Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


obgleich dieser Gegenstand mehr zur Physiologie und Naturgeschichte, als zur Physik im eingeschränktern Sinne, gehört. Man theilt die Bewegungen des thierischen Körpers in willkührliche, avtomatische und gemischte. Von den avtomatischen giebt die Bewegung des Herzens, von den gemischten das Athemholen ein Beyspiel.

Alle diese Bewegungen erfolgen durch Zusammenziehung gewisser Muskeln. Die Fibern derselben gerathen dabey in eine zitternde Bewegung, verkürzen sich, und vermindern dadurch die Länge des ganzen Muskels so, daß seine Enden näher zusammen kommen. Eine nothwendige Folge hievon ist, daß der Muskel zugleich der Breite nach aufschwellen muß. Daß er aber hiebey seine Röthe verliere, wie nach Swammerdam und Boerhave sonst fast alle Physiologen lehrten, erklärt Haller für ungegründet; wie er denn auch nicht zugiebt daß sich das Volumen des Muskels merklich ändere, obgleich Einige eine Verminderung des Volumens beym Zusammenziehen bemerkt haben wollen. Die flechsenartigen Enden ändern sich hiebey nicht, sie folgen blos leidend und ohne alle Mitwirkung dem Zuge des fleischigen Theils, und führen die Knochen, mit welchen sie verbunden sind, nach sich.

Diese Zusammenziehung läst nach, sobald ihre Ursache aufhört. Alsdann nimmt der Muskel durch Verlängerung (relaxatio) der Fibern, den vorigen Zustand wieder an. Diese Abwechselungen erfolgen mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Wenn ein englischer Wettrenner in einer Secunde 84 Schuh zurücklegt, welches 14 Schritte oder Sprünge (jeden zu 6 Schuh) beträgt, und aufjeden Schritt für das Aufheben, Fortführen, Niedersetzen und Anstemmen des Fußes 4 bis 5 Contractionen gerechnet werden, so kommen auf eine Secunde Zeit 56 bis 70 abwechselnde Zusammenziehungen und Relarationen der Muskeln. Wenn ein Mensch, nach Hallers Versuche, in einer Minute eine Stelle der Aeneide herliest, in der 1500 Buchstaben vorkommen, so erfordert dies wenigstens 1500 Zusammenziehungen und 1500 Relarationen in dieser kurzen Zeit. Es giebt aber Buchstaben, wie z. B. das r, welche allein 10


obgleich dieſer Gegenſtand mehr zur Phyſiologie und Naturgeſchichte, als zur Phyſik im eingeſchraͤnktern Sinne, gehoͤrt. Man theilt die Bewegungen des thieriſchen Koͤrpers in willkuͤhrliche, avtomatiſche und gemiſchte. Von den avtomatiſchen giebt die Bewegung des Herzens, von den gemiſchten das Athemholen ein Beyſpiel.

Alle dieſe Bewegungen erfolgen durch Zuſammenziehung gewiſſer Muſkeln. Die Fibern derſelben gerathen dabey in eine zitternde Bewegung, verkuͤrzen ſich, und vermindern dadurch die Laͤnge des ganzen Muſkels ſo, daß ſeine Enden naͤher zuſammen kommen. Eine nothwendige Folge hievon iſt, daß der Muſkel zugleich der Breite nach aufſchwellen muß. Daß er aber hiebey ſeine Roͤthe verliere, wie nach Swammerdam und Boerhave ſonſt faſt alle Phyſiologen lehrten, erklaͤrt Haller fuͤr ungegruͤndet; wie er denn auch nicht zugiebt daß ſich das Volumen des Muſkels merklich aͤndere, obgleich Einige eine Verminderung des Volumens beym Zuſammenziehen bemerkt haben wollen. Die flechſenartigen Enden aͤndern ſich hiebey nicht, ſie folgen blos leidend und ohne alle Mitwirkung dem Zuge des fleiſchigen Theils, und fuͤhren die Knochen, mit welchen ſie verbunden ſind, nach ſich.

