Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


umgebenden ununterbrochenen Rundung -- eines auf dem Horizonte aufstehenden Gewölbes.

Die himmelblaue Farbe (couleur azuree) dieses Gewölbes ist keineswegs, wie die Alten annahmen, dem Himmel oder der Sphäre eigen; sie ist vielmehr eine Wirkung des durch den Luftkreis gehenden Lichts der Sonne und der Gestirne. Die Stellen der Wölbung, an denen wir keine Gestirne erblicken, sollten eigentlich wie alles, was gar kein Licht ins Auge sendet, schwarz erscheinen. Allein das Licht der Sonne und der Gestirne wird von der Erde in den Luftkreis, und von den Lufttheilen wieder auf die Erde zurückgeworfen. Diese Lufttheile lassen die stärksten Lichtstralen, d. i. die rothen, gelben und grünen hindurch, und werfen hingegen die blauen, als die schwächsten, wiederum gegen die Erde und ins Auge zurück. Dies ist Nollets Erklärung (Lecons de Physique, To. VI. p. 17.). Fast eben dies kan man auch so ausdrücken, daß das Durchsehen durch eine große Masse von erleuchteter Luft die Empfindung der blauen Farbe errege, daher auch sehr entlegne Gegenstände, z. B. entfernte Gebirge und Wälder, blau aussehen.

Wenn sich in den Anblick der scheinbaren Himmelswölbung keine Urtheile über den Abstand der Stellen einmischten, so müßte sie sich als eine vollkommne Halbkugel darstellen, weil man aus dem bloßen Anblicke nicht wissen kan, ob eine Stelle entfernter als die andere ist. Da wir aber unser Sehen allezeit mit Urtheilen über Entfernung, Größe und Gestalt begleiten, s. Entfernung, scheinbare, so thun wir dies auch, selbst ohne uns dessen deutlich bewußt zu seyn, bey der Betrachtung des Himmels, der uns demnach als ein Gewölbe von einer ganz eignen, am obern Theile eingedrückten, Krümmung erscheint, wobey der Horizont 3 -- 4mal weiter vom Auge absteht, als der Scheitelpunkt.

Diese eingedrückte Gestalt des Himmels gründet sich auf den durch so viele Beyspiele bestätigten Gesichtsbetrug, nach welchem wir alle vor uns nach der Pläne hin liegende Dinge für entfernter halten, als die in gleichem


umgebenden ununterbrochenen Rundung — eines auf dem Horizonte aufſtehenden Gewoͤlbes.

Die himmelblaue Farbe (couleur azurée) dieſes Gewoͤlbes iſt keineswegs, wie die Alten annahmen, dem Himmel oder der Sphaͤre eigen; ſie iſt vielmehr eine Wirkung des durch den Luftkreis gehenden Lichts der Sonne und der Geſtirne. Die Stellen der Woͤlbung, an denen wir keine Geſtirne erblicken, ſollten eigentlich wie alles, was gar kein Licht ins Auge ſendet, ſchwarz erſcheinen. Allein das Licht der Sonne und der Geſtirne wird von der Erde in den Luftkreis, und von den Lufttheilen wieder auf die Erde zuruͤckgeworfen. Dieſe Lufttheile laſſen die ſtaͤrkſten Lichtſtralen, d. i. die rothen, gelben und gruͤnen hindurch, und werfen hingegen die blauen, als die ſchwaͤchſten, wiederum gegen die Erde und ins Auge zuruͤck. Dies iſt Nollets Erklaͤrung (Leçons de Phyſique, To. VI. p. 17.). Faſt eben dies kan man auch ſo ausdruͤcken, daß das Durchſehen durch eine große Maſſe von erleuchteter Luft die Empfindung der blauen Farbe errege, daher auch ſehr entlegne Gegenſtaͤnde, z. B. entfernte Gebirge und Waͤlder, blau ausſehen.

