Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


B, welche durch 1 Elle fiel. Folglich geben die Geschwindigkeiten (2 und 1) in die Massen (1 und 4) multiplicirt, Producte (2 und 4), welche ungleich sind. Hingegen die Höhen des Falls oder die Räume, bis auf welche A und B wieder steigen könnten (4 und 1), geben in die Massen (1 und 4) multiplicirt, gleiche Producte (4 und 4). Da nun hier die Kräfte gleich seyn müssen, so erhellet, daß man, um sie zu messen, die Massen nicht in die Geschwindigkeiten, sondern in die Höhen des Falls, oder in die Quadratzahlen der Geschwindigkeiten, multipliciren müsse.

Wenn man auch überhaupt den hier angenommenen Begriff von Kraft zuläßt, und die Absicht, solche im bewegten Körper selbst liegende Kräfte zu messen, billiget, so wird doch dieser Beweis des Herrn von Leibnitz schon darum zweifelhast, weil dabey keine Rücksicht auf die Zeit genommen ist. Die Masse 4 durch den Raum 1, und die Masse 1 durch den Raum 4 in gleicher Zeit heben, erfordert allerdings einerley Kraft: aber in dem angeführten Beyspiele würden die beyden Massen nicht in gleicher, sondern A in doppelter, B in einfacher Zeit auf die gedachten Höhen steigen; man ist also gar nicht so schlechthin berechtiget, die Kräfte beyder Massen für gleich anzunehmen. Vielmehr läßt sich der ganze Beweis, wenn man die Zeit mit in Betrachtung ziehet, sehr leicht so wenden, daß er das cartesianische Maaß der Kräfte bestätiget.

Herr von Leibnitz erläuterte seine Meynung durch eine andere Schrift (Specimen dynamicum pro admirandis naturae legibus circa corporum vires etc. in Act. Erud. Lips. a. 1695. mens. Apr. p. 145 sq.), in welcher er die Kräfte in todte und lebendige eintheilt. Todte Kraft nennt er diejenige, welche keine Bewegung, sondern nur Bestreben nach Bewegung hervorbringe (in qua nondum existit motus, sed tantum sollicitatio ad motum); ledendige Kraft die mit wirklicher Bewegung verbundene. Die Alten, sagt er, hätten bloß die todte Kraft betrachtet; ihre sogenannte Mechanik sey daher nur Statik gewesen. Nun sey das Product MC in der That das Maaß der todten Kräfte, aus der besondern Ursache, weil sich beym ersten Anfange


B, welche durch 1 Elle fiel. Folglich geben die Geſchwindigkeiten (2 und 1) in die Maſſen (1 und 4) multiplicirt, Producte (2 und 4), welche ungleich ſind. Hingegen die Hoͤhen des Falls oder die Raͤume, bis auf welche A und B wieder ſteigen koͤnnten (4 und 1), geben in die Maſſen (1 und 4) multiplicirt, gleiche Producte (4 und 4). Da nun hier die Kraͤfte gleich ſeyn muͤſſen, ſo erhellet, daß man, um ſie zu meſſen, die Maſſen nicht in die Geſchwindigkeiten, ſondern in die Hoͤhen des Falls, oder in die Quadratzahlen der Geſchwindigkeiten, multipliciren muͤſſe.

Wenn man auch uͤberhaupt den hier angenommenen Begriff von Kraft zulaͤßt, und die Abſicht, ſolche im bewegten Koͤrper ſelbſt liegende Kraͤfte zu meſſen, billiget, ſo wird doch dieſer Beweis des Herrn von Leibnitz ſchon darum zweifelhaſt, weil dabey keine Ruͤckſicht auf die Zeit genommen iſt. Die Maſſe 4 durch den Raum 1, und die Maſſe 1 durch den Raum 4 in gleicher Zeit heben, erfordert allerdings einerley Kraft: aber in dem angefuͤhrten Beyſpiele wuͤrden die beyden Maſſen nicht in gleicher, ſondern A in doppelter, B in einfacher Zeit auf die gedachten Hoͤhen ſteigen; man iſt alſo gar nicht ſo ſchlechthin berechtiget, die Kraͤfte beyder Maſſen fuͤr gleich anzunehmen. Vielmehr laͤßt ſich der ganze Beweis, wenn man die Zeit mit in Betrachtung ziehet, ſehr leicht ſo wenden, daß er das carteſianiſche Maaß der Kraͤfte beſtaͤtiget.

