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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.

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5/9 einer Tertie kürzer, als der Sterntag; also sind beyde für uns nicht zu unterscheiden.

Kästner Anfangsgründe der Astron. 3te Aufl. §. 80. 125. XI. u. f.

Stetigkeit, Continuitas, Continuite.

Eine Größe heißt stetig, wenn alle ihre Theile ohne Unterbrechung an einander liegen, d. i. wenn sich zwischen dem Ende des einen und dem Anfange des nächsten andern Theils nichts befindet, was nicht mit zur Größe selbst gehörte. Solche stetige Größen (continua) sind die Ausdehnungen, welche die Geometrie betrachtet, die körperlichen Räume, Flächen und Linien, s. Ausdehnung. Diese Eigenschaft macht die Stetigkeit bey neben einander liegenden Theilen, bey coexistirenden Dingen (simultaneis), aus.

Man kan sich aber auch bey auf einander folgenden Zuständen oder Veränderungen der Dinge (successivis) Stetigkeit gedenken, wenn die Veränderung so erfolgt, daß in der Reihe nach einander folgender Zustände keiner von dem nächsten durch bestimmte Grenzen abgesondert ist; oder wenn die Veränderung nicht sprungweise (per saltum) durch merklich unterschiedene Stufen geschieht, sondern allmählig (sensim) von jedem Zustande zum andern durch alle mögliche dazwischenfaliende Zustände übergeht, welche sich als unendlich viele, aber unendlich wenig unterschiedene, Stufen betrachten lassen.

Daß nun alle Veränderungen in der Natur wirklich so allmählig erfolgen, hat man von alten Zeiten her angenommen, und durch den Grundsatz: Natura non facit saltum, ausgedrückt. In neuern Zeiten ist dieser Satz das Gesetz der Stetigkeit (lex continui s. continuitatis) genannt, und von den Meisten als ein in aller Strenge ausgemachtes Naturgesetz betrachtet worden.

Man hat dem zufolge allgemein behauptet, daß keine Veränderung von bestimmter Größe in der Natur plötzlich geschehen könne, sondern allemal durch unendlich kleine Stufen gehen müsse. Man hat sich verstattet, alles zu verwerfen, was mit diesem Gesetze im Widerspruche steht.


5/9 einer Tertie kuͤrzer, als der Sterntag; alſo ſind beyde fuͤr uns nicht zu unterſcheiden.

Kaͤſtner Anfangsgruͤnde der Aſtron. 3te Aufl. §. 80. 125. XI. u. f.

Stetigkeit, Continuitas, Continuité.

Eine Groͤße heißt ſtetig, wenn alle ihre Theile ohne Unterbrechung an einander liegen, d. i. wenn ſich zwiſchen dem Ende des einen und dem Anfange des naͤchſten andern Theils nichts befindet, was nicht mit zur Groͤße ſelbſt gehoͤrte. Solche ſtetige Groͤßen (continua) ſind die Ausdehnungen, welche die Geometrie betrachtet, die koͤrperlichen Raͤume, Flaͤchen und Linien, ſ. Ausdehnung. Dieſe Eigenſchaft macht die Stetigkeit bey neben einander liegenden Theilen, bey coexiſtirenden Dingen (ſimultaneis), aus.

Man kan ſich aber auch bey auf einander folgenden Zuſtaͤnden oder Veraͤnderungen der Dinge (ſuccesſivis) Stetigkeit gedenken, wenn die Veraͤnderung ſo erfolgt, daß in der Reihe nach einander folgender Zuſtaͤnde keiner von dem naͤchſten durch beſtimmte Grenzen abgeſondert iſt; oder wenn die Veraͤnderung nicht ſprungweiſe (per ſaltum) durch merklich unterſchiedene Stufen geſchieht, ſondern allmaͤhlig (ſenſim) von jedem Zuſtande zum andern durch alle moͤgliche dazwiſchenfaliende Zuſtaͤnde uͤbergeht, welche ſich als unendlich viele, aber unendlich wenig unterſchiedene, Stufen betrachten laſſen.

Daß nun alle Veraͤnderungen in der Natur wirklich ſo allmaͤhlig erfolgen, hat man von alten Zeiten her angenommen, und durch den Grundſatz: Natura non facit ſaltum, ausgedruͤckt. In neuern Zeiten iſt dieſer Satz das Geſetz der Stetigkeit (lex continui ſ. continuitatis) genannt, und von den Meiſten als ein in aller Strenge ausgemachtes Naturgeſetz betrachtet worden.

Man hat dem zufolge allgemein behauptet, daß keine Veraͤnderung von beſtimmter Groͤße in der Natur ploͤtzlich geſchehen koͤnne, ſondern allemal durch unendlich kleine Stufen gehen muͤſſe. Man hat ſich verſtattet, alles zu verwerfen, was mit dieſem Geſetze im Widerſpruche ſteht.

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[209/0219] 5/9 einer Tertie kuͤrzer, als der Sterntag; alſo ſind beyde fuͤr uns nicht zu unterſcheiden. Kaͤſtner Anfangsgruͤnde der Aſtron. 3te Aufl. §. 80. 125. XI. u. f. Stetigkeit, Continuitas, Continuité. Eine Groͤße heißt ſtetig, wenn alle ihre Theile ohne Unterbrechung an einander liegen, d. i. wenn ſich zwiſchen dem Ende des einen und dem Anfange des naͤchſten andern Theils nichts befindet, was nicht mit zur Groͤße ſelbſt gehoͤrte. Solche ſtetige Groͤßen (continua) ſind die Ausdehnungen, welche die Geometrie betrachtet, die koͤrperlichen Raͤume, Flaͤchen und Linien, ſ. Ausdehnung. Dieſe Eigenſchaft macht die Stetigkeit bey neben einander liegenden Theilen, bey coexiſtirenden Dingen (ſimultaneis), aus. Man kan ſich aber auch bey auf einander folgenden Zuſtaͤnden oder Veraͤnderungen der Dinge (ſuccesſivis) Stetigkeit gedenken, wenn die Veraͤnderung ſo erfolgt, daß in der Reihe nach einander folgender Zuſtaͤnde keiner von dem naͤchſten durch beſtimmte Grenzen abgeſondert iſt; oder wenn die Veraͤnderung nicht ſprungweiſe (per ſaltum) durch merklich unterſchiedene Stufen geſchieht, ſondern allmaͤhlig (ſenſim) von jedem Zuſtande zum andern durch alle moͤgliche dazwiſchenfaliende Zuſtaͤnde uͤbergeht, welche ſich als unendlich viele, aber unendlich wenig unterſchiedene, Stufen betrachten laſſen. Daß nun alle Veraͤnderungen in der Natur wirklich ſo allmaͤhlig erfolgen, hat man von alten Zeiten her angenommen, und durch den Grundſatz: Natura non facit ſaltum, ausgedruͤckt. In neuern Zeiten iſt dieſer Satz das Geſetz der Stetigkeit (lex continui ſ. continuitatis) genannt, und von den Meiſten als ein in aller Strenge ausgemachtes Naturgeſetz betrachtet worden. Man hat dem zufolge allgemein behauptet, daß keine Veraͤnderung von beſtimmter Groͤße in der Natur ploͤtzlich geſchehen koͤnne, ſondern allemal durch unendlich kleine Stufen gehen muͤſſe. Man hat ſich verſtattet, alles zu verwerfen, was mit dieſem Geſetze im Widerſpruche ſteht.

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/219>, abgerufen am 28.04.2024.