Sinne ist also der einzige Erkenntnißgrund alles dessen, was wir von den Körpern wissen.
Viele und große Weltweise haben diesen Erkenntnißgrund für allzu ungewiß und verdächtig gehalten, als daß man daraus ein wirkliches Daseyn solcher Körper, dergleichen uns die Erscheinungen darstellen, folgern könnte. Sie haben sich daher von den wahren Verhältnissen der Körperwelt verschiedene Vorstellungen gemacht, wegen deren ich, um Wiederholungen zu vermeiden, auf das Wort: Materie verweise. Aber alle diese Vorstellungsarten, so verschieden sie seyn mögen, ändern nichts in der Physik. Man kan es ohne Bedenken einräumen, daß die wirkliche Welt etwas ganz anders, als die sinnliche, sey, und daß alle unsere Ideen von materiellen Dingen blos auf sinnlichen Schein hinauslaufen, welcher durch Verhältnisse der Dinge gegen die Werkzeuge der Sinne, und durch Verhältnisse dieser gegen die Seele selbst, hervorgebracht wird. Es bleibt demohngeachtet in dem, was die Sinne unzählbarer Beobachter an den Körpern bemerken, eine unläugbare Uebereinstimmung und Einheit; folglich giebt es einen allgemeinen sinnlichen Schein, von welchem nur in einzelnen Fällen seltene und widernatürliche Abweichungen vorkommen. Dieser allgemeine sinnliche Schein ist es, nach welchem auch der vollendetste Skeptiker bey jedem Vorfalle des praktischen Lebens urtheilen und handeln wird, wenn er nicht den Namen eines wahnsinnigen Thoren mehr, als den eines Philosophen, verdienen will. Und eben dieser Schein ist es, auf den der Physiker seine Untersuchung der Körperwelt einschränkt. Zufrieden mit dem, was sinnliche Erfahrung ihn und alle andere Menschen lehrt, bescheidet er sich gern, daß diese Erfahrung nicht in das wahre Wesen der materiellen Dinge einzudringen vermöge, und überläßt es dem Metaphysiker, sich durch die Labyrinthe des Materialismus, Dualismus, Idealismus und so vieler andern Systeme über das innere Wesen der Welt, einen glücklichen Weg zum Ziele zu suchen.
Der allgemeine sinnliche Schein stellt die Körper als ausgedehnte, undurchdringliche, theilbare und
Sinne iſt alſo der einzige Erkenntnißgrund alles deſſen, was wir von den Koͤrpern wiſſen.
Viele und große Weltweiſe haben dieſen Erkenntnißgrund fuͤr allzu ungewiß und verdaͤchtig gehalten, als daß man daraus ein wirkliches Daſeyn ſolcher Koͤrper, dergleichen uns die Erſcheinungen darſtellen, folgern koͤnnte. Sie haben ſich daher von den wahren Verhaͤltniſſen der Koͤrperwelt verſchiedene Vorſtellungen gemacht, wegen deren ich, um Wiederholungen zu vermeiden, auf das Wort: Materie verweiſe. Aber alle dieſe Vorſtellungsarten, ſo verſchieden ſie ſeyn moͤgen, aͤndern nichts in der Phyſik. Man kan es ohne Bedenken einraͤumen, daß die wirkliche Welt etwas ganz anders, als die ſinnliche, ſey, und daß alle unſere Ideen von materiellen Dingen blos auf ſinnlichen Schein hinauslaufen, welcher durch Verhaͤltniſſe der Dinge gegen die Werkzeuge der Sinne, und durch Verhaͤltniſſe dieſer gegen die Seele ſelbſt, hervorgebracht wird. Es bleibt demohngeachtet in dem, was die Sinne unzaͤhlbarer Beobachter an den Koͤrpern bemerken, eine unlaͤugbare Uebereinſtimmung und Einheit; folglich giebt es einen allgemeinen ſinnlichen Schein, von welchem nur in einzelnen Faͤllen ſeltene und widernatuͤrliche Abweichungen vorkommen. Dieſer allgemeine ſinnliche Schein iſt es, nach welchem auch der vollendetſte Skeptiker bey jedem Vorfalle des praktiſchen Lebens urtheilen und handeln wird, wenn er nicht den Namen eines wahnſinnigen Thoren mehr, als den eines Philoſophen, verdienen will. Und eben dieſer Schein iſt es, auf den der Phyſiker ſeine Unterſuchung der Koͤrperwelt einſchraͤnkt. Zufrieden mit dem, was ſinnliche Erfahrung ihn und alle andere Menſchen lehrt, beſcheidet er ſich gern, daß dieſe Erfahrung nicht in das wahre Weſen der materiellen Dinge einzudringen vermoͤge, und uͤberlaͤßt es dem Metaphyſiker, ſich durch die Labyrinthe des Materialismus, Dualismus, Idealismus und ſo vieler andern Syſteme uͤber das innere Weſen der Welt, einen gluͤcklichen Weg zum Ziele zu ſuchen.