Dieſe Zuſammenziehung laͤſt nach, ſobald ihre Urſache aufhoͤrt. Alsdann nimmt der Muſkel durch Verlaͤngerung (relaxatio) der Fibern, den vorigen Zuſtand wieder an. Dieſe Abwechſelungen erfolgen mit erſtaunlicher Geſchwindigkeit. Wenn ein engliſcher Wettrenner in einer Secunde 84 Schuh zuruͤcklegt, welches 14 Schritte oder Spruͤnge (jeden zu 6 Schuh) betraͤgt, und aufjeden Schritt fuͤr das Aufheben, Fortfuͤhren, Niederſetzen und Anſtemmen des Fußes 4 bis 5 Contractionen gerechnet werden, ſo kommen auf eine Secunde Zeit 56 bis 70 abwechſelnde Zuſammenziehungen und Relarationen der Muſkeln. Wenn ein Menſch, nach Hallers Verſuche, in einer Minute eine Stelle der Aeneide herlieſt, in der 1500 Buchſtaben vorkommen, ſo erfordert dies wenigſtens 1500 Zuſammenziehungen und 1500 Relarationen in dieſer kurzen Zeit. Es giebt aber Buchſtaben, wie z. B. das r, welche allein 10

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0302" xml:id="P.3.296" n="296"/><lb/>
obgleich die&#x017F;er Gegen&#x017F;tand mehr zur Phy&#x017F;iologie und Naturge&#x017F;chichte, als zur Phy&#x017F;ik im einge&#x017F;chra&#x0364;nktern Sinne, geho&#x0364;rt. Man theilt die Bewegungen des thieri&#x017F;chen Ko&#x0364;rpers in <hi rendition="#b">willku&#x0364;hrliche, avtomati&#x017F;che</hi> und <hi rendition="#b">gemi&#x017F;chte.</hi> Von den avtomati&#x017F;chen giebt die Bewegung des Herzens, von den gemi&#x017F;chten das Athemholen ein Bey&#x017F;piel.</p>
            <p>Alle die&#x017F;e Bewegungen erfolgen durch Zu&#x017F;ammenziehung gewi&#x017F;&#x017F;er Mu&#x017F;keln. Die Fibern der&#x017F;elben gerathen dabey in eine zitternde Bewegung, verku&#x0364;rzen &#x017F;ich, und vermindern dadurch die La&#x0364;nge des ganzen Mu&#x017F;kels &#x017F;o, daß &#x017F;eine Enden na&#x0364;her zu&#x017F;ammen kommen. Eine nothwendige Folge hievon i&#x017F;t, daß der Mu&#x017F;kel zugleich der Breite nach auf&#x017F;chwellen muß. Daß er aber hiebey &#x017F;eine Ro&#x0364;the verliere, wie nach <hi rendition="#b">Swammerdam</hi> und <hi rendition="#b">Boerhave</hi> &#x017F;on&#x017F;t fa&#x017F;t alle Phy&#x017F;iologen lehrten, erkla&#x0364;rt <hi rendition="#b">Haller</hi> fu&#x0364;r ungegru&#x0364;ndet; wie er denn auch nicht zugiebt daß &#x017F;ich das Volumen des Mu&#x017F;kels merklich a&#x0364;ndere, obgleich Einige eine Verminderung des Volumens beym Zu&#x017F;ammenziehen bemerkt haben wollen. Die flech&#x017F;enartigen Enden a&#x0364;ndern &#x017F;ich hiebey nicht, &#x017F;ie folgen blos leidend und ohne alle Mitwirkung dem Zuge des flei&#x017F;chigen Theils, und fu&#x0364;hren die Knochen, mit welchen &#x017F;ie verbunden &#x017F;ind, nach &#x017F;ich.</p>