Wenn ſich in den Anblick der ſcheinbaren Himmelswoͤlbung keine Urtheile uͤber den Abſtand der Stellen einmiſchten, ſo muͤßte ſie ſich als eine vollkommne Halbkugel darſtellen, weil man aus dem bloßen Anblicke nicht wiſſen kan, ob eine Stelle entfernter als die andere iſt. Da wir aber unſer Sehen allezeit mit Urtheilen uͤber Entfernung, Groͤße und Geſtalt begleiten, ſ. Entfernung, ſcheinbare, ſo thun wir dies auch, ſelbſt ohne uns deſſen deutlich bewußt zu ſeyn, bey der Betrachtung des Himmels, der uns demnach als ein Gewoͤlbe von einer ganz eignen, am obern Theile eingedruͤckten, Kruͤmmung erſcheint, wobey der Horizont 3 — 4mal weiter vom Auge abſteht, als der Scheitelpunkt.

Dieſe eingedruͤckte Geſtalt des Himmels gruͤndet ſich auf den durch ſo viele Beyſpiele beſtaͤtigten Geſichtsbetrug, nach welchem wir alle vor uns nach der Plaͤne hin liegende Dinge fuͤr entfernter halten, als die in gleichem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="2">
            <p><pb facs="#f0599" xml:id="P.2.593" n="593"/><lb/>
umgebenden ununterbrochenen Rundung &#x2014; eines auf dem Horizonte auf&#x017F;tehenden Gewo&#x0364;lbes.</p>
            <p>Die <hi rendition="#b">himmelblaue Farbe</hi> <hi rendition="#aq">(<hi rendition="#i">couleur azurée</hi>)</hi> die&#x017F;es Gewo&#x0364;lbes i&#x017F;t keineswegs, wie die Alten annahmen, dem Himmel oder der Spha&#x0364;re eigen; &#x017F;ie i&#x017F;t vielmehr eine Wirkung des durch den Luftkreis gehenden Lichts der Sonne und der Ge&#x017F;tirne. Die Stellen der Wo&#x0364;lbung, an denen wir keine Ge&#x017F;tirne erblicken, &#x017F;ollten eigentlich wie alles, was gar kein Licht ins Auge &#x017F;endet, &#x017F;chwarz er&#x017F;cheinen. Allein das Licht der Sonne und der Ge&#x017F;tirne wird von der Erde in den Luftkreis, und von den Lufttheilen wieder auf die Erde zuru&#x0364;ckgeworfen. Die&#x017F;e Lufttheile la&#x017F;&#x017F;en die &#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;ten Licht&#x017F;tralen, d. i. die rothen, gelben und gru&#x0364;nen hindurch, und werfen hingegen die blauen, als die &#x017F;chwa&#x0364;ch&#x017F;ten, wiederum gegen die Erde und ins Auge zuru&#x0364;ck. Dies i&#x017F;t <hi rendition="#b">Nollets</hi> Erkla&#x0364;rung <hi rendition="#aq">(Leçons de Phy&#x017F;ique, To. VI. p. 17.).</hi> Fa&#x017F;t eben dies kan man auch &#x017F;o ausdru&#x0364;cken, daß das Durch&#x017F;ehen durch eine große Ma&#x017F;&#x017F;e von erleuchteter Luft die Empfindung der blauen Farbe errege, daher auch &#x017F;ehr entlegne Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde, z. B. entfernte Gebirge und Wa&#x0364;lder, blau aus&#x017F;ehen.</p>