Der allgemeine ſinnliche Schein ſtellt die Koͤrper als ausgedehnte, undurchdringliche, theilbare und
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Sinne iſt alſo der einzige Erkenntnißgrund alles deſſen, was wir von den Koͤrpern wiſſen.
Viele und große Weltweiſe haben dieſen Erkenntnißgrund fuͤr allzu ungewiß und verdaͤchtig gehalten, als daß man daraus ein wirkliches Daſeyn ſolcher Koͤrper, dergleichen uns die Erſcheinungen darſtellen, folgern koͤnnte. Sie haben ſich daher von den wahren Verhaͤltniſſen der Koͤrperwelt verſchiedene Vorſtellungen gemacht, wegen deren ich, um Wiederholungen zu vermeiden, auf das Wort: Materie verweiſe. Aber alle dieſe Vorſtellungsarten, ſo verſchieden ſie ſeyn moͤgen, aͤndern nichts in der Phyſik. Man kan es ohne Bedenken einraͤumen, daß die wirkliche Welt etwas ganz anders, als die ſinnliche, ſey, und daß alle unſere Ideen von materiellen Dingen blos auf ſinnlichen Schein hinauslaufen, welcher durch Verhaͤltniſſe der Dinge gegen die Werkzeuge der Sinne, und durch Verhaͤltniſſe dieſer gegen die Seele ſelbſt, hervorgebracht wird. Es bleibt demohngeachtet in dem, was die Sinne unzaͤhlbarer Beobachter an den Koͤrpern bemerken, eine unlaͤugbare Uebereinſtimmung und Einheit; folglich giebt es einen allgemeinen ſinnlichen Schein, von welchem nur in einzelnen Faͤllen ſeltene und widernatuͤrliche Abweichungen vorkommen. Dieſer allgemeine ſinnliche Schein iſt es, nach welchem auch der vollendetſte Skeptiker bey jedem Vorfalle des praktiſchen Lebens urtheilen und handeln wird, wenn er nicht den Namen eines wahnſinnigen Thoren mehr, als den eines Philoſophen, verdienen will. Und eben dieſer Schein iſt es, auf den der Phyſiker ſeine Unterſuchung der Koͤrperwelt einſchraͤnkt. Zufrieden mit dem, was ſinnliche Erfahrung ihn und alle andere Menſchen lehrt, beſcheidet er ſich gern, daß dieſe Erfahrung nicht in das wahre Weſen der materiellen Dinge einzudringen vermoͤge, und uͤberlaͤßt es dem Metaphyſiker, ſich durch die Labyrinthe des Materialismus, Dualismus, Idealismus und ſo vieler andern Syſteme uͤber das innere Weſen der Welt, einen gluͤcklichen Weg zum Ziele zu ſuchen.
Der allgemeine ſinnliche Schein ſtellt die Koͤrper als ausgedehnte, undurchdringliche, theilbare und
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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 779. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/785>, abgerufen am 16.02.2025.
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