auf einmal drey der berühmtesten Mathematiker, Wallis, Wrenn und Huygens, mit den wahren Gesetzen des Stoßes


Functionen, die nach einer gewiſſen allgemeinen Formel von C und c, von M und m abhiengen. Wenn M=m und C=c, ſo ſollen beyde Koͤrper nach 1) zuruͤckſpringen. Wenn man aber m nur um das Mindeſte kleiner nimmt, ſo ſoll nach 2) nur m allein zuruͤckſpringen, M aber ſeine ganze vorige Geſchwindigkeit und Richtung behalten. Wer fuͤhlt hier nicht, daß eine ſo geringe Veraͤnderung unmoͤglich eine ſo entgegengeſetzte Wirkung in M hervorbringen kan. Es iſt unnatuͤrlich, von Groͤßen, die einander beſtimmen, die eine ſprungweiſe veraͤndert zu denken, indem ſich die andere allmaͤhlig aͤndert. Man vermißt hiebey ganz den großen Geometer und Algebraiſten, der mit den Geſetzen veraͤnderlicher Groͤßen ſonſt ſo bekannt war.

Inzwiſchen erhellet aus ſeinen Briefen, daß er das vierte Geſetz zu gewiſſen Zeiten ſelbſt nicht geglaubt hat. Schon die oben S. 216. angefuͤhrte Stelle enthaͤlt gerade das Gegentheil von demſelben. Und in einem andern Briefe (To. II. 44.) dehnt er die Behauptung des fuͤnften Geſetzes, die fuͤr harte Koͤrper wahr iſt, ganz richtig auch auf den Fall des vierten aus. Gewiß haͤtte ein ſo ſcharfſinniger Geiſt die wahre Theorie gefunden, wenn ihn nicht die Vorliebe fuͤr ſein allgemeines Syſtem und deſſen falſche Grundſaͤtze gefeſſelt haͤtte.

Der erſte Anfang in dieſer Lehre war alſo nicht gluͤcklich. Auch haben nachher der P. Honoratus Fabri, Joachim Jung u. a. wenig richtigeres gelehrt. Etwas beſſer iſt, was Borelli (De vi percuſſionis. Bonon. 1666. 4.) beybringt, obgleich nur auf beſondere Faͤlle ohne allgemeinen Zuſammenhang gerichtet, und durch eine unbequeme Art, die Bewegung zu betrachten, verdunkelt.