            <p>Wenn &#x017F;ich in den Anblick der &#x017F;cheinbaren Himmelswo&#x0364;lbung keine Urtheile u&#x0364;ber den Ab&#x017F;tand der Stellen einmi&#x017F;chten, &#x017F;o mu&#x0364;ßte &#x017F;ie &#x017F;ich als eine vollkommne Halbkugel dar&#x017F;tellen, weil man aus dem bloßen Anblicke nicht wi&#x017F;&#x017F;en kan, ob eine Stelle entfernter als die andere i&#x017F;t. Da wir aber un&#x017F;er Sehen allezeit mit Urtheilen u&#x0364;ber Entfernung, Gro&#x0364;ße und Ge&#x017F;talt begleiten, <hi rendition="#b">&#x017F;. Entfernung, &#x017F;cheinbare,</hi> &#x017F;o thun wir dies auch, &#x017F;elb&#x017F;t ohne uns de&#x017F;&#x017F;en deutlich bewußt zu &#x017F;eyn, bey der Betrachtung des Himmels, der uns demnach als ein Gewo&#x0364;lbe von einer ganz eignen, am obern Theile eingedru&#x0364;ckten, Kru&#x0364;mmung er&#x017F;cheint, wobey der Horizont 3 &#x2014; 4mal weiter vom Auge ab&#x017F;teht, als der Scheitelpunkt.</p>
            <p>Die&#x017F;e <hi rendition="#b">eingedru&#x0364;ckte Ge&#x017F;talt</hi> des Himmels gru&#x0364;ndet &#x017F;ich auf den durch &#x017F;o viele Bey&#x017F;piele be&#x017F;ta&#x0364;tigten Ge&#x017F;ichtsbetrug, nach welchem wir alle vor uns nach der Pla&#x0364;ne hin liegende Dinge fu&#x0364;r entfernter halten, als die in gleichem<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[593/0599] umgebenden ununterbrochenen Rundung — eines auf dem Horizonte aufſtehenden Gewoͤlbes. Die himmelblaue Farbe (couleur azurée) dieſes Gewoͤlbes iſt keineswegs, wie die Alten annahmen, dem Himmel oder der Sphaͤre eigen; ſie iſt vielmehr eine Wirkung des durch den Luftkreis gehenden Lichts der Sonne und der Geſtirne. Die Stellen der Woͤlbung, an denen wir keine Geſtirne erblicken, ſollten eigentlich wie alles, was gar kein Licht ins Auge ſendet, ſchwarz erſcheinen. Allein das Licht der Sonne und der Geſtirne wird von der Erde in den Luftkreis, und von den Lufttheilen wieder auf die Erde zuruͤckgeworfen. Dieſe Lufttheile laſſen die ſtaͤrkſten Lichtſtralen, d. i. die rothen, gelben und gruͤnen hindurch, und werfen hingegen die blauen, als die ſchwaͤchſten, wiederum gegen die Erde und ins Auge zuruͤck. Dies iſt Nollets Erklaͤrung (Leçons de Phyſique, To. VI. p. 17.). Faſt eben dies kan man auch ſo ausdruͤcken, daß das Durchſehen durch eine große Maſſe von erleuchteter Luft die Empfindung der blauen Farbe errege, daher auch ſehr entlegne Gegenſtaͤnde, z. B. entfernte Gebirge und Waͤlder, blau ausſehen. Wenn ſich in den Anblick der ſcheinbaren Himmelswoͤlbung keine Urtheile uͤber den Abſtand der Stellen einmiſchten, ſo muͤßte ſie ſich als eine vollkommne Halbkugel darſtellen, weil man aus dem bloßen Anblicke nicht wiſſen kan, ob eine Stelle entfernter als die andere iſt. Da wir aber unſer Sehen allezeit mit Urtheilen uͤber Entfernung, Groͤße und Geſtalt begleiten, ſ. Entfernung, ſcheinbare, ſo thun wir dies auch, ſelbſt ohne uns deſſen deutlich bewußt zu ſeyn, bey der Betrachtung des Himmels, der uns demnach als ein Gewoͤlbe von einer ganz eignen, am obern Theile eingedruͤckten, Kruͤmmung erſcheint, wobey der Horizont 3 — 4mal weiter vom Auge abſteht, als der Scheitelpunkt. Dieſe eingedruͤckte Geſtalt des Himmels gruͤndet ſich auf den durch ſo viele Beyſpiele beſtaͤtigten Geſichtsbetrug, nach welchem wir alle vor uns nach der Plaͤne hin liegende Dinge fuͤr entfernter halten, als die in gleichem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/599
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 593. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/599>, abgerufen am 22.11.2024.