Herr von Leibnitz erlaͤuterte ſeine Meynung durch eine andere Schrift (Specimen dynamicum pro admirandis naturae legibus circa corporum vires etc. in Act. Erud. Lipſ. a. 1695. menſ. Apr. p. 145 ſq.), in welcher er die Kraͤfte in todte und lebendige eintheilt. Todte Kraft nennt er diejenige, welche keine Bewegung, ſondern nur Beſtreben nach Bewegung hervorbringe (in qua nondum exiſtit motus, ſed tantum ſollicitatio ad motum); ledendige Kraft die mit wirklicher Bewegung verbundene. Die Alten, ſagt er, haͤtten bloß die todte Kraft betrachtet; ihre ſogenannte Mechanik ſey daher nur Statik geweſen. Nun ſey das Product MC in der That das Maaß der todten Kraͤfte, aus der beſondern Urſache, weil ſich beym erſten Anfange

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="2">
            <p><pb facs="#f0810" xml:id="P.2.804" n="804"/><lb/><hi rendition="#aq">B,</hi> welche durch 1 Elle fiel. Folglich geben die Ge&#x017F;chwindigkeiten (2 und 1) in die Ma&#x017F;&#x017F;en (1 und 4) multiplicirt, Producte (2 und 4), welche <hi rendition="#b">ungleich</hi> &#x017F;ind. Hingegen die Ho&#x0364;hen des Falls oder die Ra&#x0364;ume, bis auf welche <hi rendition="#aq">A</hi> und <hi rendition="#aq">B</hi> wieder &#x017F;teigen ko&#x0364;nnten (4 und 1), geben in die Ma&#x017F;&#x017F;en (1 und 4) multiplicirt, <hi rendition="#b">gleiche</hi> Producte (4 und 4). Da nun hier die Kra&#x0364;fte gleich &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o erhellet, daß man, um &#x017F;ie zu me&#x017F;&#x017F;en, die Ma&#x017F;&#x017F;en nicht in die Ge&#x017F;chwindigkeiten, &#x017F;ondern in die Ho&#x0364;hen des Falls, oder in die Quadratzahlen der Ge&#x017F;chwindigkeiten, multipliciren mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</p>
            <p>Wenn man auch u&#x0364;berhaupt den hier angenommenen Begriff von Kraft zula&#x0364;ßt, und die Ab&#x017F;icht, &#x017F;olche im bewegten Ko&#x0364;rper &#x017F;elb&#x017F;t liegende Kra&#x0364;fte zu me&#x017F;&#x017F;en, billiget, &#x017F;o wird doch die&#x017F;er Beweis des Herrn <hi rendition="#b">von Leibnitz</hi> &#x017F;chon darum zweifelha&#x017F;t, weil dabey keine Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf die Zeit genommen i&#x017F;t. Die Ma&#x017F;&#x017F;e 4 durch den Raum 1, und die Ma&#x017F;&#x017F;e 1 durch den Raum 4 <hi rendition="#b">in gleicher Zeit</hi> heben, erfordert allerdings einerley Kraft: aber in dem angefu&#x0364;hrten Bey&#x017F;piele wu&#x0364;rden die beyden Ma&#x017F;&#x017F;en nicht in gleicher, &#x017F;ondern <hi rendition="#aq">A</hi> in doppelter, <hi rendition="#aq">B</hi> in einfacher Zeit auf die gedachten Ho&#x0364;hen &#x017F;teigen; man i&#x017F;t al&#x017F;o gar nicht &#x017F;o &#x017F;chlechthin berechtiget, die Kra&#x0364;fte beyder Ma&#x017F;&#x017F;en fu&#x0364;r gleich anzunehmen. Vielmehr la&#x0364;ßt &#x017F;ich der ganze Beweis, wenn man die Zeit mit in Betrachtung ziehet, &#x017F;ehr leicht &#x017F;o wenden, daß er das carte&#x017F;iani&#x017F;che Maaß der Kra&#x0364;fte be&#x017F;ta&#x0364;tiget.</p>
