Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


Richtung, Directio, Direction.

Richtung überhaupt heißt die gerade Linie nach der Gegend, nach welcher ein Punkt fortgeht. So lang der Punkt als ruhend, oder in eine einzigen bestimmten Stelle seines Weges betrachtet wird, ist er von allen Seiten her mit einer unzählbaren Menge anderer Punkte umringt, nach deren jedem er sich hin bewegen könnte. Die geraden Linien nach diesen Punkten umgeben die betrachtete Stelle; wie die Halbmesser einer Kugel derselben Mittelpunkt umgeben. Im ersten oder nächsten Augenblicke der Bewegung aber kan der Punkt doch nur einer einzigen unter allen diesen geraden Linien folgen, welche alsdann seine Kichtung an dieser Stelle genannt wird.

Fährt der Punkt eine Zeit lang fort, sich immer in dieser Linie zu bewegen, so wird sein Weg mit der Richtung selbst einerley, und die Bewegung ist diese Zeit über geradlinicht. Aendert hingegen der bewegte Punkt die Richtung so, daß er in jeder Stelle seines Weges einer andern geraden Linie folgt, mithin alle Augenblicke die vorige Linie wieder verläßt, so ist die Bewegung krummlinicht. Im letztern Falle ist die Richtung an jeder Stelle diejenige gerade Linie, welche den krummlinichten Weg des Punkts daselbst berührt oder die Tangente des Weges, welche nach der Geometrie ein gemeinschaftliches Element mit dem Wege selbst hat, und nach welcher der Punkt sich zu bewegen fortfahren würde, wenn er hier mit einemmale aufhörte, seine Richtung weiter zu ändern.

Bey den Bewegungen ganzer Körper kan man zwar mehrere Punkte betrachten; wenn sich aber dieselben auf verschiedene Art bewegen, muß doch eines jeden Bewegung insbesondere untersucht werden. Daher kömmt die ganze Lehre von der Bewegung auf Betrachtung bewegter Punkte an, und der angeführte Begrif von Richtung ist für die ganze Mechanik hinreichend.

Jede Kraft sucht Bewegung nach einer bestimmten Richtung hervorzubringen; wenn also nur eine Kraft allein wirkt, so kan nichts anders erfolgen, als geradlinichte Bewegung nach dieser Richtung. Eben so unterhält die Trägheit,


Richtung, Directio, Direction.

Richtung uͤberhaupt heißt die gerade Linie nach der Gegend, nach welcher ein Punkt fortgeht. So lang der Punkt als ruhend, oder in eine einzigen beſtimmten Stelle ſeines Weges betrachtet wird, iſt er von allen Seiten her mit einer unzaͤhlbaren Menge anderer Punkte umringt, nach deren jedem er ſich hin bewegen koͤnnte. Die geraden Linien nach dieſen Punkten umgeben die betrachtete Stelle; wie die Halbmeſſer einer Kugel derſelben Mittelpunkt umgeben. Im erſten oder naͤchſten Augenblicke der Bewegung aber kan der Punkt doch nur einer einzigen unter allen dieſen geraden Linien folgen, welche alsdann ſeine Kichtung an dieſer Stelle genannt wird.

Faͤhrt der Punkt eine Zeit lang fort, ſich immer in dieſer Linie zu bewegen, ſo wird ſein Weg mit der Richtung ſelbſt einerley, und die Bewegung iſt dieſe Zeit uͤber geradlinicht. Aendert hingegen der bewegte Punkt die Richtung ſo, daß er in jeder Stelle ſeines Weges einer andern geraden Linie folgt, mithin alle Augenblicke die vorige Linie wieder verlaͤßt, ſo iſt die Bewegung krummlinicht. Im letztern Falle iſt die Richtung an jeder Stelle diejenige gerade Linie, welche den krummlinichten Weg des Punkts daſelbſt beruͤhrt oder die Tangente des Weges, welche nach der Geometrie ein gemeinſchaftliches Element mit dem Wege ſelbſt hat, und nach welcher der Punkt ſich zu bewegen fortfahren wuͤrde, wenn er hier mit einemmale aufhoͤrte, ſeine Richtung weiter zu aͤndern.

Bey den Bewegungen ganzer Koͤrper kan man zwar mehrere Punkte betrachten; wenn ſich aber dieſelben auf verſchiedene Art bewegen, muß doch eines jeden Bewegung insbeſondere unterſucht werden. Daher koͤmmt die ganze Lehre von der Bewegung auf Betrachtung bewegter Punkte an, und der angefuͤhrte Begrif von Richtung iſt fuͤr die ganze Mechanik hinreichend.