            <p>Die&#x017F;e Zu&#x017F;ammenziehung la&#x0364;&#x017F;t nach, &#x017F;obald ihre Ur&#x017F;ache aufho&#x0364;rt. Alsdann nimmt der Mu&#x017F;kel durch Verla&#x0364;ngerung <hi rendition="#aq">(relaxatio)</hi> der Fibern, den vorigen Zu&#x017F;tand wieder an. Die&#x017F;e Abwech&#x017F;elungen erfolgen mit er&#x017F;taunlicher Ge&#x017F;chwindigkeit. Wenn ein engli&#x017F;cher Wettrenner in einer Secunde 84 Schuh zuru&#x0364;cklegt, welches 14 Schritte oder Spru&#x0364;nge (jeden zu 6 Schuh) betra&#x0364;gt, und aufjeden Schritt fu&#x0364;r das Aufheben, Fortfu&#x0364;hren, Nieder&#x017F;etzen und An&#x017F;temmen des Fußes 4 bis 5 Contractionen gerechnet werden, &#x017F;o kommen auf eine Secunde Zeit 56 bis 70 abwech&#x017F;elnde Zu&#x017F;ammenziehungen und Relarationen der Mu&#x017F;keln. Wenn ein Men&#x017F;ch, nach <hi rendition="#b">Hallers</hi> Ver&#x017F;uche, in einer Minute eine Stelle der Aeneide herlie&#x017F;t, in der 1500 Buch&#x017F;taben vorkommen, &#x017F;o erfordert dies wenig&#x017F;tens 1500 Zu&#x017F;ammenziehungen und 1500 Relarationen in die&#x017F;er kurzen Zeit. Es giebt aber Buch&#x017F;taben, wie z. B. das r, welche allein 10<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[296/0302] obgleich dieſer Gegenſtand mehr zur Phyſiologie und Naturgeſchichte, als zur Phyſik im eingeſchraͤnktern Sinne, gehoͤrt. Man theilt die Bewegungen des thieriſchen Koͤrpers in willkuͤhrliche, avtomatiſche und gemiſchte. Von den avtomatiſchen giebt die Bewegung des Herzens, von den gemiſchten das Athemholen ein Beyſpiel. Alle dieſe Bewegungen erfolgen durch Zuſammenziehung gewiſſer Muſkeln. Die Fibern derſelben gerathen dabey in eine zitternde Bewegung, verkuͤrzen ſich, und vermindern dadurch die Laͤnge des ganzen Muſkels ſo, daß ſeine Enden naͤher zuſammen kommen. Eine nothwendige Folge hievon iſt, daß der Muſkel zugleich der Breite nach aufſchwellen muß. Daß er aber hiebey ſeine Roͤthe verliere, wie nach Swammerdam und Boerhave ſonſt faſt alle Phyſiologen lehrten, erklaͤrt Haller fuͤr ungegruͤndet; wie er denn auch nicht zugiebt daß ſich das Volumen des Muſkels merklich aͤndere, obgleich Einige eine Verminderung des Volumens beym Zuſammenziehen bemerkt haben wollen. Die flechſenartigen Enden aͤndern ſich hiebey nicht, ſie folgen blos leidend und ohne alle Mitwirkung dem Zuge des fleiſchigen Theils, und fuͤhren die Knochen, mit welchen ſie verbunden ſind, nach ſich. Dieſe Zuſammenziehung laͤſt nach, ſobald ihre Urſache aufhoͤrt. Alsdann nimmt der Muſkel durch Verlaͤngerung (relaxatio) der Fibern, den vorigen Zuſtand wieder an. Dieſe Abwechſelungen erfolgen mit erſtaunlicher Geſchwindigkeit. Wenn ein engliſcher Wettrenner in einer Secunde 84 Schuh zuruͤcklegt, welches 14 Schritte oder Spruͤnge (jeden zu 6 Schuh) betraͤgt, und aufjeden Schritt fuͤr das Aufheben, Fortfuͤhren, Niederſetzen und Anſtemmen des Fußes 4 bis 5 Contractionen gerechnet werden, ſo kommen auf eine Secunde Zeit 56 bis 70 abwechſelnde Zuſammenziehungen und Relarationen der Muſkeln. Wenn ein Menſch, nach Hallers Verſuche, in einer Minute eine Stelle der Aeneide herlieſt, in der 1500 Buchſtaben vorkommen, ſo erfordert dies wenigſtens 1500 Zuſammenziehungen und 1500 Relarationen in dieſer kurzen Zeit. Es giebt aber Buchſtaben, wie z. B. das r, welche allein 10

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/302
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/302>, abgerufen am 22.11.2024.