            <p>Herr <hi rendition="#b">von Leibnitz</hi> erla&#x0364;uterte &#x017F;eine Meynung durch eine andere Schrift <hi rendition="#aq">(Specimen dynamicum pro admirandis naturae legibus circa corporum vires etc. in Act. Erud. Lip&#x017F;. a. 1695. men&#x017F;. Apr. p. 145 &#x017F;q.),</hi> in welcher er die Kra&#x0364;fte in <hi rendition="#b">todte</hi> und <hi rendition="#b">lebendige</hi> eintheilt. Todte Kraft nennt er diejenige, welche keine Bewegung, &#x017F;ondern nur Be&#x017F;treben nach Bewegung hervorbringe <hi rendition="#aq">(in qua nondum exi&#x017F;tit motus, &#x017F;ed tantum &#x017F;ollicitatio ad motum);</hi> ledendige Kraft die mit wirklicher Bewegung verbundene. Die Alten, &#x017F;agt er, ha&#x0364;tten bloß die todte Kraft betrachtet; ihre &#x017F;ogenannte Mechanik &#x017F;ey daher nur Statik gewe&#x017F;en. Nun &#x017F;ey das Product <hi rendition="#aq">MC</hi> in der That das Maaß der <hi rendition="#b">todten</hi> Kra&#x0364;fte, aus der be&#x017F;ondern Ur&#x017F;ache, weil &#x017F;ich beym er&#x017F;ten Anfange<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[804/0810] B, welche durch 1 Elle fiel. Folglich geben die Geſchwindigkeiten (2 und 1) in die Maſſen (1 und 4) multiplicirt, Producte (2 und 4), welche ungleich ſind. Hingegen die Hoͤhen des Falls oder die Raͤume, bis auf welche A und B wieder ſteigen koͤnnten (4 und 1), geben in die Maſſen (1 und 4) multiplicirt, gleiche Producte (4 und 4). Da nun hier die Kraͤfte gleich ſeyn muͤſſen, ſo erhellet, daß man, um ſie zu meſſen, die Maſſen nicht in die Geſchwindigkeiten, ſondern in die Hoͤhen des Falls, oder in die Quadratzahlen der Geſchwindigkeiten, multipliciren muͤſſe. Wenn man auch uͤberhaupt den hier angenommenen Begriff von Kraft zulaͤßt, und die Abſicht, ſolche im bewegten Koͤrper ſelbſt liegende Kraͤfte zu meſſen, billiget, ſo wird doch dieſer Beweis des Herrn von Leibnitz ſchon darum zweifelhaſt, weil dabey keine Ruͤckſicht auf die Zeit genommen iſt. Die Maſſe 4 durch den Raum 1, und die Maſſe 1 durch den Raum 4 in gleicher Zeit heben, erfordert allerdings einerley Kraft: aber in dem angefuͤhrten Beyſpiele wuͤrden die beyden Maſſen nicht in gleicher, ſondern A in doppelter, B in einfacher Zeit auf die gedachten Hoͤhen ſteigen; man iſt alſo gar nicht ſo ſchlechthin berechtiget, die Kraͤfte beyder Maſſen fuͤr gleich anzunehmen. Vielmehr laͤßt ſich der ganze Beweis, wenn man die Zeit mit in Betrachtung ziehet, ſehr leicht ſo wenden, daß er das carteſianiſche Maaß der Kraͤfte beſtaͤtiget. Herr von Leibnitz erlaͤuterte ſeine Meynung durch eine andere Schrift (Specimen dynamicum pro admirandis naturae legibus circa corporum vires etc. in Act. Erud. Lipſ. a. 1695. menſ. Apr. p. 145 ſq.), in welcher er die Kraͤfte in todte und lebendige eintheilt. Todte Kraft nennt er diejenige, welche keine Bewegung, ſondern nur Beſtreben nach Bewegung hervorbringe (in qua nondum exiſtit motus, ſed tantum ſollicitatio ad motum); ledendige Kraft die mit wirklicher Bewegung verbundene. Die Alten, ſagt er, haͤtten bloß die todte Kraft betrachtet; ihre ſogenannte Mechanik ſey daher nur Statik geweſen. Nun ſey das Product MC in der That das Maaß der todten Kraͤfte, aus der beſondern Urſache, weil ſich beym erſten Anfange

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/810
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 804. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/810>, abgerufen am 22.05.2024.