Die koͤnigliche Societaͤt der Wiſſenſchaften zu London machte im Jahre 1668 den Wunſch bekannt, daß die beſten Mechaniker unter ihren Mitgliedern die Theorie der mitgetheilten Bewegung unterſuchen, und die gefundenen Reſultate einreichen moͤchten. Auſ dieſe Veranlaſſung traten auf einmal drey der beruͤhmteſten Mathematiker, Wallis, Wrenn und Huygens, mit den wahren Geſetzen des Stoßes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0242" xml:id="P.4.232" n="232"/><lb/>
Functionen, die nach einer gewi&#x017F;&#x017F;en allgemeinen Formel von <hi rendition="#aq">C</hi> und <hi rendition="#aq">c,</hi> von <hi rendition="#aq">M</hi> und <hi rendition="#aq">m</hi> abhiengen. Wenn <hi rendition="#aq">M=m</hi> und <hi rendition="#aq">C=c,</hi> &#x017F;o &#x017F;ollen beyde Ko&#x0364;rper nach 1) zuru&#x0364;ck&#x017F;pringen. Wenn man aber <hi rendition="#aq">m</hi> nur um das Minde&#x017F;te kleiner nimmt, &#x017F;o &#x017F;oll nach 2) nur <hi rendition="#aq">m</hi> allein zuru&#x0364;ck&#x017F;pringen, <hi rendition="#aq">M</hi> aber &#x017F;eine ganze vorige Ge&#x017F;chwindigkeit und Richtung behalten. Wer fu&#x0364;hlt hier nicht, daß eine &#x017F;o geringe Vera&#x0364;nderung unmo&#x0364;glich eine &#x017F;o entgegenge&#x017F;etzte Wirkung in <hi rendition="#aq">M</hi> hervorbringen kan. Es i&#x017F;t unnatu&#x0364;rlich, von Gro&#x0364;ßen, die einander be&#x017F;timmen, die eine <hi rendition="#b">&#x017F;prungwei&#x017F;e</hi> vera&#x0364;ndert zu denken, indem &#x017F;ich die andere <hi rendition="#b">allma&#x0364;hlig</hi> a&#x0364;ndert. Man vermißt hiebey ganz den großen Geometer und Algebrai&#x017F;ten, der mit den Ge&#x017F;etzen vera&#x0364;nderlicher Gro&#x0364;ßen &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o bekannt war.</p>
            <p>Inzwi&#x017F;chen erhellet aus &#x017F;einen Briefen, daß er das vierte Ge&#x017F;etz zu gewi&#x017F;&#x017F;en Zeiten &#x017F;elb&#x017F;t nicht geglaubt hat. Schon die oben S. 216. angefu&#x0364;hrte Stelle entha&#x0364;lt gerade das Gegentheil von dem&#x017F;elben. Und in einem andern Briefe (<hi rendition="#aq">To. II. 44.</hi>) dehnt er die Behauptung des fu&#x0364;nften Ge&#x017F;etzes, die fu&#x0364;r harte Ko&#x0364;rper wahr i&#x017F;t, ganz richtig auch auf den Fall des vierten aus. Gewiß ha&#x0364;tte ein &#x017F;o &#x017F;charf&#x017F;inniger Gei&#x017F;t die wahre Theorie gefunden, wenn ihn nicht die Vorliebe fu&#x0364;r &#x017F;ein allgemeines Sy&#x017F;tem und de&#x017F;&#x017F;en fal&#x017F;che Grund&#x017F;a&#x0364;tze gefe&#x017F;&#x017F;elt ha&#x0364;tte.</p>
            <p>Der er&#x017F;te Anfang in die&#x017F;er Lehre war al&#x017F;o nicht glu&#x0364;cklich. Auch haben nachher der <hi rendition="#b">P. Honoratus Fabri, Joachim Jung</hi> u. a. wenig richtigeres gelehrt. Etwas be&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t, was <hi rendition="#b">Borelli</hi> (<hi rendition="#aq">De vi percu&#x017F;&#x017F;ionis. Bonon. 1666. 4.</hi>) beybringt, obgleich nur auf be&#x017F;ondere Fa&#x0364;lle ohne allgemeinen Zu&#x017F;ammenhang gerichtet, und durch eine unbequeme Art, die Bewegung zu betrachten, verdunkelt.</p>
            <p>Die ko&#x0364;nigliche Societa&#x0364;t der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften zu London machte im Jahre 1668 den Wun&#x017F;ch bekannt, daß die be&#x017F;ten Mechaniker unter ihren Mitgliedern die Theorie der mitgetheilten Bewegung unter&#x017F;uchen, und die gefundenen Re&#x017F;ultate einreichen mo&#x0364;chten. Au&#x017F; die&#x017F;e Veranla&#x017F;&#x017F;ung traten auf einmal drey der beru&#x0364;hmte&#x017F;ten Mathematiker, <hi rendition="#b">Wallis, Wrenn</hi> und <hi rendition="#b">Huygens,</hi> mit den wahren Ge&#x017F;etzen des <hi rendition="#b">Stoßes</hi><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[232/0242] Functionen, die nach einer gewiſſen allgemeinen Formel von C und c, von M und m abhiengen. Wenn M=m und C=c, ſo ſollen beyde Koͤrper nach 1) zuruͤckſpringen. Wenn man aber m nur um das Mindeſte kleiner nimmt, ſo ſoll nach 2) nur m allein zuruͤckſpringen, M aber ſeine ganze vorige Geſchwindigkeit und Richtung behalten. Wer fuͤhlt hier nicht, daß eine ſo geringe Veraͤnderung unmoͤglich eine ſo entgegengeſetzte Wirkung in M hervorbringen kan. Es iſt unnatuͤrlich, von Groͤßen, die einander beſtimmen, die eine ſprungweiſe veraͤndert zu denken, indem ſich die andere allmaͤhlig aͤndert. Man vermißt hiebey ganz den großen Geometer und Algebraiſten, der mit den Geſetzen veraͤnderlicher Groͤßen ſonſt ſo bekannt war. Inzwiſchen erhellet aus ſeinen Briefen, daß er das vierte Geſetz zu gewiſſen Zeiten ſelbſt nicht geglaubt hat. Schon die oben S. 216. angefuͤhrte Stelle enthaͤlt gerade das Gegentheil von demſelben. Und in einem andern Briefe (To. II. 44.) dehnt er die Behauptung des fuͤnften Geſetzes, die fuͤr harte Koͤrper wahr iſt, ganz richtig auch auf den Fall des vierten aus. Gewiß haͤtte ein ſo ſcharfſinniger Geiſt die wahre Theorie gefunden, wenn ihn nicht die Vorliebe fuͤr ſein allgemeines Syſtem und deſſen falſche Grundſaͤtze gefeſſelt haͤtte. Der erſte Anfang in dieſer Lehre war alſo nicht gluͤcklich. Auch haben nachher der P. Honoratus Fabri, Joachim Jung u. a. wenig richtigeres gelehrt. Etwas beſſer iſt, was Borelli (De vi percuſſionis. Bonon. 1666. 4.) beybringt, obgleich nur auf beſondere Faͤlle ohne allgemeinen Zuſammenhang gerichtet, und durch eine unbequeme Art, die Bewegung zu betrachten, verdunkelt. Die koͤnigliche Societaͤt der Wiſſenſchaften zu London machte im Jahre 1668 den Wunſch bekannt, daß die beſten Mechaniker unter ihren Mitgliedern die Theorie der mitgetheilten Bewegung unterſuchen, und die gefundenen Reſultate einreichen moͤchten. Auſ dieſe Veranlaſſung traten auf einmal drey der beruͤhmteſten Mathematiker, Wallis, Wrenn und Huygens, mit den wahren Geſetzen des Stoßes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/242
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/242>, abgerufen am 22.11.2024.