Jede Kraft ſucht Bewegung nach einer beſtimmten Richtung hervorzubringen; wenn alſo nur eine Kraft allein wirkt, ſo kan nichts anders erfolgen, als geradlinichte Bewegung nach dieſer Richtung. Eben ſo unterhaͤlt die Traͤgheit,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p>
              <pb facs="#f0721" xml:id="P.3.715" n="715"/><lb/>
            </p>
          </div>
          <div n="3">
            <head>Richtung, <name type="subjectIndexTerm"><foreign xml:lang="lat"><hi rendition="#aq">Directio</hi></foreign></name>, <name type="subjectIndexTerm"><foreign xml:lang="fra"><hi rendition="#aq #i">Direction</hi></foreign></name>.</head><lb/>
            <p>Richtung u&#x0364;berhaupt heißt die gerade Linie nach der Gegend, nach welcher ein Punkt fortgeht. So lang der Punkt als ruhend, oder in eine einzigen be&#x017F;timmten Stelle &#x017F;eines Weges betrachtet wird, i&#x017F;t er von allen Seiten her mit einer unza&#x0364;hlbaren Menge anderer Punkte umringt, nach deren jedem er &#x017F;ich hin bewegen ko&#x0364;nnte. Die geraden Linien nach die&#x017F;en Punkten umgeben die betrachtete Stelle; wie die Halbme&#x017F;&#x017F;er einer Kugel der&#x017F;elben Mittelpunkt umgeben. Im er&#x017F;ten oder na&#x0364;ch&#x017F;ten Augenblicke der Bewegung aber kan der Punkt doch nur einer einzigen unter allen die&#x017F;en geraden Linien folgen, welche alsdann &#x017F;eine <hi rendition="#b">Kichtung</hi> an die&#x017F;er Stelle genannt wird.</p>
            <p>Fa&#x0364;hrt der Punkt eine Zeit lang fort, &#x017F;ich immer in die&#x017F;er Linie zu bewegen, &#x017F;o wird &#x017F;ein Weg mit der Richtung &#x017F;elb&#x017F;t einerley, und die Bewegung i&#x017F;t die&#x017F;e Zeit u&#x0364;ber <hi rendition="#b">geradlinicht.</hi> Aendert hingegen der bewegte Punkt die Richtung &#x017F;o, daß er in jeder Stelle &#x017F;eines Weges einer andern geraden Linie folgt, mithin alle Augenblicke die vorige Linie wieder verla&#x0364;ßt, &#x017F;o i&#x017F;t die Bewegung <hi rendition="#b">krummlinicht.</hi> Im letztern Falle i&#x017F;t die Richtung an jeder Stelle diejenige gerade Linie, welche den krummlinichten Weg des Punkts da&#x017F;elb&#x017F;t beru&#x0364;hrt oder die Tangente des Weges, welche nach der Geometrie ein gemein&#x017F;chaftliches Element mit dem Wege &#x017F;elb&#x017F;t hat, und nach welcher der Punkt &#x017F;ich zu bewegen fortfahren wu&#x0364;rde, wenn er hier mit einemmale aufho&#x0364;rte, &#x017F;eine Richtung weiter zu a&#x0364;ndern.</p>
            <p>Bey den Bewegungen ganzer Ko&#x0364;rper kan man zwar mehrere Punkte betrachten; wenn &#x017F;ich aber die&#x017F;elben auf ver&#x017F;chiedene Art bewegen, muß doch eines jeden Bewegung insbe&#x017F;ondere unter&#x017F;ucht werden. Daher ko&#x0364;mmt die ganze Lehre von der Bewegung auf Betrachtung bewegter Punkte an, und der angefu&#x0364;hrte Begrif von Richtung i&#x017F;t fu&#x0364;r die ganze Mechanik hinreichend.</p>
            <p>Jede Kraft &#x017F;ucht Bewegung nach einer be&#x017F;timmten Richtung hervorzubringen; wenn al&#x017F;o nur eine Kraft allein wirkt, &#x017F;o kan nichts anders erfolgen, als geradlinichte Bewegung nach die&#x017F;er Richtung. Eben &#x017F;o unterha&#x0364;lt die Tra&#x0364;gheit,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[715/0721] Richtung, Directio, Direction. Richtung uͤberhaupt heißt die gerade Linie nach der Gegend, nach welcher ein Punkt fortgeht. So lang der Punkt als ruhend, oder in eine einzigen beſtimmten Stelle ſeines Weges betrachtet wird, iſt er von allen Seiten her mit einer unzaͤhlbaren Menge anderer Punkte umringt, nach deren jedem er ſich hin bewegen koͤnnte. Die geraden Linien nach dieſen Punkten umgeben die betrachtete Stelle; wie die Halbmeſſer einer Kugel derſelben Mittelpunkt umgeben. Im erſten oder naͤchſten Augenblicke der Bewegung aber kan der Punkt doch nur einer einzigen unter allen dieſen geraden Linien folgen, welche alsdann ſeine Kichtung an dieſer Stelle genannt wird. Faͤhrt der Punkt eine Zeit lang fort, ſich immer in dieſer Linie zu bewegen, ſo wird ſein Weg mit der Richtung ſelbſt einerley, und die Bewegung iſt dieſe Zeit uͤber geradlinicht. Aendert hingegen der bewegte Punkt die Richtung ſo, daß er in jeder Stelle ſeines Weges einer andern geraden Linie folgt, mithin alle Augenblicke die vorige Linie wieder verlaͤßt, ſo iſt die Bewegung krummlinicht. Im letztern Falle iſt die Richtung an jeder Stelle diejenige gerade Linie, welche den krummlinichten Weg des Punkts daſelbſt beruͤhrt oder die Tangente des Weges, welche nach der Geometrie ein gemeinſchaftliches Element mit dem Wege ſelbſt hat, und nach welcher der Punkt ſich zu bewegen fortfahren wuͤrde, wenn er hier mit einemmale aufhoͤrte, ſeine Richtung weiter zu aͤndern. Bey den Bewegungen ganzer Koͤrper kan man zwar mehrere Punkte betrachten; wenn ſich aber dieſelben auf verſchiedene Art bewegen, muß doch eines jeden Bewegung insbeſondere unterſucht werden. Daher koͤmmt die ganze Lehre von der Bewegung auf Betrachtung bewegter Punkte an, und der angefuͤhrte Begrif von Richtung iſt fuͤr die ganze Mechanik hinreichend. Jede Kraft ſucht Bewegung nach einer beſtimmten Richtung hervorzubringen; wenn alſo nur eine Kraft allein wirkt, ſo kan nichts anders erfolgen, als geradlinichte Bewegung nach dieſer Richtung. Eben ſo unterhaͤlt die Traͤgheit,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/721
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798, S. 715. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/721>, abgerufen am 20.05.2024.