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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.

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oder, weil d. i. die algebraische Summe der Bewegungen bleibt vor und nach dem Stoße gleich (wenn man nemlich die Bewegung nach entgegengesetzter Richtung, als eine vermindernde, betrachtet). Sieht man aber jede Bewegung arithmetisch, als positiv an; so ändert sich alles, wie bey Num. 6. Der Satz gilt nur, wenn beyde Massen, vor und nach dem Stoße, nach einerley Gegend gehen. Gehen beyde vor und nachher nach verschiedenen Seiten, so ist der Unterschied der Bewegungen vor und nach dem Stoße gleich; gehen sie vorher nach verschiedenen, nachher nach einerley Seite, so ist der Unterschied vor dem Stoße der Summe nach demselben; und gehen sie vorher nach einerley, nachher nach verschiedenen Seiten, so ist die Summe vor dem Stoße dem Unterschiede nach demselben gleich.

Mithin ist es ein falscher Grundsatz, den Descartes (Princip. Philos. P. II. §. 36.) behauptet, daß in der Welt immer einerley Größe oder Summe von Bewegung erhalten werde. Es ließe sich zwar in einem gewissen Sinne vertheidigen, daß der Stoß elastischer Massen die Summe der Bewegung nicht ändere, wenn man nemlich die algebraische Summe verstünde, oder Bewegungen nach entgegengesetzten Richtungen, als einander vermindernd, betrachtete. Aber in diesem Sinne nimmt Descartes selbst den Satz nicht, weil er keine Bewegung der andern, sondern Bewegung überhaupt der Ruhe, entgegensetzt, s. Ruhe. Es ist auch unnatürlich, ihn so zu nehmen, wenn man von Summe der Bewegung in der Welt überhaupt redet. Wenn zwo gleiche Kugeln mit gleichen Geschwindigkeiten von einander zurückspringen, so wird doch Jedermann sagen, daß hier Bewegung vorhanden sey. Aber im algebraischen Sinne heben sich beyde Bewegungen, als gleiche entgegengesetzte auf, und es ist keine Bewegung vorhanden. Jeder, der von Summe aller Bewegung in der Körperwelt redet, wird das, was hiebey Null


oder, weil d. i. die algebraiſche Summe der Bewegungen bleibt vor und nach dem Stoße gleich (wenn man nemlich die Bewegung nach entgegengeſetzter Richtung, als eine vermindernde, betrachtet). Sieht man aber jede Bewegung arithmetiſch, als poſitiv an; ſo aͤndert ſich alles, wie bey Num. 6. Der Satz gilt nur, wenn beyde Maſſen, vor und nach dem Stoße, nach einerley Gegend gehen. Gehen beyde vor und nachher nach verſchiedenen Seiten, ſo iſt der Unterſchied der Bewegungen vor und nach dem Stoße gleich; gehen ſie vorher nach verſchiedenen, nachher nach einerley Seite, ſo iſt der Unterſchied vor dem Stoße der Summe nach demſelben; und gehen ſie vorher nach einerley, nachher nach verſchiedenen Seiten, ſo iſt die Summe vor dem Stoße dem Unterſchiede nach demſelben gleich.

Mithin iſt es ein falſcher Grundſatz, den Descartes (Princip. Philoſ. P. II. §. 36.) behauptet, daß in der Welt immer einerley Groͤße oder Summe von Bewegung erhalten werde. Es ließe ſich zwar in einem gewiſſen Sinne vertheidigen, daß der Stoß elaſtiſcher Maſſen die Summe der Bewegung nicht aͤndere, wenn man nemlich die algebraiſche Summe verſtuͤnde, oder Bewegungen nach entgegengeſetzten Richtungen, als einander vermindernd, betrachtete. Aber in dieſem Sinne nimmt Descartes ſelbſt den Satz nicht, weil er keine Bewegung der andern, ſondern Bewegung uͤberhaupt der Ruhe, entgegenſetzt, ſ. Ruhe. Es iſt auch unnatuͤrlich, ihn ſo zu nehmen, wenn man von Summe der Bewegung in der Welt uͤberhaupt redet. Wenn zwo gleiche Kugeln mit gleichen Geſchwindigkeiten von einander zuruͤckſpringen, ſo wird doch Jedermann ſagen, daß hier Bewegung vorhanden ſey. Aber im algebraiſchen Sinne heben ſich beyde Bewegungen, als gleiche entgegengeſetzte auf, und es iſt keine Bewegung vorhanden. Jeder, der von Summe aller Bewegung in der Koͤrperwelt redet, wird das, was hiebey Null

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[224/0234] oder, weil d. i. die algebraiſche Summe der Bewegungen bleibt vor und nach dem Stoße gleich (wenn man nemlich die Bewegung nach entgegengeſetzter Richtung, als eine vermindernde, betrachtet). Sieht man aber jede Bewegung arithmetiſch, als poſitiv an; ſo aͤndert ſich alles, wie bey Num. 6. Der Satz gilt nur, wenn beyde Maſſen, vor und nach dem Stoße, nach einerley Gegend gehen. Gehen beyde vor und nachher nach verſchiedenen Seiten, ſo iſt der Unterſchied der Bewegungen vor und nach dem Stoße gleich; gehen ſie vorher nach verſchiedenen, nachher nach einerley Seite, ſo iſt der Unterſchied vor dem Stoße der Summe nach demſelben; und gehen ſie vorher nach einerley, nachher nach verſchiedenen Seiten, ſo iſt die Summe vor dem Stoße dem Unterſchiede nach demſelben gleich. Mithin iſt es ein falſcher Grundſatz, den Descartes (Princip. Philoſ. P. II. §. 36.) behauptet, daß in der Welt immer einerley Groͤße oder Summe von Bewegung erhalten werde. Es ließe ſich zwar in einem gewiſſen Sinne vertheidigen, daß der Stoß elaſtiſcher Maſſen die Summe der Bewegung nicht aͤndere, wenn man nemlich die algebraiſche Summe verſtuͤnde, oder Bewegungen nach entgegengeſetzten Richtungen, als einander vermindernd, betrachtete. Aber in dieſem Sinne nimmt Descartes ſelbſt den Satz nicht, weil er keine Bewegung der andern, ſondern Bewegung uͤberhaupt der Ruhe, entgegenſetzt, ſ. Ruhe. Es iſt auch unnatuͤrlich, ihn ſo zu nehmen, wenn man von Summe der Bewegung in der Welt uͤberhaupt redet. Wenn zwo gleiche Kugeln mit gleichen Geſchwindigkeiten von einander zuruͤckſpringen, ſo wird doch Jedermann ſagen, daß hier Bewegung vorhanden ſey. Aber im algebraiſchen Sinne heben ſich beyde Bewegungen, als gleiche entgegengeſetzte auf, und es iſt keine Bewegung vorhanden. Jeder, der von Summe aller Bewegung in der Koͤrperwelt redet, wird das, was hiebey Null

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/234>, abgerufen am 28.04.2024.